Selbstfahrend Sind in der Schweiz bald autonome Autos unterwegs? Neue Gesetze sollen einen ersten Schritt ermöglichen. Der Weg ist aber noch lang. Und der Nutzen unklar.
In Kalifornien kennzeichnet Mercedes seine selbstfahrenden Autos mit türkisen Lichtern. So weit sind wir in der Schweiz noch lange nicht.
Der Bund arbeitet an neuen Gesetzen zum automatisierten und autonomen Fahren. Einen Vorschlag schickte er im vergangenen Oktober in die Vernehmlassung, jetzt liegen die Reaktionen von Verbänden und Parteien vor. Was ermöglicht das neue Gesetz? Zwei Punkte sollen damit geregelt werden, die nicht direkt miteinander in Verbindung stehen: das automatisierte Fahren nach Stufe 3 und das selbständige Parkieren, bei dem sich kein Lenker mehr im Auto befindet. Dafür wird ein neues Verkehrsschild eingeführt, das auf selbstfahrende Autos hinweist (Bild u.).
Sind also schon bald selbstfahrende Autos auf den Schweizer Strassen unterwegs? Nein. Im Gesetzesvorschlag selbst ist es zwar nicht explizit erwähnt, aber der erläuternde Bericht hält ausdrücklich fest, dass der Fahrer nicht abgelenkt sein darf, auch wenn das Auto selbständig fährt: «Eine weitgehende Abwendung vom Verkehrsgeschehen und die Vornahme von fahrfremden Tätigkeiten, die mit dem Ergreifen von Gegenständen verbunden sind, wie etwa das Schreiben von Textnachrichten auf dem Handy, ist wegen des technischen Stands der Fahrzeuge noch nicht möglich.»
Auch Schlafen oder das Verlassen des Sitzes sei nicht erlaubt. Was also darf man aufgrund des neuen Gesetzes? Profan gesagt: das Lenkrad loslassen. Dass das Gesetz nicht klar vorschreibt, was während der Fahrt nicht erlaubt ist, sorgt für Kritik vom linken Verkehrs-Club der Schweiz (VCS): Es müssten «Tätigkeiten wie Schlafen, Verlassen der Sitzposition und externe Kommunikation (Videokonferenzen, Telefongespräche, Textnachrichten) während des Fahrens explizit ausgeschlossen werden».
Bessere Auslastung?
Der VCS hat aber noch eine weitergehende Kritik. Explizit schreibt er, das automatisierte Fahren müsse in jedem Fall der Verkehrsreduktion dienen, den öffentlichen Verkehr stärken und weniger Strasseninfrastruktur ermöglichen. In anderen Worten: Automatisiertes Fahren dürfe Autofahren nicht attraktiver machen und so für mehr Strassenverkehr sorgen. Die SVP führt eine ähnliche Argumentation an – allerdings zugunsten des neuen Gesetzes. Die Automatisierung habe hohes Potenzial, die Kapazität auf den Strassen zu erhöhen, schreibt sie.
Daran haben Experten aber grosse Zweifel, vor allem im Mischverkehr. Also wenn automatisierter auf nicht automatisierten Verkehr trifft. Die ETH Zürich führte bereits 2020 eine umfassende Studie durch, die die effiziente Ausnutzung der Strasseninfrastruktur untersuchte. Die Hochschule errechnete eine Kapazitätsverbesserung von fünf bis zehn Prozent bei teilweise automatisierten, aber nicht vernetzten Autos. Bei vollständig automatisierten Fahrzeugen, die miteinander und mit der Infrastruktur kommunizieren, könnten es auf der Autobahn bis zu 30 Prozent sein. In der Stadt sollen es maximal zehn bis 20 Prozent sein, weil viele Kreuzungen den Verkehrsfluss behinderten.
Ein neues Verkehrsschild weist künftig auf autonom fahrende Autos hin.
Allerdings sind dies langfristige Prognosen. Bis durch die Automatisierung auf Schweizer Strassen ein positiver Effekt eintrete, könne es noch Jahrzehnte dauern, hält die ETH fest. In Deutschland geht man davon aus, dass es noch bis 2060 dauern könnte, bis auf den Autobahnen die Kapazität höher sein werde als heute. Bei einem geringen Anteil automatisierter Fahrzeuge werde diese vorerst sogar abnehmen.
Mehr Verkehr?
