Falsche Signale aus Übersee

Simon Tottoli | 25.01.2024

Mietwagenmarkt Die Ankündigung 
von Hertz, sich von einem Grossteil seiner elektrischen Mietwagen zu trennen, schlug hohe Wellen. Für die Schweiz hat der Entscheid aber kaum Relevanz, weil der ­Mietwagenmarkt hier anders funktioniert.

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Hertz ist nicht gleich Hertz: Während in den USA gern übertrieben wird, operiert die Schweizer Franchisenehmerin (im Bild die Filiale Basel) helvetisch besonnen.

Der Autovermieter Hertz gab am 11. Januar 2024 bekannt, 20 000 der insgesamt 60 000 Elektroautos der US-Flotte verkaufen und mit dem Erlös neue Verbrenner beschaffen zu wollen. Dafür würden hohe Abschreibungen in Kauf genommen. Etwa zwei Jahre zuvor tönte es noch ganz anders. 100 000 Fahrzeuge von Tesla und bis zu 65 000 Polestar wollte Hertz bestellen. Warum dieser Paradigmenwechsel? Offensichtlich rechnen sich die Stromer in den USA nicht. Erstens gibt es zu wenig Nachfrage, und zweitens scheinen die Unterhalts- und vor allem die (Unfall-)Reparaturkosten für Elektrofahrzeuge enorm ins Geld zu gehen.

Nicht vergleichbar

Die AUTOMOBIL REVUE fragte bei drei grossen Schweizer Vermietern nach, und schnell zeigte sich, dass kaum Rückschlüsse auf den hiesigen Markt aus dieser Nachricht gezogen werden können. Nicht einmal beim gleichen Vermieter. Hertz wird in der Schweiz von der Herold Fahrzeugvermietung, einem Unternehmen der Emil-Frey-Gruppe, vertreten. Als Franchisenehmerin nutzt die Firma zwar die Marke und die Buchungsplattform von Hertz, agiert sonst aber weitgehend unabhängig vom US-amerikanischen Konzern. Das gilt auch für die Flottenzusammensetzung. Etwa fünf Prozent der 3000 Mietwagen von Hertz Schweiz sind vollelektrisch (BEV), dazu kommen zehn Prozent Plug-in-Hybride (PHEV). Der Rest sind steckerfreie Hybride oder reine Verbrenner.

An diesem Verhältnis wird sich auf die Schnelle nicht viel ändern, es sei denn, die Importeure wollen das. Hertz Schweiz bezieht die allermeisten Mietwagen nämlich direkt von ihnen. Die Importeure können das Geschäft mit den Autovermietern aktiv zur Steuerung ihrer Zulassungszahlen nutzen. Das hilft im Hinblick auf die CO2-Sanktionen, denn mehr Zulassungen lokal emissionsfreier Fahrzeuge bedeuten weniger Strafzahlungen. Da rund zehn Prozent aller Neuzulassungen in der Schweiz auf Mietwagen fallen, sind die Auswirkungen auf die Gesamtbilanz des Importeurs beträchtlich.

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Vorwiegend fürs Inland: Elektrische Mietwagen wie jene von Tesla werden bei Enterprise selten von Kunden aus dem Ausland gewählt.

Natürlich muss Hertz Schweiz auch selbst aktiv beeinflussen können, wie die eigene Mietwagenflotte aussieht. Der Franchisenehmer tritt als Grosskunde auf, weshalb seine Modellwünsche nach Möglichkeit berücksichtigt werden. Würden die Importeure plötzlich vornehmlich elektrische Fahrzeuge für das Mietgeschäft bereitstellen, hätte Hertz Schweiz ein Problem. Nicht wegen angeblich hoher Unterhaltskosten, die das Unternehmen so nicht bestätigt, sondern wegen der zu geringen Nachfrage. Aktuell werden die Stromer hauptsächlich von Firmenkunden gemietet, die aufgrund ihrer eigenen internen Emissionsziele möglichst viele Geschäftsfahrten emissionsfrei zurücklegen wollen. Auch Schweizer Privatkunden greifen vermehrt zu elektrischen Mietwagen, besonders für längere Nutzungszeiten im Rahmen einer sogenannten Langzeitmiete, die als Autoabo vermarktet wird.

