Car of the Year – Ein knapper Sieg für Renault

Simon Tottoli | 29.02.2024

Car of the Year Der Renault Scenic E-Tech ist zum Auto des Jahres 2024 gekürt worden. Er lieferte sich ein Haube-an-Haube-Rennen mit dem BMW 5er, das letztlich durch ein Hauptkriterium 
entschieden wurde.

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Die Trophäe für das Auto des Jahres 2024 geht nach Frankreich: Gilles Le Borgne, technischer Vorstand von Renault, durfte die Auszeichnung von Jurypräsident Sören Rasmussen (l.) entgegennehmen.

Man mag über den Genfer Autosalon 2024 denken, was man will, aber der Anfang war auf jeden Fall so glamourös, wie man es von früher gewohnt war. Auf dem Programm des allerersten Pressetermins am Montagmorgen um acht Uhr stand die Zeremonie zur Auszeichnung des Car of the Year 2024. Dass das Resultat dieser Wahl im Rahmen des Autosalons verkündet wird, ist Tradition. Und so liessen es sich Hunderte Autojournalisten aus aller Welt nicht nehmen, vor Ort dabei zu sein. Der Anlass wurde zudem als Online­stream übertragen, auch auf der Website der AR.

Enges Duell an der Spitze

Sören Rasmussen, Präsident der Car-of-the-Year-Jury, gab nacheinander die Ergebnisse aus den 22 europäischen Ländern bekannt, die mindestens ­einen Juror stellen (die Schweiz stellt drei). Bald zeichnete sich ein Zweikampf zwischen dem Renault Scenic E-Tech und dem BMW 5er ab. Während die anderen fünf Finalisten schnell auf verlorenem Posten standen, regneten die Punkte nur so auf die beiden ein. Einmal führte der Franzose, dann wieder der Deutsche. Am Ende waren es exakt 21 Wertungspunkte, die den Ausschlag gaben.

Total 329 Punkte verteilten die 58 stimmberechtigten Juroren dem elektrischen Renault Scenic E-Tech, ebenfalls sehr gute 308 Punkte erhielt der sowohl als Verbrenner als auch als Teil- oder Vollzeitelektriker erhältliche BMW 5er respektive i5. Gilles Le Borgne, technischer Vorstand von Renault, nahm als Verantwortlicher für die Entwicklung des Siegerfahrzeugs die begehrte Trophäe in Empfang, nachdem er sich zuerst einige Schweisstropfen von der Stirn gewischt hatte.

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Wie in alten Tagen: Wenn in Genf das Auto des Jahres bekanntgegeben wird, kommen die Journalisten in Scharen – auch an einen kleinen Salon.

Es ist noch nicht lange her, da war das End­ergebnis noch weit knapper. 2019 setzte sich der Jaguar I-Pace mit nur einem Pünktchen Vorsprung gegen die Alpine A110 durch. Aber die 21 Punkte Differenz, die dieses Jahr den Renault und den BMW trennen, sind immer noch wenig, wenn man die Wahlprozedur betrachtet. Jedes der 58 Jurymitglieder musste 25 Wertungspunkte auf die sieben Finalisten aufteilen. Dem persönlichen Favoriten durften höchstens zehn Punkte gegeben werden, dem Zweitplatzierten maximal neun und die restlichen sechs Punkte galt es nach Belieben zu verteilen, wobei fünf der sieben Autoneuheiten zumindest einen Punkt bekommen mussten. Klingt kompliziert, und ist es auch. Aber es macht Sinn.

Überzeugender Franzose

Ursprünglich standen mehr als 50 Kandidaten – allesamt Modellneuheiten – zur Auswahl, welche die Juroren gewissermassen im ersten Wahlgang auf sieben reduzierten. Das heisst, von den Finalisten konnte eigentlich gar keiner nicht in irgendeiner Form überzeugen. Selbst der letztplatzierte Toyota C-HR holte 127 Punkte. Vier mehr, 131 Punkte, gab es für den BYD Seal, das erste chinesische Modell überhaupt, das es in die Endausscheidung schaffte. Volvo EX30 (168 Punkte), Kia EV9 (190) und Peugeot E-3008/3008 (197) erhielten noch etwas mehr Zuspruch. Sie alle blieben aber doch deutlich hinter den beiden Spitzenreitern von Renault und BMW zurück.

