Klaus Justen | 08.07.2024
Am 4. Juli sind die EU-Extrazölle für Autos aus chinesischer Produktion in Kraft getreten. Welche Folgen hat das für Branche und Käufer?
Die USA preschten vor. Schon im April verhängte die Regierung Biden Strafzölle gegen chinesische Waren in Höhe von 100 Prozent – nicht nur auf Autos, sondern auch auf Halbleiter und andere Produkte. Nun folgt am 4. Juli die EU. Zusätzlich zu den normalen zehn Prozent Einfuhrzoll werden Autos aus chinesischer Produktion mit einem Extrazoll belegt, der bis zu 38.1 Prozent betragen kann. Die EU spricht übrigens nicht von Straf-, sondern von Ausgleichszöllen. Abgewendet werden können die Zölle allenfalls noch durch Verhandlungen zwischen Europa und China, der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck hatte Ende Juni während seiner China-Reise Bewegung in die festgefahrenen Positionen gebracht.
Warum verhängt die EU höhere Zölle gegen Autos aus chinesischer Produktion?
Bereits im Herbst vergangenen Jahres hatte Brüssel signalisiert, dass es der Subventionspraxis der chinesischen Regierung nicht länger zuschauen würde. Peking pumpt massiv Geld in die Hersteller vor Ort, die EU sieht darin eine Wettbewerbsverzerrung zulasten der europäischen Hersteller. Eine aktuelle Studie des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel (D) hat den Umfang der chinesischen Industriesubventionen berechnet, sie betragen derzeit über 200 Milliarden Euro pro Jahr. Bezogen auf die Autobranche stiegen demnach die direkten Subventionen für BYD von 220 Millionen Euro im Jahr 2020 auf über 2.1 Milliarden zwei Jahre später. Dazu kamen indirekte Subventionen, weil durch die Förderung von Zulieferern Komponenten billiger wurden und durch Elektro-Kaufprämien im Land selber die Nachfrage erhöht wurde. Dadurch würden, so der Vorwurf, die Preise in China künstlich niedrig gehalten, was die ausländischen Hersteller benachteilige. In Europa hingegen werden chinesische Fahrzeuge deutlich teurer angeboten als im Heimatmarkt – was nicht alleine an Transportkosten, Zöllen und Steuern liegt.
Welche Hersteller werden mit Zöllen belastet?
Es trifft generell alle Fahrzeuge, die in China produziert und dann nach Europa exportiert werden – schliesslich profitieren zum Beispiel auch die deutschen Hersteller von Subventionen beim Aufbau der Fabriken, etwa durch Steuererleichterungen. Betroffen sind alle chinesische Unternehmen wie BYD, Geely oder Saic (MG), aber auch europäische oder amerikanische Marken. BMW zum Beispiel baut den iX3 und den elektrischen Mini in China, das Model 3 von Tesla läuft für den europäischen Markt in Shanghai vom Band. Die neuen Zölle werden gestaffelt definiert. Die EU-Kommission hat in einer knapp acht Monate dauernden Untersuchung recherchiert, wie die einzelnen Unternehmen von der chinesischen Subventionspraxis profitierten. Dabei waren die Firmen in unterschiedlichem Masse kooperationsbereit. Saic offenbar überhaupt nicht, deshalb trifft deren Marke MG, die im vergangenen Jahr rund 200 000 Elektroautos nach Europa exportierte, der höchste Steuersatz von 38.1 Prozent.
Deutlich günstiger kommt BYD weg, das offenbar sehr kooperationswillig war und mit 17.4 Prozent belegt wird. BYD exportierte von seinen insgesamt drei Millionen produzierten Autos im vergangenen Jahr nur gut 15 000 in 19 europäische Länder. Hersteller wie BMW und Tesla werden mit dem neuen Durchschnittszoll von 21 Prozent belegt, wobei Tesla bereits eine individuelle Festlegung des Zollsatzes beantragt hat. Ebenfalls mit 21 Prozent trifft es Dacia, Chery, Great Wall Motors oder Nio. Geely und seine Marken Volvo, Polestar, Zeekr oder Smart ist ebenfalls betroffen, hier liegt der Zollsatz bei 20 Prozent. Polestar lässt die beiden Baureihen 3 und 4 deshalb nicht mehr allein in China produzieren, sondern auch in Werken im US-Bundesstaat South Carolina und in Südkorea. Und Volvo plant, Produktionskapazitäten von China in sein belgisches Werk in Gent zu verlegen, während BYD Ende 2023 den Neubau eines Werks in Ungarn ankündigte.
