Alles – nur nicht 08/15

PRAKTISCH Der Kia E-Soul polarisiert nicht nur deshalb, weil er mit Strom fährt. Der kubische Koreaner passt bestens in unsere vom Wandel geprägte Zeit.

Schönheit liegt im Auge des Betrachters. So hat es schon der griechische Geschichtsschreiber Thukydides formuliert. Der Kia E-Soul ist ein Mix aus Minivan, SUV und Minikombi und kommt folglich ziemlich kubisch daher. Die Karreeform mit dem kantigen Heck gefällt halt mehr oder weniger – auf jeden Fall polarisiert das Teil und ist nicht stereotyp. Quadratisch, praktisch, gut, würden die von Ritter Sport sagen. Und jetzt erst noch voll in und total connected. Mit 4.20 Metern Länge ist der Kia E-Soul so lang wie ein Golf, mit 1.60 Metern zehn Zentimeter
höher als ein Golf und mit 1.80 Metern so breit wie ein Golf. Und, um den Vergleich mit dem Superstar aus Wolfsburg noch weiter zu strapazieren, mit seinen 1757 Kilogramm, primär der Batterie geschuldet, rund 300 Kilogramm schwerer als der Golf. Allein, das hat nicht nur Nachteile. Der stromertypisch tiefe Schwerpunkt und die gefühlte Masse vermitteln Sicherheit und satten Kontakt mit der Strasse.

Das Einsteigermodell des kleinen Crossover-­Pioniers aus Korea gibt es mit einer 39.2-kWh-Batterie, 136 PS Leistung und einer Reichweite von 270 Kilometern. Dazu kommt das getestete Topmodell mit der 64-kWh-Batterie, 204 PS Leistung und ­einer Reichweite von 450 Kilometern. Identisch ist bei beiden das hohe Drehmoment von 395 Nm (Vorgänger 285 Nm). Das sorgt im Sport-Modus, der sich spürbar von den Eco-Varianten absetzt, für richtig Zug. In der 150-kW-Version sprintet der Fronttriebler mit Reduktionsgetriebe in 7.9 Sekunden auf Tempo 100 und erreicht eine Höchstgeschwindigkeit von 167 km/h. Die kleinere Motorisierung bleibt mit 9.9 Sekunden
gemäss Werk ebenfalls unter der Zehn-Sekunden-­Marke (Spitze 155 km/h).

Die Liste der Optionen und Austattungversionen ist wohltuend übersichtlich. Das Individualisierungsprogramm der Mercedes G-Klasse bietet mehr als eine Million Kombinationsmöglichkeiten! Beim Kia E-Soul erhält man zwei bereits gut aufmunitionierte Grundvarianten (Trend und Style). Obendrauf gibt es ein paar weitere Style-Pakete und individuelle Features, das wars. Man braucht folglich nicht 14 Tage, um sein Auto zu konfigurieren – 14 Minuten tun es in diesem Fall auch. Wer will, kann den Crossover-Charakter des E-Soul durch ein optionales SUV-Designpaket (beinhaltet etwa Radlaufverbreiterungen, Seitenschwellerverkleidungen und Stossfänger mit Unterfahrschutzdesign) noch stärker akzentuieren.

Welt-Stadtauto 2020
Im April dieses Jahres gewann Kia mit dem nur in Nordamerika angebotenen Telluride – notabene mit 3.8-Liter-V6-Motor und 295 PS – bei der Wahl zum World Car of the Year nicht nur in der Hauptkategorie, sondern mit dem E-Soul gleich auch noch den Titel in der Kategorie Urban Car, in der Kategorie Stadtauto also. Auf den Plätzen landeten hier der VW T-Cross (2.) und der Mini Cooper SE Electric (3.). Der T-Cross schnitt vorab in den Sparten Performance, Umwelt, Innovation und Emotionalität schlechter ab als der Kia. Folglich muss der E-Soul in den letztgenannten Disziplinen tendenziell mehr bieten als die prestigeträchtigere Konkurrenz. Und in der Tat: Wer ganz pragmatisch denkt und im funktionalen Praxismodus bleibt, muss sich sagen: Das Auto macht Spass und Sinn und ist effektiv zweckmässig. Viele wollen ja gar nicht mehr Auto. Der Koreaner surrt emis­sionsfrei durch die Landschaft, hat eine stattliche elektrische Reichweite, bietet komfortable Raumverhältnisse – der Kofferraum fasst 315 bis 1339 Liter (Golf 381–1237 l) – und ein hohes Mass an Praktikabilität und Variabilität. Dank der Möglichkeit, regenerativ zu bremsen, kann man sich ­einen Spass oder Sport daraus machen, die Reichweite zu optimieren. Zieht man das linke Paddle voll durch, rekuperiert das Auto mit leuchtenden Bremslichtern bis zum Stillstand. Derart lässt sich der E-Soul mit etwas Übung weitgehend über die zwei Paddles und das Gaspedal fahren. Das Bremspedal ist für harte Stopps aufgrund von entsprechenden Verkehrssituationen oder bei schnellen Überlandfahrten auch noch da. Zu einem sportlichen Fahren, was absolut drinliegt, trägt nebst dem tiefen Schwerpunkt auch das neue Fahrwerk bei, dessen Mehrlenkerhinterachse die Verbundlenkerachse des Vorgängers abgelöst hat. Ein mit 50 oder 60 km/h vor sich hin tuckernder Lastwagen ist von jetzt auf gleich überholt.

