Marktbericht China – von Glück und Rekorden

Automobil Revue | 18.01.2024

China In der Schweiz sind die chinesischen ­Autohersteller noch nicht angekommen, doch auf ihrem Heimmarkt läuft das Geschäft prächtig. Auch die Exporte steigen auf Rekordhöhe.

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Es sind halt schon beeindruckende Zahlen: 21.7 Millionen Neuwagen wurden im vergangenen Jahr in China verkauft, 5.6 Prozent mehr als noch 2022. Zum Vergleich: In Nordamerika waren es 15.6 Millionen (ein erstaunliches Plus von 12.3 %), in Europa sind die Jahreszahlen noch nicht ausgezählt, aber man darf ebenfalls mit einem zweistelligen Plus und etwas mehr als elf Millionen verkauften Fahrzeugen rechnen. Die Vorhersage verschiedener Experten, dass in China bis Ende 2025 mehr Autos gekauft würden als in den USA und Europa zusammen, könnte sich durchaus bewahrheiten.

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Zeekr 007: Kann mit über 600 kW geladen werden. Und der Hersteller liefert auch gleich die passenden Ladestationen.

Doch die Chinesen haben nicht nur viele Autos gekauft, sie haben auch erstmals am meisten Autos exportiert. 5.22 Millionen Exemplare im Wert von 102 Milliarden Dollar waren es, 57 Prozent mehr als noch vor einem Jahr, der Umsatz stieg um 69 Prozent – erstmals ist das Reich der Mitte der erfolgreichste Autoexporteur der Welt. Dazu kamen noch Fahrzeugteile im Wert von fast 90 Milliarden Dollar. Es sind weniger die europäischen und amerikanischen Märkte, die mit chinesischen Fahrzeugen geflutet werden, dafür haben die Exporte nach Australien, Mexiko und vor allem nach Russland (+412 %) extrem zugenommen, in den ehemaligen Sowjetstaaten haben die Chinesen unterdessen einen Marktanteil von fast 50 Prozent.

BYD erstmals vorne

Doch blicken wir genauer auf den chinesischen Markt, denn dort konnte sich mit BYD erstmals ein einheimischer Hersteller auf den ersten Platz der Verkaufsrangliste hieven (s. Tabellen). Fast 2.6 Millionen Fahrzeuge haben die Chinesen im vergangenen Jahr in China verkauft, 43.3 Prozent mehr als noch im Vorjahr. Der bisherige Leader Volkswagen verlor 0.2 Prozent und kommt auf 2.2 Millionen Fahrzeuge – was aber immer noch einen stattlichen Marktanteil von 10.3 Prozent bedeutet. Auch Toyota als Nummer drei verlor, genau wie Honda auf Rang vier. Gut zulegen konnten Geely (+9.6 %), Wuling (+7.8 %) – sowie vor allem BMW (+7.8 %) und Audi (+11.3 %). Es ist aber anzunehmen, dass die etablierten Hersteller aus Europa und Japan in den nächsten zwei, drei Jahren ihre Spitzenpositionen nicht werden halten können, von hinten drängen Changan, Aion, Xpeng und viele weitere nach. Auch Tesla darf man nicht abschreiben.

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Nio ET9: In 15 Minuten 600 Kilometer Reichweite geladen.

BYD ist nicht nur der grösste Hersteller in China, sondern dominiert den Markt bei den Plug-in-Hybriden (Marktanteil 48 %) und auch bei den rein elektrischen Fahrzeugen, hier liegt der Marktanteil bei fast 26 Prozent. Bei den Stromern liegt BYD vor Tesla, Aion, Wuling und Nio, als einziger europäischer Anbieter schafft es Volkswagen auf den sechsten Platz. Meistverkauftes EV bleibt der Tesla Model Y, obwohl die Amerikaner immer wieder Lieferausfälle hatten und in manchen Wochen kein einziges Auto verkaufen konnten. Die sogenannten New Energy Vehicles (NEV, also BEV und PHEV) haben in China unterdessen einen Marktanteil von 35.7 Prozent.

Neue Marken

Doch selbstverständlich ist auch in China längst nicht alles Gold, was glänzt. Weltmeister, eine der schon länger bestehenden Marken, musste zum Jahresende Konkurs anmelden. Auch Hiphi, mit hohen Erwartungen früh auch schon in Norwegen gestartet, scheint mit ernsthaften Schwierigkeiten zu kämpfen. Und bei Aiways, auch in der Schweiz vertreten, wird alles anders – die AUTOMOBIL REVUE weiss schon davon, darf aber noch nichts dazu schreiben.

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Xiaomi SU7: Verfügt über eine 875-Volt-Architektur.

