Fiat 600e – Einen Hunderter dazu

AR-Testteam | 05.04.2024

Grösser Unter einer traditionellen Bezeichnung kommt ein neuer, kompakter Elektro-Fiat daher, der dank besserer Reichweite mehr Alltagstauglichkeit verspricht als der kleinere Bruder 500.

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Ein E-Auto für die Stadt, das sich auch aus der Agglomeration hinauswagen kann. Mit dem 600 variiert Stellantis die ECMP-Plattform erneut.

Ganz lösen konnten die Italiener sich nicht von ihrem Erfolgsmodell, dem Cinquecento. Der 600 ist dem kleineren Bruder buchstäblich aus dem Gesicht geschnitten. Seine Bezeichnung aber verrät, dass man sich bei Fiat wieder zu mehr bekennt als bloss zum 500 in zahllosen Variationen. Den Fiat 500X gibt es noch immer als Hybrid zu kaufen, gemäss Ankündigung soll es aber auch den 600er dereinst mit dem Hybrid-Verbrennungsmotor geben, der den 500X in Rente schicken soll.

Uns stand erst einmal die E-Version zur Verfügung. Gemäss den technischen Daten ist diese mit 115 kW (156 PS) die leistungsfähigste Version im ganzen ­Fiat-Modellprogramm. Der 600 ist in seinem Wesen keine Neuheit, er basiert wie der Jeep Avenger oder der Opel Mokka auf der ECMP-Plattform von Stellantis. Und wie andere Produkte hat auch der Fiat 600e von den Verbesserungen profitiert, die der Konzern seinen E-Varianten hat angedeihen lassen. Damit sind die Rahmenbedingungen bekannt. Der 600e hat eine Batteriekapazität von netto 52 kWh und fährt in der Theorie damit rund 400 Kilometer weit. Soweit sind das sichere Werte. In der Praxis präsentiert sich der Fiat 600 ungefähr so, wie man dies von einem Italiener erwartet. Unser Testwagen war feuerrot lackiert, und mit dieser Farbe gewinnt der lustvoll gezeichnete 600 zusätzliche Sympathien – und nicht nur mit seinem nach dem Kindchenschema gestalteten Gesicht und der leicht pummeligen Karosserieform. Er sieht aber nicht mehr aus wie der übergewichtige grosse Bruder des Fiat 500. Sehr erfreulich ist dazu die fehlende Effekthascherei bei diesem Auto.

Dies zieht sich im Innenraum weiter. Das Armaturenbrett in Wagenfarbe bringt gute Stimmung in die Stube. Der Instrumententräger, heute so digital wie bei der Konkurrenz, orientiert sich am selben Retrodesign wie derjenige des 500. Dazu gibt es einen moderaten Zentralbildschirm und Tasten für die Bedienung der Elementarfunktionen – eine gute Entwicklung. Gänzlich vom üblichen Stellantis-Schema mit einem Schiebeschalter weicht hingegen die Leiste mit Drucktasten für die Fahrtrichtung ab. Von allen Lösungen dieser Art, die im Zuge der Elektrifizierung wieder aus der Versenkung hervorgeholt werden – Drucktastenautomaten kamen in den 1950er-Jahren in Mode, allerdings ohne ersichtlichen Mehrwert –, ist diese Anordnung jene, die bei der Bedienung am meisten Konzentration einfordert. Nur ein Blick auf die Tasten gibt einem Gewissheit, ob das Richtige – vorwärts oder rückwärts – eingelegt ist. Daneben gibt es eine B-Stellung für stärkere Rekuperation und einen separaten Schalter auf der Mittelkonsole für die drei Fahrmodi Sport, Normal und Eco. Witzig ist die als Leporello aufklappbare Abdeckung der Mittelkonsole, die zudem rutschfest ist. Ansonsten bleibt der Fiat recht sachlich in der Bedienung. Bei der Sitzposition macht sich jedoch ganz subtil der Italiener bemerkbar. Für Langbeinige liegt das Lenkrad im Verhältnis zum Sitz auch bei voll ausgezogener Stellung eine Spur zu weit weg. Soll es für die Arme passen, dann endet der Fahrer in der typischen Froschhaltung, die wir aus den klassischen Alfa Romeo oder auch aus dem aktuellen Benziner-­Fiat 500 kennen. Dies ist aber Gewöhnungssache.

Freundlicher Partner

Wie alle Stellantis-Kompaktstromer zeichnet sich auch der 600e mehr durch seine zuverlässige Beschleunigungsbereitschaft aus als durch brachiale Geschwindigkeitsänderung. Wenn er losfahren soll, merkt man stets, dass relativ wenig Leistung doch recht viel Gewicht mitzuschleppen hat. Dafür ist der Wagen handlich, die Art früherer italienischer Kleinwagen, mit denen man sich oft eine Spur flinker als der Rest durch den Stadtverkehr bewegte, funktioniert auch beim Fiat 600. Die Lenkung arbeitet lustvoll und zielgenau. In der B-Stellung der Fahrstufen wünschte man sich eine etwas nachdrücklichere Verzögerung. Ist die Batterie voll, so bremst der 600 elektrisch kaum, wer oben am Berg wohnt und am Morgen früh losfährt, muss sich daran gewöhnen, dass dann ein kräftigerer Druck auf die Betriebsbremse nötig ist.

