Renault Rafale – Streben nach Höherem

Dave Schneider | 13.06.2024

Oberklasse Im lauten Elektrohype geht gern unter, dass ­viele Hersteller ins Premiumsegment vordringen wollen. Renault lanciert dazu ein neues Flaggschiffmodell: das SUV-Coupé Rafale.

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Nur selten führt eine Traditionsmarke ein neues Flaggschiff ein. Bei Renault hatte diese Leaderposition zuletzt der Talisman inne, der dem Hersteller dem Namen zum Trotz aber weniger Glück einbrachte als erhofft. Davor gab es weitere klangvolle Namen, mit denen Renault in gehobenere Kreise aufsteigen wollte – Safrane, Vel Satis, Avantime oder Laguna. Im von deutschen Herstellern dominierten Hochpreissektor rümpfte man darob höchstens die Nase. Aktuell ist der Espace das grösste, teuerste und edelste Modell der Franzosen, doch an Oberklasse will bei diesem siebensitzigen SUV keiner denken. Daher führt Renault nun eine neue Baureihe ein, die nicht nur zahlungskräftige Kunden anlocken, sondern auch das Image der Marke stärken und sie in neue Sphären heben soll. «Der neue Rafale symbolisiert unseren Aufstieg in die Oberklasse und demonstriert, dass wir in jedem Segment ein ernstzunehmender Akteur sind», meint Renault-Chef Fabrice Cambolive breitbrüstig und bezeichnet das neue Modell als «Herzstück der Renaulution», der von Konzernchef Luca de Meo ausgerufenen Unternehmensstrategie für die nächsten Jahre.

Luftikus

Rafale also – bei diesem Namen klingelt doch etwas. Die Schweiz hätte vor einigen Jahren beinahe einige dieser französischen Kampfjets gekauft, bevor der Bundesrat eine Kehrtwende einlegte. Tatsächlich gab es aber bereits in den 1930er-Jahren eine Rafale, die Caudron Renault Rafale. Firmengründer Louis Renault war nämlich ein begeisterter Flieger und übernahm 1933 den französischen Flugzeughersteller Caudron. Die neue Firma Caudron Renault benannte fortan die Flugzeugmodelle nach Begriffen, die mit dem Wind zu tun hatten, und so wurde die einstige C460 in Rafale (französisch für Windböe) umbenannt. Beim Stichwort Wind zucken Renault-Liebhaber allerdings nervös mit dem Augenlid – der Renault Wind, ein kurioses kleines Stahldach-Cabrio, war wohl das erfolgloseste Modell der Franzosen überhaupt.

Doch zurück zur Sache, zurück zum neuen Rafale. Er basiert auf der gleichen Plattform (CMF-CD) wie der Espace und der Austral. Mit einer Länge von 4.71 Metern und einer Breite von 1.87 Metern ist er fast gleich gross wie der Espace, der Radstand (2.74 m) ist identisch. Überraschend: Auch bei der Höhe (1.61 m) weicht der Rafale kaum vom Espace ab, obwohl er als SUV-Coupé klar flacher wirkt. Die Platzverhältnisse sind sehr gut, auch auf der Rückbank, wo die abfallende Dachlinie die Kopffreiheit sowie die Kofferraumgrösse einschränkt. Dennoch ist das Stauvolumen mit 627 bis 1914 Liter riesig. Mit ­einer markanten Lichtsignatur vorn und hinten, verspielten Details wie dem Kühlergrill mit 3-D-Effekt und individualisierbaren Elementen schafft das Modell rein äusserlich den Sprung in die Oberliga durchaus.

Hochklassige Features

Doch wer im Premiumsegment mitmischen will, muss auch mit inneren Werten überzeugen. Die Fahrgastzelle ist hübsch ausstaffiert, und es wirkt auch alles solide verarbeitet – nach Oberklasse sieht es aber nicht aus. Das Bestreben, in eine höhere Liga aufzusteigen, ist dem Modell jedoch anzusehen, unter anderem mit hochwertigen Ausstattungsfeatures wie dem in die Alcantara-Polsterung perforierte Alpine-Logo, das hinterleuchtet ist und beim Einsteigen im Herzschlag-Rhythmus pulsiert. Oder das Solarbay genannte Panoramaglasdach, das sich auf Knopfdruck stufenweise verdunkelt, ohne dass dazu ein Rollo benötigt wird. Das funktioniert dank Polymer-Flüssigkristallen, deren Molekularstruktur auf Strom reagiert. So kann das Glasdach in neun Segmenten unterteilt in Sekundenschnelle von durchsichtig auf milchig wechseln – sogar per Sprachbefehl.

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Der Anspruch des Rafale ist die Oberklasse. Abgesehen vom Design gelingt das nur bedingt. Immerhin: Trotz der Coupéform sind die Platzverhältnisse gut. Das Infotainmentsystem ist Google-basiert. Verarbeitung und Ergonomie sind auf einem hohen Niveau.