Dass die Automatisierung einem Abbau der Strassen zudient, wie es der VCS verlangt, scheint gemäss der ETH-Studie aus einem weiteren Grund unwahrscheinlich: «Mit zunehmender Verbreitung von vollautomatisierten Fahrzeugen nehmen die Fahrzeug- und Personenkilometer voraussichtlich zu, da sich verschiedene Nachfrageeffekte überlagern. Insbesondere durch Leerfahrten ist langfristig eine deutliche Erhöhung der Fahrleistung infolge der Automatisierung möglich.»
Damit greift man aber nicht nur dem aktuellen Stand der Technik, sondern auch dem Gesetz vor. Dieses regelt ausschliesslich automatisiertes Fahren nach Stufe 3, wie es Gesetze anderer Länder auch bereits tun. Und wie es Mercedes, als bisher einziger Hersteller, in Deutschland bereits im Einsatz hat. Das Fahrzeug kann selbständig anfahren und anhalten, die Spur halten und diese bei Bedarf wechseln. Und das Fahrzeug kann Gefahrensituationen erkennen, die seine Systemgrenzen überschreiten, und dem Fahrer mitteilen, dass er wieder übernehmen muss. Mercedes nennt das System «Stauassistent», da es nur auf Autobahnen bis zu einer Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h aktiv sein darf. Mit dem neuen Schweizer Gesetz soll das bis 130 km/h möglich sein, also auch im normalen Autobahnverkehr.
Autonom parkieren
Weiter regelt das Gesetz das vollständig automatische Parkieren, bei dem sich der Fahrer nicht mehr im Auto befindet. Dies wird aber nicht auf jedem Parkplatz möglich sein, sie sollen von normalen Parkplätzen abgetrennt sein und speziell genehmigt werden müssen. Die Fahrzeuge dürfen sich nur in diesem Bereich bewegen, herrenlose Autos auf Parkplatzsuche wird es auf den Strassen auch künftig nicht geben. Zudem muss der Hersteller aus Sicherheitsgründen sicherstellen, dass das automatische Parksystem nur aktiviert werden kann, wenn sich niemand im Fahrzeug befindet.
Unabhängig davon plant der Bund, Projekte, die sich mit der Entwicklung autonomer Systeme befassen, finanziell zu unterstützen. Dies sorgt für Kritik von links und rechts. Der VCS will Projekte nur unterstützen, wenn diese dem Umweltschutz dienten. Und die SVP lehnt staatliche Subventionen komplett ab.
Autonomes Auto – geteiltes Auto?
Ob das vollständig autonome Fahren – sofern es denn jemals möglich sein wird – für mehr oder weniger Autos auf unseren Strassen sorgt, darüber sind sich Experten uneins. Abgesehen von den technischen Fragen (s. Hauptartikel) stehen sich zwei zentrale Punkte gegenüber. Auf der einen Seite die schlechte Auslastung privater Fahrzeuge. Autos werden in 95 Prozent der Zeit nicht gefahren, beanspruchen also Platz, ohne genutzt zu werden. Werden autonome Fahrzeuge als geteilte Robotaxis genutzt, können sie besser ausgelastet werden, es braucht weniger Parkplätze. Andererseits gibt es Bedenken, dass mehr Verkehr entsteht. Muss nicht mehr selber gefahren werden, kann das autonome Auto zur Konkurrenz für den öffentlichen Verkehr werden. Wie bei einem normalen Taxi oder Uber werden dann Leerfahrten unerlässlich. Der Verkehr nimmt nicht ab, sondern zu, weil auch leere Autos auf den Strassen unterwegs sind.
Die zentrale Frage ist in jedem Fall: Sind Schweizer bereit, ihr Auto mit wildfremden Menschen zu teilen? Oder sind sie sogar bereit, kein eigenes Auto mehr zu besitzen und nur noch geteilte Fahrzeuge zu nutzen? Eine Umfrage von Deloitte, die letztes Jahr in der Schweiz durchgeführt wurde, hatte zum Ergebnis, dass bereits in zehn Jahren 40 Prozent weniger private Personenwagen verkauft werden als heute. Weil Ride-Hailing (wie beispielsweise Uber) und Car-Sharing (beispielsweise Mobility) in Zukunft viel stärker genutzt würden.
Aktuelle Erfahrungen zeigen jedoch, dass das Interesse noch verhalten ist. Zwar haben immer mehr Junge Mitgliedschaften bei Dienstleistern wie Uber und Mobility, auch das fand Deloitte heraus. Die Neuwagenzulassungszahlen zeigen aber trotz des aktuellen Dämpfers keine rückläufige Tendenz. Das legt die Vermutung nahe, dass solche Dienste als Ergänzung zum eigenen Auto gesehen werden – und nicht als Ersatz. Ramon Egger