Grand Prix Australien Hoppla! Auch Max Verstappen und Red Bull können scheitern. Für Carlos Sainz in Australien eine willkommene Gelegenheit, als Sieger Ferrari eins auszuwischen.
Grand Prix Australien: Erst führte Max Verstappen im Red Bull vor den Ferrari.
Nichts brauchte diese skandalumwitterte Formel-1-Saison so sehr wie eine Story, mit der sich alle wohlfühlen können. Und – forza! – schon ist sie da, geliefert von Ferrari. Dass Carlos Sainz knappe zwei Wochen nach einer Blinddarmoperation auf dem anstrengenden Strassenkurs im australischen Melbourne über seinen Teamkollegen Charles Leclerc triumphierte, machte das rasende Storytelling noch ein bisschen besser. So etwas hätte sich selbst der Streamingsender Netflix auch für die Serie «Formula 1: Drive to Survive» nicht ausdenken können. Doch es braucht für die gewünschte Abwechslung an der Spitze immer noch eine Schwäche von Red Bull, diesmal in Form einer explodierenden Bremsscheibe hinten links am Boliden von Weltmeister und Seriensieger Max Verstappen.
«Carlos ist unsere Nemisis»
Aber wen interessiert das hinterher schon, wenn es erneut der Madrilene Sainz ist, der den Abosiegern von Red Bull den Erfolg streitig macht. «Carlos ist unsere Nemisis», bestätigte Red-Bull-Teamchef Christian Horner. Zur Abwechslung war das Feuer im Team einmal nicht unter dem Dach, sondern nur im Heck. Die ersten Vier in der WM-Gesamtwertung schiebt das ziemlich nah zusammen, und auch die erneut starken McLaren-Piloten Lando Norris und Oscar Piastri sind rein rechnerisch chancenreich.
Carlos Sainz: Mit dem Sieg hat der Spanier auch Ferrari eins ausgewischt.
Nur Mercedes fällt in der aktuellen technischen Form
extrem ab. Teamchef Toto Wolff gratulierte seinem Freund und
Ferrari-Teamchef Frédéric Vasseur deshalb nicht nur aus Höflichkeit zum
Doppelerfolg, sein Glückwunsch steht auch für die eigene Hoffnung: «Das
Beispiel Ferrari zeigt, wie schnell sich die Dinge wenden können, wenn
man vieles richtig macht.»
Ohrfeige für Leclerc
Vasseur ist ein zäher Arbeiter, und er ist
weltmeisterlich darin, den Erfolgsdruck oder negative Kommentare
wegzulächeln. Aber hinter der Fassade ist der ehemalige Sauber-Teamchef
offenbar auch ein guter Stratege und noch besserer Motivator. Sainz bei
Laune zu halten, nachdem diesem mitten in den Vertragsverhandlungen für
2025 plötzlich Lewis Hamilton vor die Nase gesetzt wird, muss man in
Kenntnis des ausgeprägten Stolzes in der Familie Sainz erst einmal
schaffen. Doch für den 29-Jährigen war der Tiefpunkt auf seiner «schon
das ganze Jahr andauernden Achterbahnfahrt» auch wie ein Weckruf. Er
weiss, dass er auf sich allein gestellt ist, und das scheint ihm sogar
ganz recht zu sein. Dass er nebenbei Vasseurs altem Liebling Charles
Leclerc eins auswischen konnte, ist natürlich ein für ihn höchst
angenehmer Nebeneffekt. Wenn der Monegasse weiterhin patzt, wenn es –
wie im Qualifying – ernst gilt, hat Sainz sogar Chancen auf die Numero
uno in seinen letzten 21 Rennen für die Scuderia.
Max Verstappen: Viel Erklärungsbedarf nach dem frühzeitigen Ausfall.
Vor allem aber liefert Sainz mit jedem guten Resultat
ein rasendes Bewerbungsschreiben ab, auch wenn er behauptet, nicht daran
zu denken: «Ich fahre vor allem Rennen, um mir selbst zu beweisen, dass
ich gewinnen kann, wann immer ich ein konkurrenzfähiges Auto bekomme
und sich eine Gelegenheit ergibt. Diese Herangehensweise werde ich für
den Rest des Jahres beibehalten.» Damit kommt das eine zum anderen, und
Papa Carlos senior eilt das Fahrerlager auf und ab, um vom Können seines
Sprösslings zu erzählen. Die besten Chancen hätte vielleicht
Sauber/Audi, aber dazu muss die Technik in Hinwil ZH erst noch deutlich
besser werden. Denn mittlerweile ist Sainz sogar eine überlegenswerte
Alternative bei Red Bull Racing. Wer weiss schon, wohin es Max
Verstappen zieht, wer kann ahnen, was Fernando Alonso im Vertragspoker
einfällt?
Einfacher zu verstehen
Zum ersten Mal seit dem Saisonstart 2022, als Ferrari
schon als Favorit galt, konnten die Italiener einen Doppelsieg
einfahren. Zwei Rote auf dem Podium in Melbourne, wo die Ferrari-Fans
besonders zahlreich sind, gab es zuletzt vor 20 Jahren. Nicht einfach,
jetzt kühlen Kopf zu bewahren, aber darin ist Vasseur geübt. Er muss
allein schon deshalb die Euphorie bremsen, weil der hausgemachte Druck
sonst wieder so stark steigt, dass das noch fragile Teamgebilde daran
zerbrechen könnte: «Dieses Resultat gibt allen im Team ein gutes Gefühl.
