Interview: Jean-Claude Schertenleib | 11.01.2024
Langstrecken-WM Der 24-jährige Jurassier Grégoire Saucy wechselt
vom Formel- in den Langstreckenrennsport. Im Interview
erklärt er, weshalb er sich zu diesem Schritt entschieden hat.
Der Jurassier Grégoire Saucy ist im Kartsport gross geworden und gewann 2021 mit acht Siegen den Titel in der Formel 3 Regional. Nach seinem Wechsel in die FIA Formel 3 stagnierte Saucy jedoch. 2022 erreichte er Gesamtrang 15 (einmal Dritter beim Lauf in Bahrain), 2023 Gesamtrang 14 (einmal Dritter in Monaco). Es war an der Zeit für einen Richtungswechsel. Als Fahrer eines McLaren 720S GT3 Evo für das Team United Autosports startet er in der Langstrecken-WM und sammelt gleichzeitig in den European Le Mans Series Erfahrung im LMP2 des Teams TDS.
AUTOMOBIL REVUE: Der Wechsel in den Langstreckenrennsport ist ein Wendepunkt in Ihrer Karriere. Ist damit der Traum von der Formel 1 geplatzt?
Grégoire Saucy: Monoposti sind gut, damit ein Rennfahrer lernt. Der klassische Karriereweg geht über die Formel Renault und die Formel 3 in die Formel 2. Dort angekommen kann man vielleicht von der Formel 1 träumen.
In der Formel 2 waren Sie nicht. Gab es finanzielle oder politische Hindernisse?
Schauen wir uns die letzten Titelgewinner der Formel 2 einmal genauer an. Oscar Piastri, der Titelgewinner von 2021, hat es in die Formel 1 geschafft. Aber Mick Schumacher, der Meister von 2020, ist zwei Jahre gefahren, Nyck de Vries, der Formel-2-Champion von 2019 ist sogar nur elf Rennen gefahren. Felipe Drugovich, der F2-Meister 2022, ist Testfahrer bei Aston Martin, und der aktuelle Champion, Théo Pourchaire, fährt dieses Jahr in der japanischen Super Formula. Was ich damit sagen will: Selbst wenn du in der Formel 2 gewinnst, ist es keineswegs sicher, dass du ein Cockpit in der Formel 1 bekommst. Und die Chance ist noch geringer, wenn ein Fahrer nicht viel Geld mitbringen kann. Trotzdem, die Formel 1 ist immer noch der Traum eines jeden Fahrers!
Warum also der Wechsel in den Langstreckenrennsport?
Irgendwann in der Karriere kommt der Zeitpunkt, an
dem man an seine Zukunft denken muss. Und das nicht nur kurzfristig.
Mein Ziel war es immer, professioneller Rennfahrer zu werden, was auch
bedeutet, dass ich bezahlt werde und nicht bezahlen muss. Ich habe mit
dem neuen McLaren 720S GT3 Evo eine grossartige Möglichkeit zum Einstieg
in die Langstrecken-WM erhalten.
Das heisst, dass Sie auch Ihre Premiere bei den 24 Stunden von Le Mans erleben?
Ja! Und Sie können meine Familie fragen, ich schwärme
schon lange von Le Mans. Zu wissen, dass ich in Le Mans antreten werde,
ist für mich so aufregend, als böte man mir an, ein paar Runden in
einem Formel-1-Auto zu fahren. Nicht nur den Motorsportfans sind die
24 Stunden von Le Mans ein Begriff.
Sie sind nicht der erste Pilot und Sie werden nicht
der letzte sein, der diesen Karriereweg geht. Nehmen wir den Genfer
Louis Delétraz – ist er ein Vorbild?
Mehrere Fahrer, die ich aus dem Formelrennsport
kenne, haben in den Langstreckenrennsport gewechselt – und machen sich
dort sehr gut! Das motiviert sehr. Dank meines Sponsorpartners Richard
Mille, der sich sehr stark im Langstreckenrennsport engagiert, habe ich
Menschen um mich, die mich sehr gut beraten können.
Neben der Langstrecken-WM, die Sie in der neuen
GT3-Klasse fahren, bestreiten Sie in diesem Jahr noch die European Le
Mans Series, in der Sie aber in einem LMP2 sitzen werden und Erfahrung
mit Prototypen sammeln. Ist das richtig?
Ja, und das ist eine weitere grosse Chance für mich.
Da bekanntlich immer mehr Hersteller in der Königsklasse Hypercars an
den Start gehen, werden immer mehr Fahrer gebraucht für diese Autos. Die
Teams werden genau hinsehen, was sich auf der nächsthöheren Stufe im
Langstreckenrennsport, bei den LMP2, tut. Vielleicht kann ich so das
Interesse eines Hypercar-Teams wecken.
Und was erwarten Sie?
Ich bin einen LMP2 auf der Rennstrecke in Le
Castellet gefahren. Das Fahrgefühl in einem solchen Prototyp gleicht dem
in einem Formel-Boliden, auch wenn der LMP2 in sehr engen Kurven etwas
langsamer ist, unter anderem weil das Auto schwerer ist. Aber ich freue
mich auf dieses Doppelprogramm, das mich dieses Jahr erwartet. Zumal
einige Experten behaupten, dass sich das Fahren eines Hypercars anfühle
wie eine Mischung aus dem Fahrstil mit einem LMP2 und einem GT.