Es war wahrlich ein Fest!

Peter Ruch | 02.05.2024

Show Automessen sind tot? Auf Gims oder
IAA mag das zutreffen, doch die Auto China
in Peking zeigt, dass es auch ganz anders geht.

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Es gibt zwei Betrachtungsweisen. Die eine ist jene vom Reissack, der in China umfällt und entsprechend grosse Auswirkungen hat, also keine. Und dann gibt es die andere vom berühmten Schmetterlingsflügelschlag, der gleich einen Tsunami auslösen soll. Wie so oft liegt die Wahrheit irgendwo nah an der Mitte, doch so langsam schlägt sie sich immer mehr auf die Seite der chinesischen Schmetterlinge, zumindest in der Autoindustrie.

Junges Publikum

Dabei geht es nicht nur um die Produkte und Technologien, welche die chinesischen Hersteller bei ihrem Heimspiel auf der Auto China in Peking auffuhren, sondern auch um das Publikum. Neben ein paar Dutzend mürrisch dreinblickenden Europäern drängten sich am Pressetag Tausende von Influencern, Youtubern, Tiktokern, Wechatern um und in die Autos, alle fröhlich, positiv, wild in ihre Gerätschaften plappernd, wahrlich vorfreudig auf eine der 117 Weltpremieren der Show. Und ja, das Publikum ist jung, sehr jung, zieht man die grimmigen «laowai» (Ausländer) ab, dann liegt der Altersdurchschnitt wohl bei etwa 25 Jahren.

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Die chinesischen Hersteller engagieren gern ganze Frauschaften von Influencern. Kann man belächeln, sollte man aber nicht, ihre Reichweite ist gigantisch.

Das Geschäft läuft hier anders. Es sind nicht ein paar auserlesene Journalistinnen und sonstige Berichterstatter, die ihrer Leserschaft aus erster Hand und mit unbestechlicher Kompetenz von den Neuheiten berichten. Die chinesischen Hersteller verpflichten Influencer im Dutzend, die stehen den ganzen Tag vor einem Fahrzeug, die einen sind einfach schön oder zumindest cool, andere chatten den ganzen Tag mit ihren Followern, beantworten Fragen, posieren, lächeln.

Neue Wege

Kann man belächeln, sollte man aber nicht, denn gewisse dieser Damen und Herren haben mehrere Millionen «Kunden» – bei Xiaomi, eigentlich Handyhersteller, seit Kurzem aber auch Autoproduzent, rechnet man während der Auto China mit mindestens 300 Millionen Kontakten allein über die hauseigene Social-Media-Truppe. Natürlich drängen die nicht alle morgen schon zu den Händlern (Xiaomi verkauft ohnehin nur online), aber mehr als 75 000 Exemplare seines bisher ersten und einzigen Modells, des mindestens 30 000 Dollar teuren SU7, hat Xiaomi schon verkauft. In knapp einem Monat. Am Eröffnungstag der Messe stand das Publikum mehrere Stunden an, um sich auf dem sehr zurückhaltend gestalteten Stand ein genaueres Bild des Fahrzeugs machen zu dürfen, das nicht einmal zu den Weltpremieren zählte. Es sind Geschichten, die an die guten Zeiten der europäischen Autoindustrie erinnern, 1955 vermeldete Citroën, auf der Messe in Paris 80 000 Kaufverträge für die ganz neue DS ausgestellt zu haben. Ältere Leserinnen und Leser können sich vielleicht auch noch an frühere Jahre am Autosalon Genf erinnern, als man in den Menschentrauben kaum mehr erkennen konnte, was denn Ferrari oder Skoda als Neuheit präsentierte.

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Schon am Pressetag war die Auto China besser besucht als der Genfer Salon 2024 während seiner ganzen Öffnungszeit.

Es fällt bei so vielen Weltpremieren schwer, die Übersicht zu behalten. Allein deshalb, weil die einzelnen Marken schwer voneinander zu unterscheiden sind. Die chinesischen Hersteller sind Meister der Kooperationen, insbesondere wenn es um Software und Vertrieb geht. Baidu spielt da mit, das chinesische Google, Alibaba ist dabei, das chinesische Amazon, Huawei darf mittun, das chinesische Apple, die grossen Batteriehersteller (Catl, BYD) haben sowieso eine Sonderstellung. Bei den chinesischen Marken, die auch in der Schweiz vertreten sind (viele sind es ja noch nicht), gefiel MG mit ­einer extrem flachen Studie, BYD mit dem Ocean, zu dem der grösste chinesische Hersteller aber noch nichts erzählen wollte ausser, dass er auf einer neuen Plattform stehe, und Voyah/Dongfeng mit einer Reihe von Neuheiten, die wir in der nächsten Ausgabe vorstellen werden.

Gelungenes Design

Einer der wahren Höhepunkte der Auto China war aber sicher der Nio ET7, der eine erste Semi-Feststoffbatterie erhalten wird – und damit auf ­eine rein elektrische Reichweite von mehr als 1000 Kilometern kommen soll. Ja, das ist Zukunftsmusik, die schon am 1. Juni diesen Jahres in den Verkauf kommt. Auch der IM L6 verfügt über eine neue solche Batterie, ist aber schon am 13. Mai verfügbar. Geely zeigte mit dem Galaxy das sicher weltschönste Fullsize-SUV, wie die Chinesen ganz allgemein gewaltige Fortschritte machen beim Design, Li Ato, Xpeng und vor allem Avatr brauchen sich beim besten Willen nicht mehr zu verstecken vor den grossen europäischen Namen. Ganz im Gegenteil, auch die optischen Trends werden in Zukunft wohl in China gesetzt.

Dazu passt, dass Volkswagen künftig wohl grosse Bereiche der Fahrzeugentwicklung nach China auslagern wird. Auf der Auto China zeigten die Wolfsburger noch einigermassen verschämt den ID.Code 01, der eine neue Designsprache nur für den grössten Automarkt der Welt auf den Weg bringen soll. Selbstverständlich nur ein Konzept, es wird noch viel Wasser den Jangtsekiang hinunterfliessen, bis dieses SUV in Serie geht. Studien übrigens lassen die Chinesen inzwischen weg, sie planen den Modellwechsel unterdessen in Schritten von 18 Monaten. Doch Volkswagen hatte in Peking trotzdem eine wichtige Neuerung zu bieten: Es gibt eine neue Billigmarke namens Jetta. Und nein, da wird nicht der alte Jetta auf Golf-Basis angeboten, dafür die gleichen Modelle wie sonst für den chinesischen Markt, einfach zu einem tieferen Preis. Interessante, wenn auch irgendwie unverständliche Strategie.

Etwas hilflose Europäer

Mercedes präsentierte als Weltpremiere die rein elektrische G-Klasse in China, Lamborghini den Plug-in-Urus, BMW den aufgefrischten i4, Audi ein paar aussergewöhnliche Lackierungen, Porsche übertraf sich selber mit einem grauen Macan und einem grauen Taycan, mehr war nicht. Stellantis wagte sich gar nicht erst in den fernen Osten. Was aber vielleicht auch von der Hilflosigkeit der etablierten europäischen Hersteller zeugt. Toyota dagegen scheint seinen eigenen Weg gefunden zu haben, wie man mit der chinesischen Technologie­vorherrschaft bei den Stromern umgehen will: Gleich zwei neue EV wurden vorgestellt. Entwickelt von und mit BYD. 

Fotos: radical-mag.com

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