Der deutsche E-Motor stottert

Klaus Justen | 30.05.2024

Markt Die Absatz­zahlen für Elektroautos sind eingebrochen. ­Woher kommt die Kaufzurückhaltung, ist sie ein deutsches ­Problem oder ein weltweiter Trend?

102383

Neuwagenflut: Chinesische Hersteller haben Europa im Visier, die deutschen exportieren 800 000 E-Autos im Jahr.

Das Bild vom Musterschüler hat Risse bekommen. Der Absatz von Elektroautos (BEV) in Deutschland schwächelt. Im Land der grossen Automobilhersteller wurden im ersten Quartal 14 Prozent weniger rein elektrisch angetriebene Fahrzeuge verkauft als im Jahr zuvor. Damit hat ein jahrelanger Boom ein abruptes Ende gefunden.

Die tiefroten Bremsspuren in den Bilanzen sind hausgemacht. Denn im Dezember 2023 setzte der deutsche Finanzminister Christian Lindner (FDP) massive Budgetkürzungen durch, das Bundeswirtschaftsministerium unter dem Ressortchef Robert Habeck (Grüne) stoppte praktisch aus dem Stand heraus die Förderzahlungen für Elektroautokäufer. Die Autohersteller sprangen mit Preisnachlässen ein, das Vertrauen der Konsumenten war aber schwer beschädigt – inklusive der zum Teil nachvollziehbaren Unterstellung, die Hersteller hätten die Förderung bis dahin genutzt, überhöhte Preise zu verlangen und damit ihre Marge aufzubessern.

Europas Leitmarkt ist Grossbritannien

Mit Ende des ersten Quartals haben die Deutschen damit auch die Poleposition als führender Elektromarkt in Europa verloren. In Grossbritannien wurden einige Tausend Elektrofahrzeuge mehr verkauft, der BEV-Anteil an den Neuimmatrikulationen liegt auf der Insel bei 15.5 Prozent, in Frankreich bei fast 18 Prozent, während er in Deutschland auf unter zwölf Prozent rutschte (s. Tabelle). Das hat mit den Rahmenbedingungen zu tun. Die Briten zwingen die Autohersteller mittels hoher Strafzahlungen, mindestens 22 Prozent ihrer Verkäufe als Nullemissionsfahrzeuge auf den Markt zu bringen. Ähnlich agiert Frankreich: Dort werden Fahrzeuge mit hohem Verbrauch – beginnend bei umgerechnet schon 117 Gramm CO2 pro Kilometer – mit einem Malus besteuert. Auf der anderen Seite gibt es ein Förderprogramm bis hin zu vergünstigten Leasingkonditionen für Personen mit niedrigem Einkommen. Weltweit, so das Beratungsunternehmen Strategy&, das zu PwC gehört, war der Trend zur Elektrifizierung nahezu ungebrochen. Mehr als eine Million BEV fanden in China einen Käufer, zudem registrierten die Analytiker starke Zuwächse bei Plug-in-Hybriden, die zum Beispiel in den USA kräftig zulegten.

Die Gemengelage ist also nicht einfach, und sie wird noch komplizierter durch die Strafzölle, die US-Präsident Joe Biden für Autos aus China verhängte, die Amerikaner vervierfachten den Einfuhrzoll auf 100 Prozent. Die EU denkt ebenfalls über Zoll-Protektionismus nach, weil die Zahl der chinesischen Marken, die auf den europäischen Markt drängen, gefühlt von Tag zu Tag wächst. Hildegard Müller, Präsidentin des Verbands der deutschen Automobilhersteller (VDA), warnt allerdings vor einem Zollkrieg, denn die Gegenreaktion aus Peking dürfte nicht lange auf sich warten lassen. Und nach wie vor sind die deutschen Hersteller massiv abhängig vom Markt China.

102378

Argument für Kaufzurückhaltung: Ladeinfrastruktur. Dabei geht ihr Ausbau rasant voran.

Die schlechten Nachrichten reissen unterdessen nicht ab. Mercedes verkündete das Ende der Elektroplattform MB-EA-Large, die für grosse, elektrische Luxusmodelle gedacht war. Wenig verwunderlich, verkaufen sich die deutlich im oberen Preissegment angesiedelten E-Fahrzeuge mit Stern doch eher durchwachsen. Tesla als Anbieter des weltweit bestverkauften Elektrofahrzeugs hat ebenfalls Probleme. Einerseits mit dem eigenen Modellprogramm, das in der Masse aus Model Y und Model 3 besteht. Andererseits durch eine erratische Preispolitik, die auf dem Gebrauchtwagenmarkt für schwer verkäufliche Autos sorgt. Zudem gerät Tesla am Standort Berlin zwischen die Mühlen der politischen Ränder. Für die in den ostdeutschen Bundesländern starke AfD sind Elektroautos ein rotes Tuch, und weit links stehende Umweltschützer haben sich auf den US-Hersteller als Feindbild eingeschossen. Nach Anschlägen auf die Stromversorgung gab es vor Pfingsten massive Proteste gegen eine geplante Werkserweiterung – wobei die ironischerweise aus einem Bahnhof bestehen soll, der den Transport der Neufahrzeuge von LKW auf die Bahn verlagert.

Jedes vierte Exportauto fährt elektrisch

Der Automobilexperte Ferdinand Dudenhöffer verlangt von der deutschen Politik, sich klar zur Dekarbonisierung und Umstellung auf Elektromobilität zu positionieren, nur so könne die Verunsicherung der Käufer wieder aufgefangen werden. Dazu ist die Politik aber nur bedingt bereit. Die grösste Oppositionspartei, die CDU, setzt in ihrem Europa-Wahlkampf auf den vermeintlichen Stimmenbringer «Ja zum Verbrenner» – und erlebte am Pfingstwochenende eine Bauchlandung, weil bei einer Online-Abstimmung mehr als 80 Prozent von rund 150 000 Teilnehmern für das Ende des Verbrenners 2035 stimmten. Die Union brach die Abstimmung ab, unterstellte «kriminelle Energie» und Wahlfälschung, ein Hauch von Trump.

Dabei lässt sich an den Zahlen des deutschen Statistischen Bundesamts ablesen, dass sich Elektroautos made in Germany zum Exportschlager entwickeln: Im vergangenen Jahr wurden knapp 800 000 E-Autos im Wert von 36 Milliarden Euro aus Deutschland exportiert. Das ist inzwischen jedes vierte produzierte Auto, der Zuwachs innerhalb der letzten zwei Jahre liegt bei 160 Prozent. 

Fotos: Adobe Stock, Gofast Schweiz

Kommentare

Keine Kommentare