Le Mans Die 92. Ausgabe des berühmtesten aller Autorennen steht an. Eine Zeitreise in die Vergangenheit des 24-Stunden-Rennens.
Faszination Le Mans: Der Langstreckenklassiker fasziniert die Massen seit über einem Jahrhundert (Bild: Ausgabe 1952).
Die offizielle Geschichte des 24-Stunden-Rennens von Le Mans (F) ist exakt 101 Jahre alt, aber sie reicht viele Jahre weiter zurück in die Vergangenheit. Schon Ende des 19. Jahrhunderts gab es diese Rennen von einer Stadt zur anderen, damals moderne Epen, in denen man viel Ruhm ernten konnte, oft aber auch nur Schmerz. Welche Technologie – das Wort gab es damals noch nicht – würde siegen? Die Dampfkraft, die Elektrizität oder der Verbrennungsmotor, der seinem Namen oft genug in mehrfacher Hinsicht gerecht wurde? Die Protagonisten hiessen Amédée Bollée, Daimler, Peugeot und bald auch Renault.
Am 26. und 27. Juni 1906 gibt es einen ersten Vorgeschmack auf das, was später zu den legendären 24 Stunden von Le Mans werden sollte. Der Automobile-Club de l’Ouest (ACO), ein neu gegründeter Regionalverband des Automobile-Club de France, veranstaltet einen ersten Grand Prix de vitesse für Kraftfahrzeuge. Er wird in Le Mans, der Hauptstadt des Departements Sarthe, ausgetragen. Es dauert aber noch lange 16 Jahre – inklusive des Ersten Weltkriegs – , bis der Klassiker aus der Taufe gehoben wird.
Ein Prüfstand für die Strasse
Der ACO-Stab will ein Ausdauerrennen auf einer geschlossenen Rennstrecke. Über 1000 Kilometer? Über zwölf Stunden? Nein, es sollte 24 Stunden dauern. «Meine Herren, das Rennen muss ein Prüfstand für die Strasse sein. Wenn der Motorsport nicht die Verbesserung aller Techniken des Autos und insbesondere der Sicherheitsvorrichtungen zur Folge hat, dann ist er durch nichts anderes gerechtfertigt als durch die sinnlose Lust am Wettbewerb», soll Charles Faroux, Journalist der Zeitung «Vie Automobile» und der eigentliche Vater des berühmten Rennens, gesagt haben. Am 26./27. Mai 1923 gewinnt der Chenard & Walcker von André Lagache und René Léonard den Grand Prix d’Endurance de 24 heures. Was ist 101 Jahre später von all dem übrig geblieben?
Porsche ist Le-Mans-Rekordsieger (19 Siege), die Porsche-Teams von Penske (v.) und Jota haben 2024 in der Langstrecken-WM schon gesiegt.
Ein legendäres Rennen, das als Flaggschiff der
Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC) gilt und mit einer wachsenden Zahl
von Herstellern (neun in der Königsklasse der Hypercars, ebenso viele in
der LMGT3-Klasse) zu neuem Leben erwacht. Wie lässt sich diese
Renaissance erklären? Die Antworten sind vielfältig und stammen von
Marketingleuten – am Sonntag gewinnen und am Montag verkaufen, indem man
vom Imagegewinn profitiert –, Technikern und Schauspielern.
Während anfangs die Scheinwerfer in diesem Rennen einen
idealen Prüfstand fanden und die Scheibenbremsen grösstenteils in Le
Mans entwickelt wurden, spricht man heute von Energierückgewinnung und
der Entwicklung synthetischer Kraftstoffe, die keine fossilen
Bestandteile mehr enthalten. Und man spricht von Wasserstoff. Eine
eigene Kategorie für diese Technologie ist für 2026 geplant. Der ACO
engagiert sich mit seiner Mission H24 direkt in diesem Bereich, wie
Präsident Pierre Fillon erklärt: «Dieser 15. Juni 2024 wird in die
Geschichte des 24-Stunden-Rennens von Le Mans eingehen. Zum ersten Mal
werden Wasserstoff-Prototypen auf der grossen Rennstrecke fahren. Neben
unserer Mission H24 wird auch Ligier mit seinem JS2 RH2 die
Herausforderung annehmen. Mit dem Wasserstoff bereitet die Ausdauer den
nachhaltigen Wettbewerb vor.»
Herausforderung für die Hersteller
Der Langstreckensport erlebt gerade eine Hochphase.
Immer mehr Hersteller sind auf der Strecke dabei. Aus diesem Grund wurde
der Kleinkrieg zwischen ACO und der nordamerikanischen Meisterschaft
Imsa beendet, und man hat sich auf gemeinsame Regeln geeinigt, damit die
neuen Autos sowohl in der Langstrecken-Weltmeisterschaft als auch auf
der anderen Seite des Atlantiks eingesetzt werden können. Mit
gemeinsamen Plattformen, um die Kosten unter Kontrolle zu halten.