Wir haben richtig Druck gemacht, aber wir müssen auf diesem Weg auch
weitergehen. Es geht jetzt wieder von vorn los.» Der Unterschied zum
Vorjahr: das rote Auto ist von Technikern und Fahrern weit besser zu
verstehen.
Deshalb denkt der nun dreifache Grand-Prix-Sieger aus
Spanien gar nicht daran, den Adrenalinspiegel sinken zu lassen: «Ich
habe von Anfang an gesagt, dass wir im richtigen Moment da sein und Red
Bull unter Druck setzen müssen. Dann kann man es manchmal schaffen.
Deshalb müssen wir öfter da sein, wenn wir gewinnen wollen.» Dafür
braucht es auch das nächste Upgrade, vielleicht noch vor dem Start der
Europa-Saison Mitte Mai in Imola. «In Melbourne hat sich mein Auto
jedenfalls von der ersten Runde wie ein Rennwagen angefühlt, mit dem man
gewinnen kann», sagt Herausforderer Sainz, der jetzt schon so etwas ist
wie die Überraschung der Saison.
Fotos: Red Bull, Ferrari, Sauber
RESULTATE
Grand Prix von Australien
Melbourne, 3. von 24 Läufen: 1. Carlos Sainz (E), Ferrari, 58 Runden zu 5.278 km (=306.124 km), 1:20:26.843 Stunden (=228.316 km/h). 2. Charles Leclerc (MC), Ferrari, 2.366 Sekunden zurück. 3. Lando Norris (GB), McLaren-Mercedes, 5.904. 4. Oscar Piastri (AUS), McLaren-Mercedes, 35.770. 5. Sergio Pérez (MEX), Red Bull-Honda, 56.309. 6. Lance Stroll (CDN), Aston Martin-Mercedes, 1:33.222 Minuten zurück. 7. Yuki Tsunoda (J), Racing Bulls-Honda, 1:35.601. 8. Fernando Alonso (E), Aston Martin-Mercedes, 1:40.992 (inkl. 20 Sekunden Strafe für gefährliches Fahren). 9. Nico Hülkenberg (D), Haas-Ferrari, 1:44.553. 10. Kevin Magnussen (DK), Haas-Ferrari, 1 Runde zurück. 11. Alexander Albon (T), Williams-Mercedes, 1 Rd. 12. Daniel Ricciardo (AUS), Racing Bulls-Honda, 1 Rd. 13. Pierre Gasly (F), Alpine-Renault, 1 Rd. 14. Valtteri Bottas (FIN), Sauber-Ferrari, 1 Rd. 15. Guanyu Zhou (CHN), Sauber-Ferrari, 1 Rd. 16. Esteban Ocon (F), Alpine-Renault, 1 Rd. 17. George Russell (GB), Mercedes (Unfall in der letzten Runde; nicht im Ziel, aber gewertet). – Ausfälle: Lewis Hamilton (GB), Mercedes (15. Runde, Motor); Max Verstappen (NL), Red Bull-Honda (3., Bremsen). – 19 Fahrer gestartet, 17 klassiert. – Nicht gestartet: Logan Sargeant (USA), Williams-Mercedes (Auto an Albon abgetreten nach dessen Unfall im ersten freien Training).
Stände. Fahrer: 1. Verstappen, 51 Punkte (2 Saisonsiege). 2. Leclerc 47. 3. Pérez 46. 4. Sainz 40 (1). 5. Piastri 28. 6. Norris 27. 7. Russell 18. 8. Alonso 16. 9. Stroll 9. 10. Hamilton 8. 11. Tsunoda 6. 12. Oliver Bearman (GB), Ferrari, 6. 13. Hülkenberg 3. 14. Magnussen 1. – Konstrukteure: 1. Red Bull-Honda 97 (2). 2. Ferrari 93 (1). 3. McLaren-Mercedes 55. 4. Mercedes 26. 5. Aston Martin-Mercedes 25. 6. Racing Bulls-Honda 6. 7. Haas-Ferrari 4.
Nächster Lauf: Grand Prix von Japan, Suzuka, 7. April, 7.00 Uhr (MEZ).
Die Sauber-Statistik
Valtteri Bottas (Bild)
14. Platz (saisonübergreifend seit 8 Grand Prix oder seit dem GP Katar am 8. Oktober 2023 mit Rang 8 ohne Punkte). – Beste Platzierung im GP: 10. Platz (7. Runde). – Qualifikation: 13. Platz. – Besonderes: Wie beim Auftakt in Bahrain mit langem Boxenstopp (28 Sekunden) wegen Radnabe.
Guanyu Zhou
15. Platz (saisonübergreifend seit 8 Grand Prix oder seit dem GP Katar am 8. Oktober 2023 mit Rang 9 ohne Punkte). – Beste Platzierung im GP: 11. Platz (33./34. Runde). – Qualifikation: 19. Platz (aus der Boxengasse gestartet).