Klaus Justen | 11.07.2024
China Der Markt für Elektroautos in Fernost boomt, aber es weht
ein eisiger Wind. Der Konkurrenzkampf im Land ist hart, der internationale Markt ebenso.
Nennt man es Marktwirtschaft, nennt man es Darwinismus? Auf dem chinesischen Automobilmarkt hat ein Grossreinemachen begonnen, mehr als 400 Elektroauto-Start-ups haben bereits wieder das Zeitliche gesegnet. Schwarze Zahlen zu schreiben, gelingt nur wenigen.
Daniel Kirchert, Chef der Schweizer Service- und Vertriebsplattform für chinesische Elektrofahrzeuge Noyo, sieht die chinesischen Hersteller in einem «Kampf ums Überleben». Durch diesen gnadenlosen Wettbewerb im Land selber hätten sich die chinesischen Marken aber einen grossen Kostenvorteil im globalen Wettbewerb erarbeitet, sagte Kirchert der «Deutschen Welle».
Das unterstreicht der aktuelle Electric-Vehicle-Index der Unternehmensberatung McKinsey. Weltweit wurden 2023 fast 14 Millionen Elektroautos verkauft. China hat daran einen Marktanteil von 60 Prozent. Trotz der aktuellen Kaufzurückhaltung vor allem in Deutschland, aber auch in der Schweiz, wächst der globale Markt für batterieelektrische Fahrzeuge und Plug-in-Hybride weiterhin stark, 2023 um 35 Prozent. Überdurchschnittlich schnitt dabei China selbst ab, hier stiegen die Verkäufe um 37 Prozent auf über acht Millionen Stück. Auch der US-Markt verbuchte hohe Zuwächse, plus 48 Prozent ergaben 1.5 Millionen E-Fahrzeuge. In Europa wurden zwar doppelt soviele BEV und PHEV verkauft wie in den USA, aufgrund der starken Wachstumsraten der Vorjahre starteten die Europäer aber von einem deutlich höheren Plateau, der Zuwachs 2023 lag demnach nur bei 16 Prozent.
In China selbst setzt sich der Boom fort. Für den April meldete «Car News China» historische Daten: In der ersten Hälfte des Monats erreichte der Absatz von New Energy Vehicles (NEV) – das sind Fahrzeuge mit Stecker – mehr als die Hälfte der gesamten Verkaufszahlen. Das wurde begünstigt durch einen Verkaufsrückgang von rund elf Prozent für den Gesamtmarkt, aber die insgesamt rund 260 000 NEV in der ersten April-Hälfte waren gleichzeitig ein Plus von 32 Prozent zum Vorjahr – und damit lag der Marktanteil plötzlich bei 50.4 Prozent. Diese Marke sollte, so alle Prognosen, eigentlich erst 2028 erreicht werden.
Überkapazitäten von bis zu 40 Prozent
Vorneweg marschiert BYD, das beim Preiskampf den
längsten Atem zu haben scheint und nach Aussage eines chinesischen
Branchenkenners «nur darauf wartet, dass den Konkurrenten die Reifen von
der Felge springen». Im Schnitt verkauft BYD rund eine Viertelmillion
BEV und PHEV im Monat. Damit hat sich das chinesische Unternehmen klar
an die Spitze gesetzt, deutlich abgeschlagen liegen Tesla und Geely auf
den Plätzen dahinter.
Trotz hoher Absatzzahlen im eigenen Land sprechen Branchenexperten wie McKinsey-Partner Patrick Schaufuss von Überkapazitäten im Bereich von bis zu 40 Prozent, der Wettbewerbsdruck sei hoch: «Knapp 130 Marken mit über 400 angebotenen E-Auto-Modellen buhlen um Kunden. Die Folge könnte nicht nur eine Konsolidierung im Markt sein, sondern auch eine starke Exportorientierung der erfolgreichen Marken.» Der Export ist durch die Strafzölle der USA und der EU nicht einfacher geworden, aber für Hersteller wie Aiways ist die Ausfuhr trotzdem der Notausgang. Das Unternehmen stellt dem Vernehmen nach seine Vertriebsaktivitäten in China selbst ein und konzentriert sich mit seinen rund 10 000 Autos jährlich auf die internationalen Märkte. Damit ist Aiways der erste rein chinesische Hersteller, der diesen Weg geht. Aufgrund ihrer Kostenvorteile «von bis zu 30 Prozent gegenüber westlichen Herstellern erwarten die chinesischen Hersteller im Ausland höhere Renditen», so Schaufuss.
Zehn Millionen E-Fahrzeuge 2024?
In den ersten fünf Monaten des Jahres hat China
2.45 Millionen Fahrzeuge exportiert, das ist ein Plus von 26 Prozent und
entspricht einem Gegenwert von 46.4 Milliarden US-Dollar, vermeldet die
China Passenger Car Association (CPCA). Die Wertsteigerung fiel damit
etwas schmaler aus als die Stückzahl, nämlich um 20.1 Prozent. Grösstes
Zielland war Russland mit mehr als 370 000 Fahrzeugen, allerdings
hauptsächlich Verbrennern. Brasilien und Belgien waren die grössten
Abnehmer für Elektroautos, in diese Länder wurden nur ein paar Tausend
Verbrenner exportiert.
Wohin die Reise gehen wird, hat Wan Chang, Vorsitzender
der China Association for Science and Technology, Ende Juni beim
Sommertreffen des World Economic Forum (WEF) im nordchinesischen Dalian
zu verstehen gegeben. Er erwartet, dass die Produktion von
Elektrofahrzeugen in China in diesem Jahr zehn Millionen Einheiten
überschreiten wird. Zum Vorjahr wäre das ein Anstieg von fast 30
Prozent. Trotz der neuen Zölle sei der Trend zu Elektrofahrzeugen
unaufhaltsam. China werde diesen Weg trotz etwaiger Unebenheiten
konsequent weitergehen. Da viele chinesische Automobilhersteller auch in
anderen Ländern Fabriken errichteten, werde deutlich, dass chinesische
Unternehmen auf dem globalen Markt führend sein würden.
Da wären wir dann wieder bei Charles Darwin: Nur die Fittesten überleben.