Mit dem rechten Paddle kann man zwischen vier Grundmodi wählen (Eco-Plus, Eco, Normal, Sport). Die Spreizung ist vor allem hinsichtlich Rekuperation sehr gut spürbar. Eco-Plus stellt die Klimaanlage ab, reduziert die Spitze auf 90 km/h und sorgt für die Spritzigkeit eines Traktors. Im Sport-Modus dagegen kommt das hohe Drehmoment richtig lebhaft und unterhaltsam zur Geltung. Das Grundmodell seinerseits verbraucht gemäss Weksangaben durchschnittlich 14.5 kWh pro 100 Kilometer, die stärkere Version 15.7 kWh.
Lebensecht bewegt und die üblichen Bordsysteme wie Radio oder Lüftung eingeschaltet, werden es in der Regel um 20 kWh. Das reicht aber immer noch für über 300 Kilometer Reichweite. Der Stromanschluss eignet sich für normales Aufladen an ­einer Steckdose, Wallbox oder öffentlichen Typ-2-­Ladestation sowie für schnelles Laden an einer öffentlichen CCS-Ladestation (Combined Charging System) mit bis zu 100 kW. An der Haushaltsteckdose gehts von null auf voll in rund 30 Stunden. Wenn Zeit Geld ist, lohnt sich die Anschaffung oder der Zugang zu einer Wallbox in diesem Fall definitiv.

Echtzeit-Helfer
Innen hat Kia die Bedienung etwas vereinfacht. Der Schalter und Knöpfe sind es weniger geworden. Freilich gibt es immer noch welche, am Lenkrad des E-Soul sind sogar etwas gar viele davon versammelt. Aber eben, nicht jeder eliminierte Knopf vereinfacht die Sache – oft ist es umgekehrt. Ein Knopf im E-Soul dient dazu, die besondere Funktion Driver only zu aktivieren, bei der die Klimatisierung nur den Fahrerplatz mit kalter oder warmer Luft versorgt. Das bringt auf clevere Weise zusätzliche Reichweite. Ablagen finden sich ohne Ende. Ein Gangwahl-Drehschalter (Shift by ­wire) ersetzt den Wählhebel. Zu den weiteren Hightech- und Komfortelementen gehören je nach Ausführung eine induktive Smartphone-Ladestation, beheizbare und belüftete Vordersitze, ein Harman-Kardon-Premium-Soundsystem und ein Head-up-Display. Über Kia Live kann man dem 10.25-Zoll-Touchscreen im Zentrum des Armaturenbretts zahlreiche nützliche Echtzeitinformationen entlocken. Etwa zur Verkehrslage oder Wetterprognose. Daneben kann man sich auch die nächsten Ladestationen anzeigen lassen (notabene samt Details zu Kompatibilität und Verfügbarkeit) oder sich über nahegelegene Parkmöglichkeiten inklusive Preisen und verfügbarer Plätze informieren. Möglich ist zudem eine Bluetooth-Mehrfachverbindung, wodurch gleichzeitig zwei mobile Geräte in das System eingebunden werden können. Eine stattliche Palette an Assistenzsysteme ist zudem schon im Basispreis enthalten. Dieser ist mit 47 400 Franken (Testwagen 52 700 Fr.) gefühlt zwar relativ üppig. Aber es ist noch vieles relativ.

FAZIT
Kia gehört mit seiner Palette an Mildhybrid-, Vollhybrid-, Plug-in-Hybrid- und Elektrofahrzeugen zu den weltweit führenden Anbietern von elektrifizierten Autos. Der E-Soul wird zweifellos dazu beitragen, diesen Marktanteil weiter zu steigern und das Ziel der Südkoreaner zu erreichen, bis 2026 den Jahresabsatz an Elektrofahrzeugen auf weltweit 500 000 Einheiten zu verbessern. Der E-Soul bietet das ganze Erlebnisspektrum der E-Automobilität. Die klar deutliche Spreizung der vier Fahrmodi reicht vom äusserst ökonomischen Schlafwagen-Feeling bis hin zum emissionsfreien Funmobil mit hohem Drehmoment. Dazu ist das Auto easy zu fahren und bietet viel Raum für alle möglichen Alltagseinsatzmomente. 

Die technischen Daten und unsere Testdaten zu diesem Modell finden Sie in der gedruckten Ausgabe der AUTOMOBIL REVUE.

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