Es ist als verkehrstechnische Verheissung gemeint, man könnte es aber ebenso gut als Drohung oder gar als Kampfansage an die Automobilisten auffassen: «Eine Stadt voller Einbahnstrassen und Vortritt fürs Velo». So titelte der «Tages-Anzeiger» über einem Bericht zur «Verkehrszukunft von Zürich». Und ergänzte: «Für Velofahrer sind die Pläne eine Erlösung, für Autofahrer ein Schock.»
Was hat es damit auf sich? Hinter dem, was wie aus dem Parteiprogramm der Grünen klingt, steckt ein gross angelegtes Forschungsprojekt der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich. Es nennt sich E-Bike-City und will das Zürcher Strassennetz neu gestalten – «konsequent aus einer Velo-Perspektive» («Tages-Anzeiger»). Die ETH selbst beschreibt die Forschungsfrage so: «Wie Zürichs Strassen aussehen müssten, damit mehr E-Bikes als Autos fahren». Es gehe um die «Vision, wie Städte aussehen könnten, wenn sie die Hälfte ihres Strassenraums für Fussgänger:innen, Radfahrer:innen und E-Biker:innen bereitstellen», schreibt die ETH gendernd (wobei man sich fragt, ob die sprachlichen Stolpersteine als Vorboten für kommende Verkehrshindernisse anzusehen sind).
Beteiligt an E-Bike-City, das als Leuchtturmprojekt geadelt wurde, sind nicht weniger als neun Professuren an der ETH Zürich und der EPF Lausanne, was einiges aussagt darüber, wohin heutzutage die Ressourcen fliessen. Grün lackierte Forschung – insbesondere, wenn sie einen Bezug zur allgegenwärtigen Klimadebatte hat – ist hoch im Kurs. Das ist auch hier der Fall, wie Projektleiter Kay W. Axhausen ausführt. «Mit Blick auf die Erderwärmung können wir in der Verkehrsplanung nicht wie bisher weitermachen», lässt er sich auf der ETH-Website zitieren. «Wir brauchen neue verkehrspolitische Ideen für die Städte.» Die E-Bike-City sei «auch ein Modell, wie der Verkehr seine Treibhausgasemissionen reduzieren kann». Die verkehrstechnische Utopie – oder eben Dystopie, je nach Perspektive – solle zeigen, dass Fahrrad und E-Bike als «Standardverkehrsmittel» in der Stadt dienen könnten. «Unsere Vision ist es, dass die Stadt bequemer, leiser, grüner und gesünder wird als heute.»
Halbierung des Strassenraums für Autos
Das Projekt arbeitet auf eine vollständige Entflechtung der Verkehrsträger hin. Im Unterschied zu heute wären «die Fahrspuren für Autos, öffentlichen Verkehr (Trams, Busse), Zweiräder (Velos, E-Bikes) sowie die Gehwege für Fussgänger:innen in der E-Bike-City grundsätzlich voneinander getrennt». Dazu würde der Strassenraum umgebaut – zulasten der Autofahrer.
Ein weiterer Punkt, der Zündstoff birgt: In der E-Bike-City bestünde das Strassennetz für Autos «weitestgehend aus einspurigen Einbahnstrassen». Das Volumen für den motorisierten Individualverkehr würde also drastisch verringert. Die Fahrspuren für die Räder und E-Bikes befänden sich «in der Regel links und rechts der Einbahnstrasse», so die ETH. Damit wolle man «mehr Raum für die Menschen statt für die Autos» schaffen. Als ob in den Autos nicht auch Menschen sässen – Menschen notabene, die sich aus freien Stücken für das Automobil als Fortbewegungsmittel entschieden haben.
Mit der angekündigten Halbierung des Strassenraums für Autos geben sich die ETH-Verkehrsplaner aber noch nicht zufrieden. Sie arbeiten bereits auf eine noch weitergehende Reduktion hin. Den letzten Schritt in ihrem mehrstufigen Konzept beschreiben sie so: «Je mehr Städter:innen sich in der Folge für ein autofreies Leben entscheiden, umso mehr Parkplätze liessen sich nach und nach zu Fahrradabstellplätzen, Grünanlagen, Spielplätzen umbauen.» Ein ausreichendes Angebot an Ladezonen und Kurzzeitparkplätzen soll «die Zufahrten für Notfall-, Liefer- und Transportfahrzeuge» sichern. Der private Autoverkehr wäre also praktisch verschwunden.
Wie die ETH weiter mitteilt, sei der federführende Verkehrsingenieur Kay Axhausen mit der E-Bike-City so «nahe bei der Politik wie noch nie». Mit dem Projekt brächten sich die Forscher jetzt aktiv in verkehrspolitische Debatten ein.
Verkehrsverbände steigen auf Barrikade
Was sagen die etablierten Verkehrs- und Automobilverbände dazu? Thierry Burkart, Präsident des Schweizerischen Nutzfahrzeugverbands (Astag), will sich nicht auf die Äste hinaus lassen: «Es braucht alle Verkehrsträger und -mittel, um die Mobilitätsherausforderungen der Gegenwart und Zukunft zu lösen.» Ein «ideologisch motiviertes Konkurrenzdenken» habe längst ausgedient und schaffe nur neue Probleme. Die Frage ist allerdings, wer dieses Konkurrenzdenken pflegt. Die Verfechter der E-Bike-City jedenfalls bekennen ganz offen, dass sie das Auto zurückdrängen wollen. Dann wird Burkart deutlicher: «Ein leistungsfähiges Strassennetz, das für das Transportgewerbe offen bleibt, ist zwingende Voraussetzung für eine funktionierende Versorgung und Entsorgung in unserem Land.» Für «höchst problematisch» hält der Astag-Präsident und FDP-Schweiz-Chef «Konzepte und Sachpläne, die von der Verwaltung als sogenannt behördenverbindliche Grundlagen erarbeitet werden». Hier müssten die Parlamente «dringend mehr Mitsprache beziehungsweise das Genehmigungsrecht» einfordern.
Kritik kommt auch vom Touring Club Schweiz (TCS). «Der ideologisch geprägte Ansatz dieser Studie ist weder realistisch noch zielführend», sagt Zentralpräsident Peter Goetschi. Anstatt die Verkehrsmittel gegeneinander auszuspielen, sollte man ihre Komplementarität und die Stärken der verschiedenen Verkehrsträger der jeweiligen Situation entsprechend nutzen. Es sei unbestritten, dass das Velo in den Städten für kurze und mittlere Distanzen eine wichtige Rolle spiele und dass es gerade im Pendelverkehr zunehmend genutzt werden könne. «Aber auch in der Stadt lassen sich nicht alle Bedürfnisse einzig mit dem Velo abdecken.» Die Städte müssten für Autofahrerinnen und Autofahrer zugänglich bleiben, auch für solche vom Land. Damit dies möglich sei, müssten genügend Fahrspuren und Parkplätze vorhanden sein.
Thomas Hurter, Präsident des Automobil Clubs der Schweiz (ACS) und SVP-Nationalrat, hält ebenfalls «nicht sehr viel» von den Ideen der ETH von einer E-Bike-City. Leider sei es immer mehr so, «dass die städtische Politik uns sagt, was gut sein soll». Grundsätzlich solle aber jeder frei entscheiden können, welche Mobilität er benutzen wolle. Auf die Frage, was wir tun könnten, um der zunehmend autofeindlichen Stimmung und Stadtplanung entgegenzuwirken, sagt Hurter: «Den Mut haben hinzustehen.»