Rallyeboliden Für sein erstes grosses Motorsport-Engagement schickt Dacia drei innovative Werkswagen in die Wüste. Der Prototyp für die Topkategorie T1+ entsteht in Kooperation mit der britischen Edelschmiede Prodrive.
Raus aus dem Schatten, rein ins Rampenlicht. Galt Dacia bisher eher als graue Maus und stand in der Unternehmensgruppe neben Konzernmutter Renault sowie Nissan, Alpine, Infiniti und Mitsubishi für einfache Alltagautos, soll sich dies durch die Dacia Sandriders ändern. Der Name ist Programm. Ab 2025 wird das Dacia-Werksteam bei der Rallye Dakar und der Rally-Raid-WM mit drei Prototypen antreten. «Mit diesem Dakar-Programm wollen wir zeigen, dass Dacia cool ist. Immer grössere Displays, Videoscreens und elektronische Gimmicks sind nicht unser Ding. Ein Dacia ist ein robustes und wertiges Auto für den Alltag und für draussen», erklärt der Dacia-Vorstandsvorsitzende Denis Le Vot, und ergänzt: «Was wollen wir in Le Mans? Die Rallye Dakar ist ein grosses Abenteuer, bei dem robuste und praktikable Technik gefragt ist – dies passt perfekt zu Dacia und unserem Crossover-Angebot.»
Reduziert aufs Wesentliche
Die Verantwortlichen scheinen nichts dem Zufall zu überlassen. Als technischer Leiter fungiert Philip Dunabin, der unter der Ägide des heutigen Renault-Alpine-Motorsportchefs Bruno Famin die Dakar-Siege 2016, 2017 (Stéphane Peterhansel) und 2018 (Carlos Sainz sen.) feierte und die Verbindung zwischen Dacia und dem Entwicklungs- und Einsatzteam von Prodrive bildet. Dessen Chef David Richards führte in den 1990er-Jahren mit Subaru schon einmal eine zuvor wenig beachtete Marke mit einem Motorsportprogramm zu WM-Titeln und veränderte deren Image positiv. Ähnliches will Dacia erreichen. Gleichzeitig soll das Rallye-Engagement das Bekenntnis der Marke untermauern, «das Essenzielle neu zu definieren», wie Dacia-Designchef David Durand betont.
Dass dies keine leeren Worte sind, zeigte sich bei
einem exklusiven Besuch im Konzernentwicklungszentrum in Guyancourt vor
den Toren von Paris. So ist das Design des auf einem Gitterrohrrahmen
aufbauenden Dacia Sandrider auf das Wesentliche reduziert. Der
Designverantwortliche für Studien und Konzepte, Romain Gauvin, führte
den Zeichenstift mit seinem Team sehr geradlinig (s. auch Artikel Seite
4). So präsentiert sich der Prototyp der Topkategorie T1+ mit einem
Radstand von 3000 Millimetern, ist 4140 Millimeter lang, 1810 Millimeter
hoch, nutzt mit 2290 Millimetern die maximal erlaubte Breite voll aus
und verfügt nur über Karosserieteile, die absolut notwendig sind.
Angriff mit Synfuel
Die Fahrercrews mit der französischen Rallyekoryphäe
Sébastien Loeb als Aushängeschild waren von Anfang an in die Entwicklung
eingebunden. Dabei wurde mittels 3-D-Simulation nicht nur am optimalen
Arbeitsplatz von Fahrer und Beifahrer mit modularer Gestaltung des im
oberen Bereich mit Antireflexionsfarbe aus der Luftfahrt lackierten
Armaturenträgers gefeilt, sondern vor allem am optimalen Sichtfeld, wie
die kurze Motorhaube mit abgeschrägtem Design zeigt. Zudem wurden in die
Karbonkarosserieteile am Cockpit Anti-Infrarot-Pigmente integriert, um
die Temperatur im Innenraum niedrig zu halten. Für dieses Verfahren
meldete Dacia ein Patent an. Ein weiterer Clou sind Magnetplatten, die
bei Reparaturen oder Radwechseln im Gelände verhindern sollen, dass
Muttern oder Schrauben verloren gehen.
Im Vergleich mit dem aktuellen Prodrive Hunter, den
Sébastien Loeb sowohl 2023 als auch 2024 auf das Dakar-Podium steuerte,
soll der Sandrider nicht nur gut 15 Kilogramm weniger wiegen, sondern
auch einen um zehn Prozent geringeren Luftwiderstand und einen um 40
Prozent geringeren Auftrieb aufweisen. Ein weiterer Schwerpunkt ist laut
Dunabin die Luftführung zur Kühlung des 360 PS und 540 Newtonmeter
leistenden Dreiliter-V6-Twinturbomotors von Konzernschwester Infiniti.
Das Triebwerk wird voraussichtlich mit synthetischem Kraftstoff
betrieben. «Dies ist eine einfache und erschwingliche Lösung, um die
Umweltauswirkungen zu reduzieren», sagt der Dacia-Vorstandsvorsitzende
Denis Le Vot. «Der synthetische Kraftstoff kombiniert Wasserstoff, der
mit erneuerbarer Energie gewonnen wird, mit gebundenem CO2. Ergebnis ist
ein kohlenstoffärmerer Kraftstoff, der für moderne Motoren geeignet
ist. Für Dacia ist die Rallye Dakar das ideale Testfeld für diese
Technologie», betont Le Vot.
Rennpremiere im Oktober
Läuft alles nach Plan, soll der Roll-out des
innovativen Offroaders Anfang April bei Prodrive in England steigen.
Danach folgen unterschiedlich lange und intensive Tests im
südfranzösischen Testareal von Château de Lastours und vor allem in der
steinigen oder sandigen Abgeschiedenheit von Marokko. Im Juni soll die
zweite, noch intensivere Testphase eingeläutet werden. Das
Wettbewerbsdebüt ist für den finalen WM-Lauf in Marokko von 5. bis
11. Oktober 2024 geplant. Dort sollen wie später bei der Rallye Dakar im
Januar 2025 alle drei Teams am Start stehen.
Die Dacia-Fahrerriege wird angeführt von Sébastien Loeb und seinem Co-Piloten Fabian Lurquin. «Es war nicht schwer, sich für dieses sehr professionelle Projekt zu entscheiden. Ich hatte zwar noch andere Möglichkeiten, aber die Erfahrung mit unserem aktuellen Auto bei einem brandneuen Projekt eines ambitionierten Herstellers nutzen zu können, verbessert die Chancen, die Dakar zu gewinnen. Die Entscheidung fiel mir also recht leicht», erklärt der Rekord-Weltmeister. Neben Loeb, der im Februar just zur Eröffnung des Genfer Autosalons seinen 50. Geburtstag feierte, wurde früh Cristina Gutiérrez samt Beifahrer Pablo Moreno verpflichtet. Die Spanierin nahm seit 2017 achtmal an der Rallye Dakar teil und gewann 2021 den Weltcup für T3-Leichtgewichtsprototypen sowie mit ihrem Taurus T3 Max auch die T3-Challenger-Kategorie der diesjährigen Rallye Dakar. Das Werkstrio komplettiert kein Geringerer als der zweimalige Rally-Raid-Weltmeister, fünfmalige Cross-Country-World-Cup-Gewinner und fünfmalige Dakar-Sieger Nasser Al-Attiyah, der sich dafür Edouard Boulanger an seine Seite holte.
Fotos: Dacia, Reiner Kuhn