Touristen fahren Verbrenner

Noch nicht wirklich auf den Elektrozug aufspringen wollen aber offenbar die ausländischen Kunden. Das bestätigt zumindest Enterprise Schweiz beziehungsweise die Schweizer Franchisenehmerin Helvetic Motion: «Reisende aus dem Ausland, welche die Schweiz besuchen und bereisen – egal ob geschäftlich oder privat –, kennen die Verlässlichkeit und den Standard der Infrastruktur in der Schweiz nicht. Sie verlassen sich daher zu 99.99 Prozent auf erprobte und bekannte Antriebsformen und buchen einen herkömmlichen Verbrenner», erklärt Thierry Gavoille, der im Unternehmen für die Geschäftsentwicklung verantwortlich zeichnet.

Der Antriebsmix von Enterprise präsentiert sich in der Schweiz ziemlich ähnlich wie derjenige von Hertz: Von rund 2000 Fahrzeugen der Flotte sind jeweils etwa 200 bis 300 (10 bis 15 %) mit ­einem Stromanschluss ausgerüstet, also entweder vollelektrische Wagen oder Plug-in-Hybride. Solange die ausländischen Kunden, allen voran die Touristen, die in den Hauptreisezeiten enorm wichtig für das Geschäft sind, nicht vermehrt elektrisch fahren wollen, dürfte sich diese Verteilung kaum gross verändern. Allerdings geht die Branche davon aus, «dass die Nachfrage ausländischer Kunden nach elektrischen Mietwagen unter anderem durch die vermehrte allgemeine Ausbreitung der Stromer, den Ausbau der Ladeinfrastruktur inklusive vereinfachter Zahlungsabwicklung per Kreditkarte und die Erhöhung der Reichweiten steigen wird». So tönt es jedenfalls bei Hertz Schweiz.

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Europcar hat mit 15 Prozent den höchsten BEV-Anteil und will ihn in den nächsten zwei bis drei Jahren auf 50 Prozent erhöhen.

Von einer wachsenden Nachfrage nach Mietstromern ist auch Europcar Schweiz überzeugt. Die Amag-Tochter ist bei der Elektrifizierung deutlich weiter als ihre Mitbewerber und äussert zudem konkrete Stromer-Expansionspläne: «Bereits heute verfügen wir über die grösste BEV-Flotte aller Autovermieter in der Schweiz, welche sich gemessen an unserer Gesamtflotte auf 15 Prozent BEV beläuft. In den nächsten zwei bis drei Jahren wird die BEV-Flotte stark weiterwachsen und 50 Prozent der Gesamtflotte ausmachen», sagt Marketingleiter Martin Helg. Der bereits heute verhältnismässig hohe Elektroanteil ist nicht ganz zufällig, schliesslich hat Europcar in der Schweiz vornehmlich Amag-Marken in seiner Flotte, welche die Elektrifizierung selbst stark vorantreiben.

Keine Schweizer Langläufer

Ob in diese oder in eine andere Richtung: Auf ­eine sich verändernde Nachfrage können die Schweizer Vermieter sehr schnell reagieren. Hierzulande bleiben Mietwagen nämlich stets nur ein paar Monate in der Flotte und gehen danach zurück zum Importeur, der sie über die eigenen Vertriebskanäle auf den Occasionsmarkt bringt. Auch dadurch unterscheidet sich das Schweizer Autovermietungsgeschäft deutlich von jenem in den USA. Dort werden die Autos viel länger in den Flotten gehalten und danach durch den Vermieter selbst verkauft.

Normalerweise hängt Hertz USA nicht an die grosse Glocke, was gekauft und verkauft wird (ausser bei ganz speziellen Modellen wie etwa dem legendären Ford Mustang GT-H). Dass man es jetzt gleich zweimal tat – zuerst bei den grossen Elektro-Beschaffungsplänen, jetzt beim grossen Elektro-Exodus –, dürfte mit Marketingüberlegungen respektive einer Aktionärsberuhigung zusammenhängen. Hertz USA scheint die Situation auf dem Heimmarkt schlicht falsch eingeschätzt zu haben, was sich in einem tendenziell sinkenden Aktienkurs und somit unzufriedenen Anteilseignern widerspiegelt. Mit dem Schweizer Markt hat das alles aber herzlich wenig zu tun. 

Fotos: Herold Fahrzeugvermietung AG, Helvetic Motion AG, Europcar AMAG Services AG

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