Genf wird zur verbotenen Stadt

Philipp Gut | 22.02.2024

Verkehr Als erster Kanton erlässt Genf ­Fahrverbote für (ältere) Autos. Wer trotzdem fährt, wird gebüsst.

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In der Calvin-Stadt Genf gilt ein strenges Verkehrsregime. Autos oder Motorräder, die den Kantonsoberen nicht genehm sind, dürfen unter Umständen gar nicht mehr ins Stadtgebiet sowie durch mehrere Gemeinden des Kantons fahren. Genf wird für sie zur verbotenen Stadt. Die Massnahme richtet sich gegen Luftverschmutzung und «Smog», als ob das überschaubare, durchaus nicht immer windstille Genf eine Megacity in der dritten Welt unter einer erstickenden Käseglocke wäre. Laut dem Kanton schützt das Verbot «die öffentliche Gesundheit und die schwächsten Personen: ältere Menschen, Kinder, Personen mit Atemwegs- oder Herz-Kreislauf-Problemen».

Politik und Verwaltung nennen das neue System «differenzierten Verkehr». Es orientiert sich an den aus Städten im EU-Raum bekannten Umweltzonen und -plaketten. Genf hat dafür eigens einen neuen Namen kreiert: Stick’air. Dabei werden die Fahrzeuge – gemäss der Euro-Norm und den sogenannten Emissionscodes – in sechs Kategorien mit unterschiedlichen Farben und Nummern eingeteilt, vom geringsten bis zum höchsten Schadstoffausstoss.

Die Einteilung ist kompliziert, der Kanton Genf stellt dafür Tabellen zur Verfügung, aus denen man als Fahrer erst schlau werden muss. Ein paar Beispiele: In die Kategorie Musterknaben mit grüner Etikette fallen elektrisch und hydrogen angetriebene Fahrzeuge. Das ist sozusagen die Kategorie null. Einen violetten Kleber mit der Ziffer 1 erhalten Zwei-, Drei- und Vierräder mit der Euro-Norm 4, Benzinautos mit Euro 5 und 6, ebenso leichte Nutzfahrzeuge mit Euro 5 und 6 sowie der Schwerverkehr und Autobusse mit der für sie vorgesehenen römischen Ziffer VI. Schlechter qualifiziert und entsprechend farblich gebrandmarkt sind alle älteren und Dieselfahrzeuge.

Oldtimer sind die Parias

Ein weiteres Lesebeispiel: Diesel-PW mit Euro-Norm 5 und 6 müssen mit der gelben Plakette mit der Nummer 2 gekennzeichnet werden, während bei den Benzinern die Euro-4-Fahrzeuge in dieselbe Kategorie fallen. Am Ende der Skala (grauer Kleber, Nummer 5) befinden sich Tourismus- und leichte Nutzfahrzeuge mit Euro 2 sowie Lastwagen mit Euro 3. Ausserhalb jeder Kategorie und somit die Parias im Genfer Kastensystem für den motorisierten Verkehr sind Motorräder, die vor dem 1. Mai 2000 in Verkehr gesetzt worden sind, weiter Personenwagen und leichte Nutzfahrzeuge mit Euro 1 und älter. Dasselbe gilt für den Schwerverkehr ab Euro 2.

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Genf kämpft gegen die Luftverschmutzung: Der Verkehr ist der Sündenbock. Die Skulptur mit der Comicfigur Le Chat auf einem Auto, 2022 in Genf ausgestellt, passt ins Bild der Stadt.

Während Lastwagen mangels Existenz solch alter Fahrzeuge kaum betroffen sein dürften, trifft es bei den Personenkraftwagen Oldtimer gnadenlos. Ob die paar Liebhaberfahrzeuge, die ab und zu bei schönem Wetter ausgefahren werden, wirklich für den Smog-Alarm verantwortlich sind, ist eine rhetorische Frage, die aber die Behörden nicht kümmert. Hauptsache, sie sprechen ein Verbot aus und statuieren ein Exempel – auch wenn es völlig sinnlos ist und darüber hinaus erst noch die Bestandesgarantie und damit das Eigentumsrecht ritzt. Der grüne Zeitgeist, kräftig angehaucht vom Klimawahn, hat im Verein mit einer ausufernden Bürokratie obsiegt.