Für die Marken ist dies eine grosse Herausforderung, da
sie sich nicht hinter dem Namen eines Energydrinks oder
Online-Wettbüros verbergen können. Aber es funktioniert, wie Porsche als
19-maliger Gewinner der Gesamtwertung und mit über 100 Klassensiegen
beweist. Die Marke aus Zuffenhausen (D) ist seit 1951, also nur drei
Jahre nach ihrer Gründung, an der Sarthe präsent, und erkannte schnell
die Chancen, die das Rennen bot. Vor Jahren erinnerte Wolfgang Porsche
daran. Der jüngste Sohn von Ferry Porsche, dessen Nachfolge er 1998
antrat, sagte: «Die GT ist sehr wichtig, denn es sind die Autos, die
unsere Kunden fahren. Und unsere Kunden sind das Wichtigste für uns.»
Porsche und Le Mans – eine Familiengeschichte.
Mission H24 ist das in der Schweiz entstandene und vom Automobile-Club de l’Ouest betreute Projekt eines Wasserstoffautos. 2026 soll es dafür eine eigene Kategorie geben.
Und was ist mit Ferrari und später Ford? 1963, als die
italienische Marke in finanziellen Schwierigkeiten steckte, machte der
Detroiter Riese Ford ein Kaufangebot. Als der Verkauf fast abgeschlossen
war, zog sich Commendatore Enzo Ferrari zurück und brach die
Verhandlungen abrupt ab. Das war ein Schlag ins Gesicht der
Verhandlungsführer aus Dearborn. Der US-Konzern antwortete auf dem
Terrain, auf dem die Scuderia herrschte, indem er sein GT40-Programm
startete. Nach zwei gescheiterten Versuchen 1964 und 1965 gelang im Jahr
1966 der erste Sieg.
Audi kam, gewann und ging wieder. Bei Peugeot war es
genauso: Man setzte sich durch, zog sich zurück und kehrte in die neue
Ära zurück. Eine Ära, in der Toyota die Hauptrolle spielte und der
Disziplin treu blieb, während andere hin und her wechselten. Für den
grössten japanischen Hersteller war die Entwicklung der
Hybridtechnologie – das erste Prius-Modell ist von 1997 – die
Rechtfertigung für sein Engagement zunächst in der LMP1 und später in
der Hypercar-Klasse. Toyota, das lange Zeit fast allein im Rennen war
und 2023 immer noch Weltmeister ist (aber in Le Mans von Ferrari
geschlagen wurde), tritt nun gegen eine immer stärkere Konkurrenz an.
Zur grossen Freude der Zuschauer – 325 000 waren es im vergangenen Jahr
beim Rennen zum 100. Geburtstag.
Der Ort, an dem man sein muss
Die Konkurrenzdichte auch abseits der Herstellerteams
ist gross. Private Teams wie Jota und Proton Competition verfügen über
siegfähige Autos (in diesem Fall Porsche). Sie wollen ihr Können unter
Beweis stellen und hoffen, einen neuen Hersteller davon zu überzeugen,
ihnen ihr Programm anzuvertrauen. Jota wird voraussichtlich ab nächstem
Jahr das Cadillac-Programm übernehmen. Die Langstrecke, die eine Zeit
lang als zweitklassige Disziplin galt, in der einige ehemalige
Formel-1- Fahrer in die Verlängerung gingen, ist nun der Ort, an dem die
Fahrer sein müssen. Vor allem die jüngeren Fahrer haben verstanden,
dass die Formel 1 nicht mehr bezahlbar ist. Sie wenden sich den
Langstreckenrennen und ihrem Mythos, den 24 Stunden von Le Mans, zu,
nachdem sie sich in der Formel 3 und der Formel 2 die Zähne ausgebissen
und das Portemonnaie geleert haben.
Wie es ausgeht beim 92. Rennen in Le Mans, wird man
erst Mitte Juni wissen. Wie es starten wird, weiss man jetzt schon. Ein
Jahr nach dem US-Basketballspieler LeBron James hat eine andere
Sportlegende, der französische Fussballspieler Zinédine Zidane, die
Ehre, den Startschuss zu geben und den berühmten Satz zu sagen: «Ladies
and gentlemen, please start your engines.»
Auch Schweizer schrieben in Le Mans schon Geschichte:
1989 holt das Team Sauber-Mercedes einen Doppelsieg.
Le Mans 2024: Hersteller-Vielfalt in zwei Rennklassen