Böses Erwachen für Peugeot und Toyota

Jean-Claude Schertenleib | 07.03.2024

Langstrecken-WM Peugeot mit dem Schweizer Nico Müller ist ein heisser Titelkandidat. Aber in Katar gabs ein böses Erwachen – auch für andere Schweizer.

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Erst Sensation, dann Schock: Der Peugeot 9X8 fuhr lange auf Podiumskurs, bevor das Auto kurz vor dem Ziel ausrollte.

Mit dem ersten Lauf in Losail (Katar) startete die Langstrecken-Weltmeisterschaft in eine neue Ära. Ein schönes Bild: neun Hersteller in der Hypercar-Klasse, ebenso viele in der GT3-Kategorie. In beiden Rennklassen siegte Porsche, bei den Hypercars belegten sogar drei 963er die ersten Plätze. Aber schon zu Beginn der vergangenen Woche, bei den Vorsaisontests, beeindruckten die Porsche 963, aber auch der einzige Cadillac-Hypercar, der an den Start ging. Toyota, seit 2019 Serien-Weltmeister, schlug sich beim ersten von acht WM-Läufen mit enormen Schwierigkeiten herum und erreichte nur Rang sieben. Der zweite Toyota mit dem Waadtländer Sébastien Buemi fuhr gar nur auf Rang neun. Dabei war man sich in der Szene fast einig, dass Toyota die Konkurrenz abermals düpieren würde. Es fehlte den Japanern merklich an Leistung, unerklärlich ist dieses Manko aber nicht (s. Box). Zum ersten Mal seit Silverstone (GB) 2018 war Toyota nach einem Lauf zur Langstrecken-WM nicht auf dem Podium vertreten!

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Nico Müller: Der Berner ist Pilot beim Werksteam von Peugeot.

Porsche, mit vier Hypercars in drei Teams die am besten vertretene Marke, ist in der Favoritenrolle. Die zwei Penske-Porsche belegten in Katar die Ränge eins und drei, der Jota-Porsche klassierte sich dazwischen auf Platz zwei. Und der vierte Porsche von Proton mit dem Berner Neel Jani wurde Zehnter. Allerdings wird Peugeot mit dem Berner Nico Müller den Porsche einheizen. Als der Peugeot mit der Startnummer 93 in der 16. Runde die Führung übernahm, rieben sich die Fans die Augen. Denn Peugeot lag 2023 in der Herstellerwertung lediglich auf Platz fünf.

Schock für Nico Müller

Müller und seine Fahrerkollegen Mikkel Jensen und Jean-Eric Vergne lagen während des gesamten Rennens auf Podiumskurs – ehe dem Auto auf der 335. und letzten Runde der Treibstoff ausging. «Wahrscheinlich gab es beim letzten Tankstopp ein Problem», mutmasste Nico Müller. Vergne brachte das Auto zwar noch mit elektrischer Hilfe ins Ziel, wurde aber trotzdem disqualifiziert, weil er ­eine Energiereserve angezapft hatte, die nur dafür vorgesehen ist, das Auto an die Box zu bringen.

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Schweizer Hypercarpiloten: Sébastien Buemi mit dem Toyota GR010.

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Schweizer Hypercarpiloten: Neel Jani im Porsche 963.

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Schweizer Hypercarpiloten: Lamborghinis ­Langstrecken-
Neuling Edoardo Mortara.

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Schweizer Hypercarpiloten: BMWs Langstrecken-Neuling Raffaele Marciello.

Welches Team könnte dieses Jahr noch eine Führungsrolle übernehmen? Ist es Ferrari, das 2023 sensationell die 24 Stunden von Le Mans (F) gewann? Vielleicht. In Katar reichte es für die Plätze fünf, sieben und 13, weil zu viel Missgeschicke passierten. Der Ferrari mit der Nummer 50 führte das Rennen zuerst an, ehe er eine Boxendurchfahrtsstrafe kassierte und schliesslich nur Rang fünf belegte. Der Ferrari mit der 51 verlor plötzlich bei voller Geschwindigkeit die gesamte hintere Abdeckung und wurde am Ende Siebter. Da tröstet ein fünfter Platz als bestes Ergebnis wenig.

Nicht entmutigen lassen

Für Lamborghini und Edoardo Mortara schaute nur der 14. Platz heraus. Entmutigen lassen sollten sich der italienische Hersteller und der Genfer aber nicht, schliesslich sind sie beide neu in der Langstrecken-WM. Ernüchternd fällt die Bilanz hingegen für BMW mit dem gebürtigen Zürcher Raffaele Marciello aus. Der 15. Platz ist für BMW, das sein Hypercar 2023 schon in der US-amerikanischen Imsa-Meisterschaft einsetzte und in Watkins Glen siegte, ein Rückschlag. In der GT3-Klasse, die ebenfalls von Porsche gewonnen wurde, wurde der Bündner Thomas Flohr (Ferrari) Fünfter. Der Jurassier Grégoire Saucy, der am Steuer eines der beiden neuen McLaren sass, erlebte ein Wechselbad der Gefühle. Sein Wagen musste bereits am Ende der ersten Runde nach einer heftigen Berührung an die Box (17 Minuten Reparaturzeit). «Danach war unser Rhythmus gut, die Leistung ist da. Es war mein erstes Langstreckenrennen, ich habe viel gelernt», erklärte Saucy. 