Fortan muss nicht nur jeder, der nach Genf fahren will, für jedes seiner Fahrzeuge eine entsprechende Etikette kaufen, er muss sich auch ständig informieren, welche Luftqualitätsstufe der Kanton gerade ausgerufen hat. Um das System zu bedienen und die Verkehrsteilnehmer zu informieren, scheut der Kanton keinen Aufwand. Wer stets über den aktuellen Stand der Aktivierung des «differenzierten Verkehrs» im Bild sein will, kann «gratis», wie die Behörden betonen, eine E-Mail-Benachrichtigung abonnieren. Ausserdem hat der Kanton Genf eigens eine App entwickelt, genannt Air2G2.

Realitätsfremde Debatte

Vorbild für die Genfer Umweltzonen und -plaketten ist nicht nur generell die EU, sondern insbesondere das benachbarte Frankreich, das ein praktisch identisches System kennt. So ist denn auch das französische Pendant, die Vignette Crit’air, im Kanton Genf ebenfalls ausdrücklich zugelassen. Wie sehr sich die Debatte über den Sinn und Unsinn solcher Eingriffe in die freie Mobilität längst ins Realitätsfremd-Ideologische verlagert hat, zeigt exemplarisch ausgerechnet das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF), das gemäss Satzung zu ausgewogener Berichterstattung verpflichtet wäre. Genf erlasse «Fahrverbote für Abgasschleudern», so das SRF, wahlweise spricht es auch von einem «Verbot von Dreckschleudern». Damit macht der Gebührensender schon rein sprachlich deutlich, dass nicht die galoppierende Verbotsmentalität im Zuge des grassierenden Ökodirigismus das Problem sei, sondern vielmehr die angeblich dreckigen Fahrzeuge.

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Differenzierter Verkehr in Genf: Umweltplaketten, genannt Stick’air (r.), unterscheiden Autos nach deren Schadstoffausstoss.

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Differenzierter Verkehr in Genf: Umweltplaketten, genannt Stick’air (r.), unterscheiden Autos nach deren Schadstoffausstoss.

Verstösse gegen das Fahrverbot werden gebüsst. Der Kanton Genf sah zuerst massive Strafen von 500 Franken vor. Nun wurde die Höhe der Sanktionen reduziert – dank einer Beschwerde der Genfer Sektionen des Touring Clubs Schweiz (TCS) und des Nutzfahrzeugverbands (Astag), die 2020 beim Genfer Verfassungsgericht gegen das Verbotssystem eingereicht wurde. Damit konnte dessen Einführung zwar nicht vollständig verhindert werden, aber immerhin gab es eben gewisse Anpassungen.

Strenger als im Rest der Schweiz

Die Beschwerdeführer argumentieren, nur der Bund könne solche Massnahmen ergreifen. Dieses Argument wies das Verfassungsgericht ab: Der Kanton überschreite seine Befugnisse nicht, wenn er gegen eine kurzfristige Verschmutzung vorgehe. Hingegen akzeptierte das Gericht den Einwand, die Grenzwerte für Stickstoff und Feinstaub seien in Genf strenger als im Rest der Schweiz. Das Verfassungsgericht forderte den Kanton in der Folge auf, die entsprechenden Grenzwerte zu erhöhen. Schliesslich gab es, wie erwähnt, auch einen Teil­erfolg bei der Höhe der Bussen. Es dürfen nur Ordnungsstrafen von maximal 100 Franken verhängt werden. Fahrer, die die für sie verbotene Stadt Genf passieren, obwohl sie wie alle anderen Verkehrssteuern zahlen und legale, zugelassene Fahrzeuge steuern, werden polizeilich angehalten und zur Kasse gebeten. 

Fotos: Adobe Stock, Kanton Genf

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