Aber wenn man die aktuellen Entwicklungen in China etwas genauer betrachtet, kann man davon ausgehen, dass sich der Siegeszug insbesondere der EV nicht verlangsamen wird. So hat Zeekr, eine der vielen Geely-Töchter, gerade den 1515-Plan vorgestellt. Die Idee dahinter ist, dass die Kunden landesweit innerhalb von 15 Minuten in ihrem Umkreis einen Schnelllader finden. Und dort in 15 Minuten ihren Stromer laden können. Aufgepasst: Ein Viertelstündchen, das bedeutet in etwa eine Halbierung der bisher schnellsten Ladezeiten – Porsche zum Beispiel gibt beim neuen Macan, der demnächst eingeführt wird, für eine Ladung von 20 auf 80 Prozent 27 Minuten an. Erreichen will Zeekr das mit deutlich höheren Ladeleistungen. Im September des letzten Jahres wurden die ersten V2-Ladestationen eingeweiht, an denen der Strom mit 600 Kilowatt fliesst. Und kurz vor Weihnachten reichten die Chinesen noch V3 nach, mit der 800 Kilowatt möglich sind.

Deutlich höhere Ladegeschwindigkeiten

Zeekr bringt mit dem 007 auch gleich noch das Fahrzeug, das diese neue Ladeinfrastruktur voll nutzen kann. Die kleinere 75-kWh-Batterie (als Golden Brick bezeichnet, inhouse entwickelt, LFP) lädt mit maximal 500 Kilowatt, saugt sich also 500 Kilometer Reichweite in 15 Minuten rein. Die grössere 100-kWh-Batterie, die anscheinend so famose Qilin von Catl (NMC), kann es noch besser: über 600 Kilowatt, 610 Kilometer Reichweite in einer Viertelstunde. Damit wäre ein EV-Problem, die im Vergleich zum Verbrenner deutlich längeren Tank- respektive Ladestopps, Vergangenheit. Der Zeekr 007 wird seit Anfang Jahr gebaut, es liegen über 50 000 Bestellungen vor. Die 4.86 Meter lange Limousine hat in der Basisversion 421 PS und kostet in China weniger als 30'000 Dollar. Das Toptop-Allradmodell kommt mit 637 PS, rennt in 2.84 Sekunden auf 100 km/h und kostet umgerechnet 42'000 Dollar.

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Yiyue 07: Gestaltet von europäischen Designern.

Und Zeekr ist nicht allein, der Smartphone-Hersteller Xiaomi nennt für sein erstes Automobil, den SU7, ähnliche Zahlen. Was nicht weiter verwundert, denn diese extrem aerodynamische Limousine hat ebenfalls die überragende Catl-Qilin-Batterie verbaut. Und will nicht nur in 15 Minuten anständige 510 Kilometer Reichweite laden können, sondern verfügt auch noch über eine ganz neue 875-Volt-Architektur. Yuanhang, noch eine neue Marke, kündigt für seinen Y6 gar mehr als 1000 Kilometer rein elektrische Reichweite an, aber mit ­einem 150-kWh-Akku. Und dies für weniger als umgerechnet 50 000 Dollar. Übrigens: All diese Fahrzeuge sind optisch durchaus adrett – was auch damit zu tun hat, dass viel (europäisches) Designtalent im Reich der Mitte angeheuert hat.

Glücksfall

Doch damit ist noch längst nicht genug. Geely hat ein paar eigene Satelliten in den Weltraum geflogen, die Kommunikation soll zukünftig darüber gesteuert werden können. Ob das europäischen Datenschutzbestimmungen genügen kann, soll hier nicht weiter erörtert werden – die Chinesen denken grösser, weiter. Und wenn BYD noch in diesem Jahr mit dem ersten Serienfahrzeug mit Feststoffakku kommt, werden sich die Spielregeln auf dem globalen Automarkt ohnehin noch einmal komplett ändern. Ach ja, es laufen in China soeben die ersten Fahrzeuge mit Natrium-Ionen-Batterien vom Band. Diese Akkus, die kein (teures) Lithium und auch kein (politisch problematisches) Kobalt benötigen, sind in der Herstellung etwa 40 Prozent günstiger. Noch eignen sie sich nur für Klein­wagen, können bislang nur relativ wenig Reichweite speichern, doch sie sind ein wichtiger Schritt, wenn es um günstigere Herstellungskosten geht.

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Yuanhang Y6: Will elektrisch über 1000 Kilometer schaffen.

Es wird schwierig werden, den Vorsprung der chinesischen Hersteller bei den Stromern aufzuholen. Zumal er täglich grösser wird. Das grösste Glück für die etablierten Hersteller ist derzeit, dass BYD, Geely, Changan und Co. derzeit gar nicht besonders interessiert sind, die komplizierten europäischen Märkte richtig ernsthaft zu beackern – das Geschäft auf dem Heimmarkt läuft so gut, da braucht es keine Export-Anstrengungen.

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