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Gut, aber zu teuer: Viele Juroren verweigerten dem BMW 5er und seinem Elektropendant i5 deshalb Punkte.

Dass der Renault Scenic E-Tech am meisten Punkte abstaubte und Renault die insgesamt sechste Car-of-the-Year-Trophäe sicherte, verdankt er seiner sinnvollen Grösse (Länge 4.47 m), einem vertretbaren Gewicht (deutlich unter zwei Tonnen) und einem guten Raumangebot (Kofferraumvolumen 545–1449 l). Auch Verarbeitungsqualität und Materialauswahl wurden von vielen Juroren gelobt, das Gleiche gilt für den verhältnismässig effizienten Elektroantriebsstrang mit 500 Kilometern realistischer Reichweite und die faire Preisgestaltung (die sehr gut ausgestattete Basisvariante ist ab 43 700 Franken bestellbar). Ausserdem erhielten das Infotainmentsystem mit Google-Integration sowie das Fahrverhalten mit einer guten Mischung aus Komfort- und Dynamiktalenten viel Zuspruch.

Zu teurer BMW

Wenn es ums Fahrverhalten geht, muss sich ein BMW traditionell keine Vorwürfe gefallen lassen. Das ist bei der neuen 5er-Reihe mit dem Herstellercode G60 nicht anders. Die sowohl als Benziner oder Diesel als auch mit Plug-in-Hybrid- und reinem Elektroantrieb verfügbare Neuauflage des beliebten Vertreters der oberen Mittelklasse holte sich mit ihrem agilen Wesen gleich bei sechs Juroren die maximal möglichen zehn Punkte, dem Renault Scenic E-Tech wurde diese Ehre lediglich zweimal zuteil. Gleichzeitig straften viele Juroren den Bayern mit sehr wenigen oder sogar null Punkten ab. Und eigentlich alle aus einem Hauptgrund: der Preisgestaltung.

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So haben die einzelnen Länder gewählt. Insgesamt konnten die 58 Juroren 1450 Punkte vergeben, jeder einzelne 25.

Ein Jurymitglied aus Belgien merkte an, dass ein Modell, dessen Preise erst bei über 60 000 Euro begännen (Basispreis in der Schweiz 67 700 Franken für die 153 kW/208 PS starke 520i-Limousine), kein Auto des Jahres sein könne, und gab dem BMW deshalb keinen einzigen Punkt. Viele Juroren sahen das ähnlich, umso mehr, als der Kaufpreis mit einigen Kreuzchen in der ellenlangen Aufpreisliste nochmals deutlich in die Höhe geschraubt werden kann (s. auch Test des BMW i5 M60 xDrive in AR 7/2024).

So blieb dem neuen 5er und damit seinem elektrischen Pendant i5 am Schluss nur das Nachsehen, obwohl sie mit zahlreichen Eigenschaften überzeugen: Neben dem Handling gehören unter anderem das hervorragende Raumangebot, die sehr gut funktionierenden Assistenzsysteme sowie die grösstenteils hochwertige Anmutung dazu. Aber die Car-of-the-Year-Jury bestimmt nicht einfach das beste Auto des Jahres, sondern jenes mit dem besten Gesamtpaket. Und hier gab es 2024 am Renault Scenic E-Tech kein Vorbeikommen. Übrigens: Bei unserer Leserumfrage (s. AR 8/2024) landete der Renault auf Platz zwei, knapp hinter dem Peugeot E-3008/3008. Der BMW 5er/i5 erhielt am viertmeisten Stimmen. 

Fotos: Car of the Year, Simon Tottoli

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