Vesa Eskola und Simon Tottoli | 07.03.2024
Rückblick Der Genfer Autosalon 2024
ist Geschichte. Ob er auch der Letzte seiner Art war, wird sich zeigen. Zu hoffen ist es nicht.
Mindestens 200 000 Besucher hätte man gern gehabt, immerhin knapp 168 000 sind gekommen. Normalerweise müsste man von einem Misserfolg sprechen, aber in Anbetracht der Umstände dürften bei den Organisatoren der Geneva International Motor Show 2024 sogar leise die Champagnerkorken knallen. Denn die Vorzeichen waren bekanntlich sehr schlecht: Lediglich 37 Namen standen auf der Ausstellerliste, und nur bei den wenigsten handelte es sich um Automarken. Mit BYD, Dacia, Lucid, MG und Renault waren es nur fünf, die in Grossserie Autos auf die Räder stellen. Und weil BYD und MG (in der heutigen Form) hierzulande noch weitestgehend unbekannt sind und Lucid ebenfalls nicht gerade ein grosser Player in der Autowelt ist, verkam der Genfer Autosalon fast zu einer Ausstellung der Renault-Gruppe.
Die Organisatoren haben sich aber wirklich Mühe gegeben und eigenständig oder zusammen mit Ausstellern in den Palexpohallen ein ansehnliches Rahmenprogramm aufgebaut. Fahrsimulatoren hier, Autogrammstunden da. Und ja, auch einige Autos, etwa der Renault 5 (eine echte Weltpremiere) und der Renault Scenic (just beim Startschuss zum Salon zum neuen Auto des Jahres gekürt, s. AR 9/2024) wurden gezeigt. Die Renault-Tochter Dacia präsentierte der Weltöffentlichkeit erstmals den neuen Duster, BYD und MG stimmten sich mit ihren Modellen auf den bevorstehenden Schweizer Markteintritt ein. Und Lucid zeigte neben dem SUV Gravity erstmals in Europa den Air Sapphire, die mit 922 kW (1254 PS) stärkste Limousine der Welt. Auch mehrere Kleinserienhersteller inklusive der Schweizer Marke Microlino fanden den Weg nach Genf.
Kleine bis grosse Enttäuschung
Insgesamt buhlten 157 Fahrzeuge um die Gunst des Publikums. Einige mit mehr, andere mit weniger Ehrgeiz, denn die 40 ikonischen Klassiker von Ferrari bis Käfer haben ihren Markteintritt längst hinter sich und dürfen einfach nur noch begeistern. Aber liessen sich die Besucher denn überhaupt verzücken – von den alten und neuen Modellen und vom Rahmenprogramm? Das hing sehr stark von den Erwartungen der einzelnen Besucher ab, die den Weg zum Palexpo unter die Räder nahmen. So sprachen wir beispielsweise mit zwei Brüdern aus der Nähe von Krakau (Polen), die extra für den Autosalon nach Genf gefahren waren. Es war ihr zweiter Besuch im Palexpo, aber dass die Ausgabe 2024 nichts mit dem Salon zu tun hatte, den sie von früher kannten, merkten sie erst vor Ort. «Es ist ein Schock für uns, wie leer es hier ist und wie wenige Automarken zu sehen sind. Das Ganze fühlt sich eher wie eine lokale Messe statt einer internationalen Autoausstellung an», meinten sie enttäuscht.
Auch drei Besucher aus Finnland, die aus anderen Gründen in der Nähe waren und sich spontan für einen Besuch der Gims entschieden, waren alles andere als begeistert von der überschaubaren Ausstellerliste: «Die Abwesenheit der grossen traditionellen Automarken ist schon seltsam.» Es darf bezweifelt werden, ob sie nochmals wiederkommen. Das Gleiche gilt für zwei befreundete Paare, das eine aus Dänemark, das andere aus England. Die vier Personen schienen sich zwar prächtig zu amüsieren, aber mehr wegen ihres Humors als aufgrund des Gezeigten. «Wir waren soeben bei BYD und haben ihre Luxusmarke Yangwang kennengelernt. Auf so einen Namen muss man erst einmal kommen», erzählten sie lachend. Trotzdem zeigten sie sich beeindruckt von BYD, schliesslich sei die chinesische Batteriekompetenz alle Ehren wert.
Internationaler als erwartet
Der Eindruck, dass viele Besucher aus dem Ausland nach Genf gekommen waren, täuscht nicht. Tatsächlich hörte man in den beiden Hallen immer wieder Fremdsprachen, was den internationalen Nimbus des Genfer Autosalons untermauert. Auch eine grössere Gruppe aus Grossbritannien war zugegen. Ein Londoner hatte für sich und seine Begleiter schon vor Monaten die Tickets gekauft, als es noch keine endgültige Ausstellerliste gab. Er war schon mehrmals hier, zum ersten Mal 1993, als der Aston Martin DB7 Premiere feierte. Heute, über 30 Jahre später, übt er Kritik an den abwesenden Herstellern. «Gerade jetzt, wo die Entwicklung so schnell voranschreitet und so viele neue Technologien gezeigt werden, sind Automessen wichtiger denn je», findet er.
Unter dem Strich hat die Gims 2024 sicher mehr enttäuscht als begeistert. Das bestätigen auch Gespräche mit Besuchern aus der Schweiz. Viele gaben an, aus Neugier und Tradition nach Genf gekommen zu sein. Positiv überrascht zeigte sich niemand. Man wusste ja schon vorher, was einen erwartet. Und was nicht. Jedenfalls gilt das für die Schweizer, die in den heimischen Medien längst erfahren hatten, dass es eine Art Mini-Salon werden würde. Dass sich letztlich doch fast 170 000 Menschen, darunter 2000 Medienvertreter, während der sieben Messetage in den Palexpohallen einfanden, darf tatsächlich als Erfolg bezeichnet werden. Ob sie allerdings im nächsten Jahr wiederkommen, ist eine ganz andere Frage. Die Wahrscheinlichkeit dürfte proportional mit der Länge der Ausstellerliste steigen. Bleibt sie so kurz wie 2024, wird es ganz schwierig.
Die Gims-Organisatoren machen zwar keine Angaben, ob auf dieser Liste schon Namen stehen, haben aber bereits das Datum für die Ausgabe 2025 reserviert. Vom 17. bis 23. Februar 2025 sollen noch mehr Aussteller noch mehr Besucher anlocken. «Unsere Veranstaltung hat die Berechtigung ihrer Existenz bewiesen und unterstreicht das Bedürfnis von Fachleuten und der breiten Öffentlichkeit, sich zu treffen, um sich auszutauschen, zu entdecken und eine Erfahrung zu machen», betont Autosalon-CEO Sandro Mesquita. Wenn wir von der AUTOMOBIL REVUE uns für 2025 etwas wünschen dürften, wäre das mehr Sicherheitspersonal. Unserem Fotografen wurde nämlich die Kameraausrüstung im Gegenwert eines Gebrauchtwagens gestohlen, weshalb wir hier bloss offizielle Pressebilder zeigen können. Nur schon deshalb hoffen wir, dass es mit der Gims 2025 klappt – denn dieses unschöne Ereignis sollte nicht die letzte Erinnerung an eine einst so glanzvolle Messe sein.