Schaltfauler Nachwuchs

Simon Tottoli | 01.02.2024

Fahranfänger Seit vier Jahren dürfen ­Neulenker die Fahrprüfung auf Automatikfahrzeugen absolvieren und danach trotzdem ein manuell ­geschaltetes Auto fahren. Von Anfang an schalten lernen wollen nur die wenigsten.

94097

Schalten? Nein danke! Die überwiegende Mehrheit der Schweizer Fahrschüler will nicht in einem handgeschalteten Auto fahren lernen.

Sie haben ihn vielleicht gesehen, ob freiwillig oder nicht ganz freiwillig: den Hollywoodstreifen «Pretty Woman» mit Julia Roberts und Richard Gere. Man sieht dort in den Anfangsminuten einen Geschäftsmann, der mit einem ausgeliehenen Lotus Esprit heillos überfordert ist. Oder, besser gesagt, mit dessen Schaltgetriebe. Da er sich zu allem Elend auch noch verfahren hat, eilt ihm eine Prostituierte zu Hilfe und fährt ihn souverän ins Hotel. Die im Verlauf des Films entstehende Liebesromanze mag einigermassen unrealistisch sein, die Unfähigkeit vieler, ein manuell geschaltetes Auto zu fahren, ist dagegen bittere Realität. Heute wie damals in den USA, aber immer öfter auch diesseits des Atlantiks.

Seit 1. Februar 2019 gibt es keinen sogenannten Automateneintrag mehr. Während früher nur jemand mit einem handgeschalteten Auto fahren durfte, der das auch gelernt hatte, braucht es dazu heute einfach einen gültigen Führerschein der Kategorie B. Die bei der Gesetzesänderung befürchteten Konsequenzen in Form einer Häufung von Verkehrsunfällen mit Beteiligung junger Lenker sind offenbar nicht eingetreten. Was die wenigsten aber in diesem Ausmass erwartet hätten, ist die erschreckend hohe Zahl der Schaltverweigerer. Wenn Junge nicht schalten lernen müssen, tun sie es auch nicht. Nicht alle, aber die allermeisten.

Massiver Einbruch

«Ich hätte schliessen können», betont zum Beispiel Jeannette Groff aus Winterthur ZH. Sie ist schon seit Jahrzehnten als Fahrlehrerin tätig und sass bis vor Kurzem bei der Arbeit auf dem Beifahrersitz eines Renault Megane – eines handgeschalteten selbstredend. «Immer mehr potenzielle neue Schüler wollten aber nur Automatik fahren und sahen sich dann woanders um, weil ich das nicht anbieten konnte», meint sie ernüchtert. So sei ihr nichts anderes übrig geblieben als zu wechseln. Seit einigen Wochen lernen nun auch ihre Schüler auf ­einem Automatikfahrzeug.

Ein Einzelfall? Keineswegs! Eine Nachfrage bei den kantonalen Strassenverkehrsämtern bestätigt den Trend. «2023 nahmen wir rund 23 000 Fahrprüfungen in der Kategorie B ab, grossmehrheitlich wurden diese Prüfungen mit Autos mit automatischem Getriebe oder Elektroantrieb gefahren», sagt Severin Toberer, Leiter Kommunikation des Strassenverkehrsamts des Kantons Zürich. Genaue Zahlen kann er nicht nennen, weil keine Statistik dazu geführt wird. Damit ist Zürich nicht alleine. Verständlich, denn es spielt für den Führerschein ja keine Rolle mehr. Einzig vom Kanton Neuenburg gibt es exakte Angaben. Und die lassen aufhorchen: 2019, im ersten Jahr der neuen Regelung, wurden schon sagenhafte 47 Prozent der Prüfungen auf automatisch geschalteten Autos abgelegt. Der Anteil stieg seither sukzessive und betrug 2023 schon 86.1 Prozent.

Weitere Kantone geben zumindest Richtwerte an: St. Gallen schätzt den Anteil von Prüfungen mit Automaten auf 90 bis 95 Prozent, Graubünden zählte bis zur Neuregelung lediglich zwei Prozent Automatikprüfungen, heute seien es etwa 95 Prozent. Ähnlich tönt es aus dem Kanton Freiburg: 2018 und 2019 wurden drei Prozent aller Prüfungen mit Automaten absolviert, 2020 schon 60 Prozent, mittlerweile deutlich über 80 Prozent.

94098

Früher ein Signal für potenzielles Motorabwürgen, heute weniger aussagekräftig: Auch private Lernfahrten können ­selbstverständlich mit Autos mit Automatikgetriebe absolviert werden.