Das Cockpit zeigt das inzwischen bekannte Layout mit einer L-förmigen Bildschirmkonsole, die sich aus einem Monitor hinter dem Lenkrad und ­einem Touchscreen im Hochformat über der Mittelkonsole zusammensetzt. Das Betriebssystem von Google ist sofort verständlich und intuitiv bedienbar, inklusive der bereits erwähnten Sprachsteuerung. Hinzu kommt ein grosses Head-up-Display, das die wichtigsten Informationen auf die Windschutzscheibe projiziert. Über den Multi-Sense-Wahlschalter lassen sich unterschiedliche Farbthemen für den Innenraum einstellen, gleichzeitig wechselt das zentrale Fahrinformationsdisplay ebenfalls Anzeigegrafik und Farbschema.

Kein Stromer

Es lässt tief blicken, dass Renault kein Elektromodell zu seinem neuen Flaggschiff, zum «Herzstück der Renaulution-Strategie», auserkoren hat. Denn der Rafale kommt ausschliesslich mit Hybridantrieben. Zunächst startet ein 146 kW (199 PS) starker Vollhybrid, Ende Jahr folgt ein 220 kW (300 PS) starker Plug-in-Hybrid mit Allradantrieb. Die Markenverantwortlichen begründen das mit der Tatsache, dass Renault drei Antriebslinien anbiete: Elektro, Plug-in-Hybrid und Vollhybrid. Wer also in der Oberklasse rein elektrisch fahren will, muss sich bei anderen Marken umsehen – der 4.47 Meter lange Scenic E-Tech ist in Renaults Stromerportfolio derzeit das höchste der Gefühle.

Aktuell gibt es also nur den E-Tech Full Hybrid, den man auch aus anderen Renault-Modellen kennt. Das System ist dennoch erklärungsbedürftig. Denn schon der 1.2-Liter-Dreizylinder-Turbobenziner mit 96 kW (131 PS) Leistung und 205 Nm Drehmoment ist speziell. Er läuft im Miller-Zyklus, hat eine Niederdruck-Abgasrückführung und einen Turbolader mit variabler Geometrie. Das Ergebnis ist ein hoher Wirkungsgrad von 41 Prozent. Kombiniert wird der Verbrenner mit einem Elek­tromotor mit 50 kW (68 PS) sowie ­einem Hochspannungs-Startergenerator mit 25 kW (34 PS), der den Motor startet und die Gangwechsel im kupplungslosen Multimode-Getriebe übernimmt. Eine Lithium-Ionen-Traktionsbatterie mit 2.0 kWh Kapazität versorgt das System mit Strom. «Der Rafale kann in der Stadt bis zu 80 Prozent der Zeit rein elektrisch fahren», sagt Chefingenieur Gwenaël Le Merrer. Das SUV-Coupé kommt so auf einen kombinierten Verbrauch von 4.7 l/100 km, was einem CO2-Ausstoss von 105 g/km entspricht.

Schön agil

Doch nun zu dem, was im heutigen CO2-Wahn und Digitalisierungsrausch der Autoindustrie gerne vergessen geht: das Fahren. Denn das kann der Rafale ausgesprochen gut. Im Vergleich zu Espace und Austral, mit denen er sich die Plattform teilt, erhielt das neue Flaggschiff ein deutlich sportlicheres Set-up: Die Spurweite wurde um 40 Millimeter verbreitert, die Reifen haben eine zehn Millimeter breitere Lauffläche. Dadurch hat der Rafale mehr Grip in den Kurven – und das spürt man. Der Fahrer kann beim Herausbeschleunigen aus Kehren früh aufs Gas, beim Einlenken ist der Franzose spurstabil und leichtfüssig. Die bewährte Vierradlenkung 4Control erhöht die Agilität spürbar, sorgt bei höheren Tempi für mehr Stabilität und hilft beim Rangieren. Der Wendekreis des 4.71 Meter langen Rafale ist mit 10.40 Metern kleiner als der des 4.05 Meter langen Clio.

Der neue Rafale soll Renault also in neue Sphären heben – ob er das schafft, bleibt zu bezweifeln, aber er ist auf jeden Fall ein guter Baustein auf dem Weg dahin. Ausserdem ist er ein weiteres Bekenntnis der Franzosen zum SUV. Vom 4.12 Meter langen Captur bis zum 4.72 Meter langen Espace tummeln sich inzwischen sieben SUV-Modelle in der Palette. Zuoberst reiht sich nun der Rafale ein, wobei er preislich noch knapp unterhalb des Espace einsteigt: Ab 44 300 Franken ist das neue SUV-Coupé zu haben. Auch das zeigt, dass der Oberklasseanspruch eher theoretischer Natur ist. 

Fotos: Renault

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