An den amerikanischen Disney-Zeichentrickfilm «Goofy – Der Teufelsfahrer» aus dem Jahr 1950 wird sich kaum jemand erinnern. Der ungemein treffliche kurze Cartoon zeigt, wie sich ein Durchschnittsbürger von einem braven Fussgänger in einen böswilligen Unmenschen verwandelt, sobald er sich hinter das Lenkrad setzt. «Herr Fussgänger ist ein netter Mensch, höflich, pünktlich und ehrlich, der keiner Fliege ein Leid zufügen könnte», heisst es in der Beschreibung. «Herr Fussgänger besitzt ein Automobil, und er hält sich für einen guten Fahrer. Aber wenn er sich hinter das Steuer klemmt, macht er eine verblüffende Wandlung durch. Herr Fussgänger wird von einem unwiderstehlichen Machtgefühl ergriffen. Sein ganzer Charakter wandelt sich schlagartig. Er wird zum haltlosen Ungetüm, zum teuflischen Autofahrer. Herr Fussgänger hat sich in den Autofahrer Herr Gasfuss verwandelt», parodiert der Zeichentrickfilm.
Erstaunlich, aber auch 70 Jahren nach seiner Premiere scheint das Disney-Werk aktueller denn je. Es gibt heute unzählige Autofahrer, die sich am Steuer schlecht, ja sogar übelst, benehmen. Einer Untersuchung in den USA zufolge gaben 62 Prozent der Befragten an, sie seien im vergangenen Jahr Opfer von Aggressivität im Strassenverkehr gewesen. Der Grund scheint immer noch der gleiche zu sein: Die Autofahrer fühlen sich im Fahrzeug anonym – und das scheint ihnen ein Machtgefühl zu vermitteln.
Auto gegen Auto
Uwe Ewert der Schweizerischen Vereinigung für Verkehrspsychologie führt weiter aus: «Im Auto können sie nur beschränkt mit der Umwelt kommunizieren. Der Autofahrer kann nur das interpretieren, was er wahrnimmt, also die Gesten und Aktionen der übrigen Verkehrsteilnehmer.» In den meisten Situationen sei es zudem äusserst schwierig zu bestimmen, ob der andere Fahrer absichtlich aggressiv handle oder nicht, meint Uwe Ewert. Und begehe man selbst einen Fehler, könne man nicht sagen: «Tut mir leid, das war mein Irrtum.» Wir könnten nicht ohne Weiteres erklären, weshalb wir etwas getan hätten.
Nicolas Kessler, Sprecher der Beratungsstelle für Unfallverhütung (BFU), bestätigt die Problemlage: «Bestimmte Handlungen werden von anderen Autofahrern oft als aggressiv wahrgenommen, obwohl sie völlig unbeabsichtigt passierten. Zu enges Auffahren kommt in den meisten Fällen vor, wenn jemand spät dran oder in Eile ist, ohne dass er aggressiv fahren wollte.» Klar, das ist keine Entschuldigung. Aber vielleicht hat der eilige Autofahrer einen verständlichen Grund (ob gültig oder nicht). «Wenn jemand schnell fährt, muss er vielleicht dringend ins Spital, weil seine Frau ein Kind auf die Welt bringt», meint Uwe Ewert. Ob das die Erklärung dafür ist, weshalb gemäss der oben erwähnten amerikanischen Umfrage nur gerade sechs Prozent der Automobilisten zugaben, auch schon einmal aggressiv gefahren zu sein?
Was uns zur Weissglut bringt
Keine Frage, sich in die Wut hineinzusteigern, ist nie das beste Verhalten. Dennoch müssen wir alle zugeben, dass uns gewisse Fahrweisen zumindest auf die Nerven gehen. Und manche davon erleben wir häufiger als andere. Der belgische Autoklub Touring stellte eine Liste der Verkehrssünden und Unhöflichkeiten auf, über die sich seine Mitglieder am meisten aufregen. Am häufigsten (41 %) nannten die 1220 Befragten das Vergessen des Blinkens. Es folgten das aggressive Fahren (33 %), das Überfahren der Mittellinie (31 %) und die nicht angepasste Geschwindigkeit (29 %). Erwähnt wurde auch das zu enge Auffahren (24 %), das Blockieren einer Kreuzung (21 %), aggressives Einspuren und Abschneiden des Weges (17 %), Doppelparkieren (11 %), also das Verwenden von zwei Parkplätzen, und schliesslich noch die Rotlichtsünder (8 %).
Unsere eigene Umfrage bei einigen Passanten in Lausanne kreidete den Strassenmitbenutzern ebenfalls vor allem das Unterlassen der Betätigung des Blinkers an. Fast genauso oft nannten die Befragten die Linksfahrer auf der Überholspur, Autofahrer, die sich (zum Beispiel durch das Smartphone) ablenken lassen und bei Grün an der Ampel nicht unmittelbar losfahren. Sie regen sich aber auch über die Elefantenrennen auf, wenn ein Lastwagen ewig lange braucht, um einen anderen Brummi zu überholen.
