Die chinesischen Hersteller erhöhen das Tempo

Peter Ruch | 11.04.2024

Automarkt Es sind eigentlich gute Nachrichten aus China: Die ­Batterietechnik macht weitere Fortschritte. Doch die europäischen Hersteller wird das nicht freuen.

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Kürzlich fuhr der Gründer des chinesischen Herstellers Nio, William Li, ein bisschen übers Land in einem ET7 (Bild unten). Auf seinem Ausflug, der teilweise live übertragen wurde, plauderte Li über die technischen Feinheiten des Fahrzeugs, das er keineswegs zurückhaltend bewegte. Er erzählte etwas von ­einer ganz neuen Semi-Solidstate-Batterie (SSB), also ­einer ersten Form eines Feststoffakkus. Über die genaue Zusammensetzung der Batterie sagte er nichts, aber Li nannte spannende Zahlen: 150 kWh Kapazität, eine mittlere Energiedichte von 260 Wh/kg (bisher galten 200 Wh/kg als sehr gut) und ein Gewicht von 676 Kilogramm. Vor allem der letzte Punkt ist spannend. Der 135-kW-Akku von BYD, der bislang als Langstrecken-Weltmeister galt, wiegt über 900 Kilogramm. William Li fuhr mit dem Nio ganz entspannt deutlich über 1000 Kilometer weit, meinte aber, dass die offizielle Reichweite bei 1150 Kilometer liegen werde.

Immer schneller

Dass die Feststoffbatterien die Zukunft der Elektromobilität bedeuten, ist schon länger klar, auch deshalb, weil sie eine Energiedichte von wohl bis zu 400 Wh/kg aufweisen können. Je höher die Energiedichte, desto kompakter (und folglich leichter) kann der Akku gebaut werden. Die neue Wunderbatterie von Nio kommt vom noch jungen chinesischen Hersteller We Lion New Energy Technology, und sie ist nicht ferne Zukunft, sondern wird bereits in Grossserie gebaut. Nio wird erste Fahrzeuge schon in den nächsten Wochen damit ausrüsten, allerdings nur für seine eigenen Power-Swap-Stations. Dort erhält das Fahrzeug von ­einem Roboter innerhalb von fünf Minuten eine frische Batterie. In China funktionieren diese Wechselstationen bestens, in Europa konnten sie sich bisher nicht durchsetzen.

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Für die (chinesischen) Kunden sind das gute Nachrichten, das Thema Reichweitenangst dürfte damit endgültig vom Tisch sein. Doch auch beim klassischen Laden geht zurzeit die Post ab. Der erneuerte Zeekr 001 hat jetzt eine 95-kWh-Batterie von Catl, die deutlich höhere Ladegeschwindigkeiten möglich macht. Bei einer offiziellen Messung an einem der neuen Supercharger mit bis zu 600 kW Ladeleistung schaffte sie die Ladung von zehn auf 80 Prozent in 11:28 Minuten, in fünf Minuten war Strom für 264 Kilometer geladen, in zehn Minuten für 432 Kilometer. Der aufgefrischte Zeekr 001 wird bald auch in Europa zu kaufen sein, aber wahrscheinlich nicht mit dieser neuen Batterie, weil es hier noch keine Schnelllader mit einer Leistung von mehr als 350 kW gibt. Nebenbei erwähnt: In China werden von Zeekr-Mutter Geely gerade die ersten 800-kW-Ladestationen aufgestellt.

Nicht alles Gold

Unterdessen geht der Kampf um Marktanteile und auch das Überleben munter weiter. Mit Hiphi steht eine der Marken, die schon früh in Europa Fuss fassen wollten, kurz vor dem Bankrott. Auch Zeekr hat finanzielle Probleme, seit der Lancierung im Jahr 2021 fuhr die Geely-Tochter fast drei Milliarden Dollar Verluste ein. Und sieht sich jetzt einem neuen, sehr starken Konkurrenten gegenüber: Xiaomi, einer der führenden Handy- und Softwarehersteller, startete mit seinem komplett neuen SU7 (Bilder unten) sehr erfolgreich, innert 24 Stunden nach dem offiziellen Launch konnten fast 90 000 Fahrzeuge verkauft werden.

Xiaomi sieht seinen SU7 nicht unbedingt als ein Automobil, sondern mehr als Fortsetzung seiner digitalen Strategie in alle Lebensbereiche vorzudringen, quasi als ein überdimensionales Smartphone, das nebenbei auch Personen transportieren kann. Die etablierten europäischen, asiatischen und amerikanischen Hersteller dürften froh sein, dass Xiaomi vorerst im Reich der Mitte bleiben will – was die Chinesen an tatsächlich funktionierenden Infotainmentsystemen bieten können, ist jetzt schon ein paar Stufen besser als alles, was in den nächsten Jahren aus Stuttgart, Wolfsburg oder Detroit kommen kann. Erschrecken muss die dortigen Entwicklungsabteilungen vor allem das Tempo, das die Chinesen weiterhin vorlegen.

Energiewende

Anscheinend spürt das auch Tesla. Obwohl sich die Amerikaner den Titel als weltgrösster EV-Hersteller in den ersten drei Monaten des Jahres 2024 von BYD wieder zurückholen konnten, werden sie wohl auf weitere Entwicklungsarbeiten an einem preisgünstigeren Fahrzeug unterhalb des Model 3 verzichten. In erster Linie, weil sie zur Überzeugung gelangten, nicht mit den chinesischen Herstellern mithalten zu können, weder technologisch noch preislich. Und wenn sogar Elon Musk, der in China sehr erfolgreich produzieren lässt, diese Fakten akzeptiert, dann müssten andere Hersteller ihre Pläne vielleicht noch einmal überdenken.

Die Verkaufszahlen in China selber sind derzeit geprägt von einem wilden Ab und vor allem Auf. Im März 2024 wurden insgesamt 1.7 Millionen Automobile verkauft, nur sieben Prozent mehr als im Vergleichsmonat des Vorjahres, aber stolze 54 Prozent mehr als im Februar 2024. Für das erste Quartal wurden 4.84 Millionen Verkäufe gemeldet, ein Plus von 13 Prozent. Das liegt in erster Linie an den Festtagen, das chinesische Neue Jahr beginnt ja nicht immer am gleichen Datum – und die Bänder der Fabriken stehen dann jeweils ein paar Tage mehr oder weniger still. Wenn nur die NEV (New Energy Vehicle), also reine Stromer und Plug-in-Hybride, betrachtet werden, stiegen die Verkaufszahlen in den ersten drei Monaten des Jahres um 31 Prozent auf 1.96 Millionen Einheiten. Im März lag der Anteil der NEV bei 41.1 Prozent am Gesamtmarkt. Experten gehen davon aus, dass NEV noch in diesem Jahr auf einen Marktanteil von über 50 Prozent kommen könnten – damit gelänge dem grössten Markt der Welt auch als erster die Energiewende. 

Verkaufszahlen NEV* 
in China im März 2024

1. BYD 301 631

2. Tesla (nur EV) 89 064

3. Changan 52 900

4. Geely 44 791

5. Saic-Wuling 34 398

6. GAC-Aion 32 530

7. Li Auto 28 984

14. Saic-Volkswagen 9543

20. FAW-Toyota 5238

23. Dongfeng-Nissan 3193

Fotos: Xiaomi, Zeekr, Changan, Hongqi, Xpeng, Nio

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