Ende mit Schrecken für den Automobilsalon Genf

Gilles Rossel | 06.06.2024

GIMS Unglaublich, aber wahr. Nach fast 120 Jahren gibt es den Genfer Autosalon nicht mehr. Wer ist schuld daran und wie konnte es dazu kommen? Ursachenforschung.

102728

2019 zählte der Genfer Autosalon noch 602 000 Besucher. Eine Zahl, die schon im Vergleich zu 2018 leicht niedriger lag.

Wir dachten, sie sei unsterblich. Die Geneva International Motor Show (Gims), die 2020 von Covid abrupt gestoppt worden war, öffnete zu Beginn des Jahres 2024 nach vierjähriger Unter-
brechung endlich wieder ihre Pforten im Palexpo Genf geöffnet. Angesichts der Pandemie hatte die Stiftung des Internationalen Automobilsalons Genf zahlreiche Wege beschritten, um das Rezept zu erneuern und Investoren anzuziehen, insbesondere durch die Zusammenarbeit mit Katar für eine Veranstaltung, die 2023 in die Wüste exportiert wurde.

Obwohl rund 30 Aussteller und etwa 2000 Journalisten anwesend waren, war die diesjährige Ausgabe viel kleiner als in den guten alten Zeiten, als der Salon über 600 000 Besucher, 120 Automarken und mehr als 10 000 Medienvertreter vereinte. «Wir müssen feststellen, dass wir nicht gegen den Markt ankämpfen können», sagt Sandro Mesquita, Generaldirektor der Gims. «Wenn die Automobilindustrie keinen Gefallen mehr an unserer Veranstaltung findet, muss man das zur Kenntnis nehmen. Das ist nicht völlig neu, der Grundtrend begann schon vor Covid, dann beschleunigte er sich. Wir hatten einen Aufschwung beim Interesse der Hersteller erwartet, der aber leider nicht eingetreten ist.»

Auf unsichere Zeiten zu

Warum und wie kam es zu diesem Extrem? In ihrer Pressemitteilung vom 31. Mai stellt die Gims-Stiftung fest, dass es zu viele Unwägbarkeiten im Zusammenhang mit der Automobilindustrie gibt. Der einzige Weg in die Zukunft ist eine zweite Ausgabe in Katar, die im November 2025 in Doha stattfinden soll. «Es ist ein grosser Schlag, aber dieses Verschwinden war irgendwo geschrieben», stellt Claude Membrez, Generaldirektor von Palexpo, fest. Im Gespräch mit Radio Lac erinnerte er einige Tage vor der offiziellen Ankündigung des Endes der Messe an die Covid-Katastrophe im Jahr 2020, als die Stände zum Zeitpunkt der Schliessung bereits fertig waren und es keine Möglichkeit mehr gab, den Herstellern ihr Geld zurückzuzahlen. Man muss dazu sagen, dass die Autohersteller in Europa bereits seit 2015 begannen, Automobilmessen zu meiden. «Eine Messe ist immer ein Spiegelbild der industriellen und thematischen Welt, die sie beherbergt. Vor 15 Jahren funktionierte die Automobilwelt besser, man sprach viel weniger über Elektrizität, Umweltverschmutzung und die globale Erwärmung», erinnert sich Claude Membrez. Palexpo wurde hauptsächlich im Dienste des Autosalons im Herbst 1981 errichtet und konnte 2023 mit einem ausgeglichenen Ergebnis abschliessen.

Zu welcher Erneuerung?

Gab es wirklich keine Möglichkeit, das Ruder für den Salon herumzureissen? «Wir hatten keine Wahl, wir mussten 2024 wiederkommen, um zu zeigen, dass wir noch da sind, und um unsere Fähigkeit zu demonstrieren, uns neu zu erfinden», erklärt Sandro Mesquita. «Wir haben ein neues, immersiveres und dynamischeres Konzept mit Themenbereichen entwickelt. Es ging nicht mehr nur darum, durch die Hallen zu laufen und Türen zu öffnen. Abgesehen von Renault und Dacia haben wir jedoch vor allem neue Akteure aufgenommen. Wir brauchen aber historische Marken. Die Leute wollen sie sehen.»

102727

Die Zukunft der Geneva International Motor Show liegt in Katar. Nach einer ersten Ausgabe, die von der Geschäftsführung als «erfolgreich» bezeichnet wird, ist eine zweite im November 2025 geplant.

Im Gegensatz zum boomenden chinesischen Markt stehen die Hersteller in Europa unter politischem und finanziellem Druck. Ein Umfeld, das den Einsatz traditioneller Mittel nicht mehr fördert, erst recht nicht im digitalen Zeitalter. Das hindert jedoch einige Veranstaltungen und Festivals nicht daran, zu wachsen, wie etwa Goodwood (GB) oder Pebble Beach (USA), wo die Hersteller weiterhin ihre Neuheiten ausstellen.

Der ehemalige Direktor des Genfer Salons, André Hefti, sieht die Situation nüchtern: «Das Verfahren ist nicht erst seit gestern bekannt. Schon lange haben die Hersteller begonnen, einzigartige Events zu schaffen, indem sie die Presse ganz für sich allein einladen.» Die traditionellen Medien wurden von digitalen Plattformen verdrängt. «In Genf waren die Pressetage für die Marken von entscheidender Bedeutung», fährt André Hefti fort. «Die Gims war für ihre Qualität und Neutralität bekannt. Sie war die einzige Veranstaltung, die alle grossen Chefs der Automobilbranche zur gleichen Zeit zusammenbrachte. Und ich kann behaupten, dass wir unter den grossen Messen in Europa die günstigsten Preise pro Quadratmeter hatten. Natürlich waren die Arbeitskräfte in den Wartungsberufen zu Schweizer Preisen zu haben, die man nicht kürzen konnte. Parallel dazu haben einige Hoteliers nicht gezögert, überhöhte Preise zu verlangen, die viele Hersteller verärgerten.»

Viele Beobachter sind der Ansicht, dass der Kontakt zu den Kunden an diesem Wendepunkt der neuen Mobilitätstechnologien keinesfalls vernachlässigt werden darf. Diese Verantwortung ­liegt heute hauptsächlich bei den Showrooms der Händler, weit entfernt von den Zeiten, in denen das Publikum die gesamte Automobilproduktion unter einem Dach erleben konnte. Laut Hefti muss man jedoch nuancieren: «Die Verkäufe waren in den Ausstellungen nie überwältigend – mit Ausnahme von Supersportwagen oder exklusiven Modellen.»

Als einen Weg in die Zukunft sieht der ehemalige Direktor der Gims die Brussels Auto Show, die nach einer unruhigen Zeit wieder eröffnet werden konnte und im Januar 2025 erneut stattfinden wird: «Ich weiss nicht, ob ihr Modell auf die Schweiz übertragbar ist, aber etwa 40 bis 50 Prozent der Verkäufe an Grosskunden wurden bei dieser Gelegenheit getätigt.» Seit 1905 war Genf ein Ort, an dem das Automobil nicht nur als Objekt der Mobilität, sondern vor allem als Träger von Freiheit und Emotionen geschätzt wurde. Werden wir eine ähnliche Entwicklung wie in der Uhrenindustrie erleben? Die mechanischen Uhren, die fast verschwunden waren, sind wieder stark im Kommen, auch in Genf, da das Palexpo nun die Watches & Wonders beherbergt. Wird die Lösung für eine Wiederbelebung der Automessen in Nischenmodellen und innovativen Herstellern liegen? 

Fotos: Gims

Kommentare

Keine Kommentare