Nicht reagieren
Es gibt denn auch wirklich Autofahrer, die nur an sich selbst denken. Der Disney-Zeichentrickfilm «Der Teufelsfahrer» trägt dieser Untugend Rechnung: «Natürlich gehört die Strasse mir», hören wir eine Off-Stimme. «Eigentlich sollten alle Strassen nach mir benannt werden, schliesslich habe ich dafür bezahlt.» Wie reagiert man am besten auf solches Fehlverhalten? «Am besten lässt man sich gar nicht auf solche Provokationen ein», rät Uwe Ewert. «Will man argumentieren, dann besteht die grosse Wahrscheinlichkeit, dass die Situation nur noch schlimmer wird.»
Schön und gut, aber wir haben auch schon Umstände erlebt, wenn man nicht anders kann und reagieren muss. In solchen Fällen ist es angeraten, die Gleichung Auto gegen Auto auszuklammern und zu versuchen, als Mitmensch mit dem Verursacher zu sprechen. Das hatte Disney schon vor 70 Jahren begriffen: «Ist Herr Gasfuss erst einmal aus seiner schützenden Blechhülle heraus, verwandelt er sich in den netten, höflichen Herrn Fussgänger zurück.» Allerdings ist es nicht immer möglich, aus dem Auto auszusteigen, etwa wenn einem jemand an der Stosstange klebt. «In dieser Situation aktiviert man am besten den rechten Blinker, spurt rechts ein und lässt den Eiligen überholen.» Ein abruptes Bremsen hingegen könnte höchst unangenehme Folgen haben, etwa einen Auffahrunfall.
Trifft man auf einen Linksfahrer, empfiehlt Uwe Ewert, die Lichthupe zu aktivieren. «Wir wollen dem Blockierer signalisieren, er soll sich doch bitte rechts einreihen.» Wenn das nichts bringt, dann bitte nicht dicht auffahren: «Das könnte nur zu einer noch deutlich feindseligeren Handlung führen.»
Aggressivität führt zu mehr Aggressivität
«Das Anecken zwischen den Autofahrern beruht auf bekannten psychologischen Verhaltensmustern», erklärt Nicolas Kessler von der BFU: «Aggressives Verhalten, oder solches, das als aggressiv interpretiert wird, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Reaktion genauso feindselig ausfällt.» Es gilt, den Teufelskreis mit Zuvorkommenheit zu durchbrechen. Das entschärft die angespannte Situation und verhindert schlechte Laune nicht nur für einen selbst, sondern für alle Beteiligten. Höfliche und grosszügige Gesten haben positive Reaktionen zur Folge. Lässt man einem eiligen Verkehrsteilnehmer die Vorfahrt, ist dieser in der Folge eher bereit, anderen gegenüber gute Sitten zu zeigen. Und manchmal wirkt auch ein Lächeln ganz grosse Wunder.
Der gute Rat ist ein Echo der Botschaft, die Disney mit dem Negativbeispiel des Teufelsfahrers Goofy bereits im Jahr 1950 vermitteln wollte: «Fahren Sie vorsichtig und höflich im Strassenverkehr», hiesst es zum Schluss des Kurzfilms. Der Appell hat auch heute noch so viel Bedeutung wie damals.
Und was nervt Sie?
Manchmal, so hat man das Gefühl, ist der Strassenverkehr ein einziger, grosser Kampf. Rechtsüberholer, Linksschleicher, lebensmüde Fahrradfahrer, egoistische Fussgänger – die Zahl der Ärgernisse (und auch Gefahren) ist fast unendlich. Deshalb möchten wir unsere Leserinnen und Leser fragen: Was nervt Sie auf der Strasse am meisten? Wollen Sie uns an Ihren schlimmsten Erlebnissen teilhaben lassen? Selbstverständlich werden alle Berichte mit der nötigen Diskretion behandelt, Sie können also tief in die Details gehen. Uns erzählen, wie Ihnen jemand frech den Parkplatz weggeschnappt hat. Oder von jenem schmierigen Typen im gepimpten Gebrauchtwagen, der sich auf der Autobahn quer über alle Spuren schlängelte. Oder von den Rentnern, die am Sonntagnachmittag mit 40 km/h über den Pass schleichen. Wir werden in einer der nächsten Ausgaben eine Auswahl der besten (oder heftigsten) Geschichten publizieren. Wir freuen uns jetzt schon auf Ihre Zuschriften an redaktion@automobilrevue.ch
Als Klimamaßnahme ist in den Niederlanden kürzlich eine maximum Geschwindigkeit auf Autobahnen von 100 km/St verordentligt. In der Schweiz schon längst üblich aber schwer einzuhalten auf breiten, geraden un flachen straßen. Die Mehrheit der Automobilisten hat sich (mit cruise control) darauf eingestellt, aber es gibt automobilisten die die ‘normale Geschwindigkeit von 120-140 km/St fahren und damit den dritte Fahrbahn besetzen. Anscheinend ist das Risiko auf Strafe klein. Das ist mein größtes Ärgernis.
In diesem Zustand gar nicht erst sich hinter’s Steuer setzen , man schadet sich nur selber damit !