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Fährt in der GT3-Klasse: Grégoire Saucy im McLaren 720S GT3 Evo 2

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Fährt in der GT3-Klasse: Thomas Flohr im Ferrari 296 GT3.

Fotos: WEC, Peugeot

Handicaps für Toyota

Was war denn da los? Toyota, in der Vergangenheit dominierend, hinkte beim Saisonauftakt in Katar der Konkurrenz hinterher. Der Toyota GR010 Hybrid mit dem Fahrertrio Mike Conway, Nyck de Vries und Kamui Kobayashi erreichte Rang sieben, das Schwesterauto mit dem Schweizer Sébastien Buemi, Ryo Hirakawa und Brendon Hartley sogar nur Platz neun. «Leider konnten wir während des Rennens nicht die nötige Leistung abrufen, die Strecke lag unserem Auto nicht. Uns überraschte, dass das Rennen so schwierig war», erklärte Kobayashi.

Lag es etwa an der BoP, der Balance of Performance, die für einen Leistungsausgleich im Feld der Hypercars sorgt? Eine Antwort bleibt aus, denn Teams und Fahrer haben sich schriftlich verpflichtet, nicht darüber zu sprechen. Tatsache ist, dass die Toyota in Katar die schwersten aller Hypercars waren (1089 kg, 59 kg mehr als der Peugeot 9X8). Ein Fahrer, der 2024 nicht in der Langstrecken-WM startet, aber die Problematik sehr gut kennt, meinte dazu: «Die Auswirkungen auf die Leistung eines Autos sind nicht linear, wenn man Gewicht hinzufügt. Wenn ein Mehrgewicht von zehn Kilogramm zum Beispiel zwei Zehntelsekunden pro Runde kostet, bedeutet das nicht, dass man mit 20 Kilogramm Mehrgewicht nur vier Zehntelsekunden verliert.»

Ins Gewicht fiel beim Saisonstart auch die neue Regel, die die Anzahl Reifen der Teams weiter begrenzt. Das stellte die Teams beim Rennen auf dem rauen Asphalt der Strecke in Losail vor weitere Herausforderungen. Toyota und Buemi dürfen also hoffen. JCS

Resultate

1812 Kilometer von Katar

Losail (Katar). 1. Lauf, 1812 km von Katar. Gesamtklassement: 1. (1. Platz Kategorie Hypercars) K. Estre/A. Lotterer/L. Vanthoor (F/D/B), Porsche 963, 335 Runden, 9:55:51.926 Stunden. 2. W. Stevens/C. Ilott/N. Nato (GB/GB/F), Porsche 963, 33.297 Sekunden zurück. 3. M. Campbell/M. Christensen/F. Makowiecki (AUS/DK/F), Porsche 963, 34.396. 4. E. Bamber/A. Lynn/S. Bourdais (NZ/GB/F), Cadillac V-Series R, 1 Runde zurück. 5. R. Kubica/R. Shwartzman/Y. Ye (PL/ISR/CHN), Ferrari 499P, 1 Rd. Ferner: 9. Sébastien Buemi/R. Hartley/R. Hirakawa (CH/NZ/J), Toyota GR010, 2 Runden zurück. 10. Neel Jani/H. Tincknell/J. Andlauer (CH/GB/F), Porsche 963, 2 Rdn. 14. Edoardo Mortara/M. Bortolotti/D. Kvyat (CH/I/RUS), Lamborghini SC63, 5 Rdn. 15. Raffaele Marciello/D. Vanthoor/N. Wittmann (CH/B/D), BMW M Hybrid V8, 8 Rdn. 17. (1. GT3) A. Malykhin/J. Sturm/K. Bachler (BY/D/A), Porsche 911 GT3 R, 36 Rdn. 21. (5. GT3) Thomas Flohr/F. Castellacci/D. Rigon (CH/I/I), Ferrari 296 GT3, 38 Rdn. 30. (14. GT3) Grégoire Saucy/J. Cottingham/N. Costa (CH/GB/BR), McLaren 720S GT3 Evo 2, 51 Rdn. – Disqualifiziert: Nico Müller/M. Jensen/J. Vergne (CH/DK/F), Peugeot 9X8 (falsche Verwendung einer elektrischen Energiereserve). – 37 Autos gestartet, 32 klassiert.

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