Eine verbindliche, gesamtschweizerisch gültige Statistik gibt es zur Erfolgsquote. Laut der Auswertung der Vereinigung der Strassenverkehrsämter (ASA) bestanden von 2019 bis 2022 stets 66 bis 67 Prozent der Prüflinge in der Schweiz und Liechtenstein die praktische Prüfung der Kategorie B. Wie viele von ihnen mehrere Anläufe nehmen mussten, sagt die ASA nicht. Aber ein Blick in die Zahlen bis ins Jahr 2005 zurück zeigt, dass die Erfolgsquote vor der Neuregelung sehr ähnlich aussah: Etwa zwei Drittel kamen jeweils durch. Auf das Können der Neulenker scheint sich die neue Regelung also nicht gross ausgewirkt zu haben – weder in die ­eine noch in die andere Richtung. Ausser natürlich, man betrachtet die grundsätzliche Fähigkeit zu schalten als Qualitätsmerkmal.

Freiwillige Schaltarbeit gibt es noch

Aus Sicht der Fahrlehrer wäre es zweifellos besser, jeder Fahranfänger wäre grundsätzlich in der Lage, ein manuell geschaltetes Auto zu fahren – auch wenn er die Prüfung auf einem Automaten respektive einem Elektrofahrzeug absolviert. «Ich würde die Forderung platzieren, dass Neulenkende bis auf Weiteres in jedem Fall auf dem Weg zur Prüfung mindestens vier Fahrlektionen mit einem handgeschalteten Auto absolvieren müssten», meint Michael Gehrken, Präsident von L-Drive Schweiz, der Dachorganisation der professionellen Fahrausbildung der Fahrlehrerschaft. Mit Pflichtlektionen liessen sich Probleme aus der Welt schaffen, zumal vor allem jene Lenkenden, welche den notwendigen Respekt nicht hätten und sich selbst überschätzten, im Strassenverkehr sowieso schon eines der Hauptprobleme darstellten. Der Grossteil der jungen Lenker sei aber durchaus verantwortungsbewusst und steige nicht einfach so auf handgeschaltete Fahrzeuge um, lobt Gehrken.

Duschko Jaramaz, Inhaber der Fahrschule Moove in Bülach ZH, gehört zu jenen, die solche Zusatz-Schaltlektionen anbieten. Sein Unternehmen hat entsprechende Fahrzeuge in der Flotte, wobei das handgeschaltete immer noch rege genutzt wird – von einigen Schülern sogar ausschliesslich. Natürlich sei die Zahl jener, die gezielt mit einem geschalteten Auto lernen wollten, bei ihm ebenfalls viel tiefer als noch vor ein paar Jahren. Immerhin rund 15 Prozent entschieden sich aber noch gezielt für die Handarbeit, ganz ohne sein Zutun. Jaramaz schickt vor der ersten Fahrstunde eine Nachricht mit verschiedenen Fragen an neue Schüler und will unter anderem wissen, ob ein Handschalt- oder ein Automatikgetriebe bevorzugt werde. Für die Schaltfans hat er einen VW Golf 8 angeschafft, wer keine Gänge sortieren will, lernt auf einem elektrischen VW ID.5 GTX.

Fällt die Wahl auf den Stromer, hat Duschko Jaramaz im Normalfall weniger Geld in der Kasse, denn für die Koordination zwischen Kupplungspedal und Schalthebel werden stets ein paar Extralektionen eingeplant. Manche Schüler holen diese nach der erfolgreich absolvierten Prüfung freiwillig nach, denn Jaramaz bietet den Neo-Permis-Besitzern immer aktiv an, im Nachgang das Schalten zu lernen: «Von diesem Angebot machen nicht nur Fahranfänger Gebrauch, wir erhalten auch Anfragen von Kunden, die schon lange einen Führerschein haben, aber länger nicht mehr mit ­einem manuell geschalteten Auto gefahren sind.»

Wenn nur ein Auto, dann Automat

Duschko Jaramaz hat den grossen Vorteil, dass er zusammen mit vier weiteren Fahrlehrern in seiner Schule nicht nur die Wahl zwischen einem handgeschalteten und einem Automatikauto bieten kann, sondern auch jede Kategorie abdeckt, zwei- oder vierrädrige Fahrzeuge, leichte oder schwere, auf der Strasse oder auf dem Wasser. Selbständige Fahrlehrer, die allein arbeiten, können das in der Regel nicht offerieren. Und sie haben meistens auch nur ein Auto. Das heisst, sie müssen sich entscheiden. Wie eben die Winterthurerin Jeannette Groff, die den Wechsel vom Handgeschalteten zum Automaten nur ungern vollzog. «Für mich ist das nicht mehr richtiges Autofahren», stellt sie fest. Aber es sei ihr einfach nichts anderes übrig geblieben. So wie ihr dürfte es allen selbständigen Fahrlehrern der Schweiz gehen. Wer noch nicht gewechselt hat, wird es bald tun müssen. 

94099

Forciert nicht, aber empfiehlt: Fahrlehrer ­Duschko Jamaraz rät Schülern, die die Prüfung bestanden haben, noch ein paar Stunden in einem manuell geschalteten Auto zu nehmen.

Fotos: Moove, Adobe Stock, Shutterstock

Kommentare

Keine Kommentare