Was spricht gegen die Zölle?
Prinzipiell behindern hohe Zölle den freien Handel – und machen zum schlechten Ende Waren für den Endverbraucher teurer. Besonders kritisch gesehen wird der Kurs der EU-Kommission von den deutschen Herstellern. Hildegard Müller, Vorsitzende des deutschen Verbands der Automobilhersteller (VDA), hatte schon im Vorfeld vor einem Handelskrieg mit China gewarnt. Auch BMW-Chef Oliver Zipse argumentiert ähnlich: «Diese Entscheidung für zusätzliche Importzölle ist der falsche Weg. Die EU-Kommission schadet damit europäischen Unternehmen und europäischen Interessen.» Die deutschen Hersteller würden von einer chinesischen Gegenreaktion härter getroffen als die Konkurrenz aus Frankreich. Sie sind stark abhängig vom chinesischen Markt, auf dem sie einen grossen Teil ihrer Umsätze einfahren. Die in China diskutierte Reaktion, etwa in Form einer Steuer auf Fahrzeuge mit mehr als 2.5 Litern Hubraum, würde alle Fahrzeuge der gehobenen Mittelklasse bis zur Oberklasse empfindlich teurer machen.
Welche Auswirkungen haben die Zölle auf die Autobranche?
Simulationsrechnungen des IfW Kiel zeigen, dass Zölle von 20 Prozent spürbare Handelsverschiebungen zur Folge haben. Elektroautos im Wert von rund 3.8 Milliarden US-Dollar würden dann nicht mehr aus China in die EU eingeführt. Fast im gleichen Ausmass erwartet das IfW eine Steigerung der Verkäufe von in Europa produzierten Elektroautos, nämlich um 3.3 Milliarden US-Dollar. Eine Gegenreaktion Chinas sei in den Berechnungen nicht enthalten, bei diesem Ausmass der Effekte aber zu erwarten. «Für die Verbraucher dürfte dies im Ergebnis höhere Preise für Elektroautos bedeuten, weil die Produktion innerhalb der EU deutlich teurer ist als in China aufgrund höherer Energie- und Materialpreise und vor allem deutlich höherer Lohnkosten», sagt Julian Hinz, Handelsforscher am IfW Kiel.
Weitere Konsequenzen treffen europäische Zulieferer. Exportiert China weniger E-Autos, sinkt auch die Nachfrage nach Vorleistungen für die Produktion. Insgesamt würden EU-Exporte nach China um über 600 Millionen Dollar zurückgehen, ohne dass China seinerseits schon mit eigenen Zollmassnahmen reagiert hätte.
Wie sind Schweizer Autokäufer von den neuen Zöllen betroffen?
Einfach gesagt: direkt nicht. Denn die zusätzlichen Zölle betreffen den Import in die EU, nicht den Import in die Schweiz. Allerdings dürfte der Schweizer Markt indirekt betroffen sein. «Der drohende Handelskonflikt schafft nur Verlierer – auf Produzenten- wie Konsumentenseite», sagt Auto-Schweiz-Präsident Peter Grünenfelder. Die Konsumenten müssten am Schluss mit einer kleineren Produkteauswahl und höheren Preisen rechnen. «Die europäische Automobilwirtschaft, die für rund drei Viertel der Personenwagenimporte in die Schweiz verantwortlich ist, braucht keine Schutzmauern vor China, sondern generell innovationsfreundlichere Rahmenbedingungen», erklärt Grünenfelder.
Fotos: BMW, BYD, Polestar, Saic, Tesla