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Gelungen: Ein klein wenig Retrodesign kann sich auch der Fiat 600 nicht verkneifen. Gegenüber dem Vorgänger 500X wirkt er aber schlanker und unterstreicht mit seiner Bezeichnung, dass er fortan als eigenständiges Modell im Fiat-Portfolio stehen wird und nicht länger als die grössere Variante des Fiat Cinquecento. Mit 360 bis 1231 Litern ist der Kofferraum für die Wagenlänge von 4170 Millimetern angemessen.

Verlässt man die Stadt, um mit dem Fiat 600e eine Reise zu machen, eilt die Reichweitenanzeige den effektiv gefahrenen Kilometern stets etwas vor­aus. Wirklich sorglos absolviert der 600e – wie übrigens alle seine Konzerngeschwister – etwa eine Strecke von 270 bis 300 Kilometern im durchschnittlichen Schweizer Überland- und Autobahnverkehr. Damit ist der Fiat 600e durchaus auch für längere Strecken zu gebrauchen, sie erfordern allerdings etwas Planung. Durch die 100-kW-Schnell­lademöglichkeit sind derweil die Ladezeiten moderat, wenn auch nicht atemberaubend kurz. Wer den Fiat zum Pendeln und für die üblichen Besorgungen während der Woche braucht, dem reicht das Laden zu Hause über Nacht. Praktisch ist, dass sich der Ladevorgang stets durch einfaches Schlüsselbetätigen unterbrechen lässt.

Erstaunlich

Er sieht also lustvoll aus, fährt sich auch entsprechend und bietet dazu genügend Platz, dass auch vier Passagiere es eine gewisse Zeit in dem Wagen aushalten, ganz im Gegensatz zum elektrischen ­Fiat 500. Gerade auch im Vergleich zu diesem bietet der 600 das entscheidende Stück mehr Reichweite, um eine normale Tagesreise ohne Nachladen zu absolvieren. Im internen Vergleich ist der Mehrpreis zum 500 denn auch sofort erkennbar, der neue E-Fiat positioniert sich damit genau richtig. Was allerdings erstaunt, ist der Vergleich mit der Konkurrenz. Denn hier entpuppt sich der ­Fiat 600 keineswegs als Sonderangebot. Zum Preis unseres Testwagens von aktuell 38 190 Franken beim Importeur gibt es anderswo mindestens genauso viel Reichweite und Leistung – meistens aber deutlich mehr. Sogar Konzernintern steht der Fiat selbstbewusst in der Landschaft, der Opel Mokka bietet bei gleicher technischer Basis für leicht weniger Geld einige Ausstattungsdetails zusätzlich. Dem Testwagen fehlten beispielsweise sowohl vordere Parksensoren wie auch eine Rückfahrkamera – ein etwas seltsamer Entscheid der Fiat-Verantwortlichen, ausgerechnet so den Preis des prädestinierten Stadt- und Einkaufswagen zu optimieren.

Und die Preisfrage stellt sich beim Fiat 600e auch in anderer Hinsicht. Während es den neuen Fiat 500 ausschliesslich als E-Variante in zwei Leistungsstufen gibt, steht beim 600 auch eine Hybridversion mit 100 PS in der Preisliste, die im Verlauf des Jahres lieferbar sein wird. Gewiss ist er damit (auch) keine Rakete, dafür aber signifikant leichter – rund 240 Kilogramm. Für gut 10 000 Franken weniger fährt der Verbrenner zudem Kreise um sein E-Pendant, was die Reichweite anb elangt. Und er darf erst noch 1100 Kilogramm Anhängelast mit sich führen. Wer sein Auto selber bezahlen muss, wird sich darum vermutlich genau überlegen, wo das beste Angebot auf ihn wartet. 

Testfazit

Der Fiat 600 ist eine gelungene Neuerscheinung auf einer Basis, die bereits bekannt ist. Dem baugleichen Jeep Avenger hat diese immerhin zum Prädikat Auto des Jahres 2023 gereicht. Auch als Elektroauto tanzt der 600 nicht aus der Reihe, die Stellantis-Hardware bietet wenig Aufregendes, dafür aber Bewährtes. Was dem 600e in die Quere kommen mag, ist die viel günstigere Hybridversion.

Testergebnis 66/100

Antrieb 13/20

Er reisst keine Bäume aus, aber die auch am 600e angewandten Verbesserungen des Stellantis-Antriebsstrangs bieten einen echten Fortschritt und brauchbare Fahrleistungen.

Fahrwerk 12/15

Wendig in der Stadt und lustvoll übers Land. Der Fiat 600e ist ein echter Italiener und bietet viel Fahrspass trotz seines Gewichts.

Innenraum 19/25

Hübsch gemacht und dazu auch zweckmässig: Diese oft eher schwierig zu realisierende Kombination ist beim Fiat 600 bestens gelungen.

Sicherheit 10/15

Tasten für die wichtigsten Funktionen verhindern Fehlbedienungen. Dass Rückfahrkamera und vordere Sensoren fehlen, ist ein Manko.

Budget 12/25

Der Fiat 600e ist kein Sonderangebot und wird sogar konzernintern im Preis von gleichwertigen Modellen unterboten. Manche Konkurrenten bieten hingegen deutlich mehr Reichweite und auch mehr Leistung zum selben Preis.

Fotos: Vesa Eskola, Text: Martin Sigrist

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