Teure Post für Schweizer Verkehrssünder: Das Bundesamt für Polizei vollstreckt nun Strafzettel aus Deutschland

Klaus Justen | 30.04.2024

Tausende Schweizer ignorieren jedes Jahr Bussen für Verkehrs­verstösse in Deutschland. Damit ist Schluss. Strafen ab 70 Euro werden 
nun vom Schweizer Bundesamt für Polizei im Auftrag der deutschen Behörden vollstreckt – wenn der Verstoss ab dem 1. Mai 2024 begangen wurde. Auch deutsche Autofahrer können sich nun nicht mehr vor ihren Schweizer Verkehrsbussen drücken. 

100563

Die Messtoleranz von Radargeräten in Deutschland liegt bei drei km/h, ab Tempo 100 werden drei Prozent vom Messwert abgezogen.

Auch wenn im Nachbarland Deutschland die Verkehrsbussen für zu schnelles Fahren, Drängeln auf der Autobahn oder Verkehrsbehinderung durch falsches Parkieren zum Teil weit niedriger ausfallen als in der Schweiz, suchten viele Schweizer Autofahrer in der Vergangenheit trotzdem ein Schlupfloch, um sich vor dem Zahlen der Strafe zu drücken. Sie ignorierten die Bussgeldbescheide, die aus dem grossen Kanton an ihre Heimatadresse geschickt wurden.

Damit gingen sie kein grosses Risiko ein. Eine Chance zur Vollstreckung, wie das Eintreiben des Geldes bürokratisch richtig heisst, hatten die deutschen Ordnungsämter nicht – so wie auch umgekehrt die Schweizer Behörden nur darauf hoffen konnten, dass in der Schweiz erwischte deutsche Autofahrer ihre Bussen freiwillig zahlten. Das einzige Risiko, das für säumige Zahler dies- und jenseits der Grenze blieb: Wurden sie bei einer erneuten Einreise ins Nachbarland oder einer Verkehrskontrolle erwischt, wurden sie bar zur Kasse gebeten, wenn der Grenzwächter oder Polizist in der Schweiz zum Beispiel die Daten des Bussschuldnerregisters abfragte. Aber für nur gelegentliche Besucher des Nachbarlands war das ein überschaubares Risiko.

Das ist mit Anfang Mai 2024 Vergangenheit, zumindest für alle Geldbussen, die mehr als 70 Euro in Deutschland und mehr als 80 Franken in der Schweiz betragen. Schon im April 2022 hatten Bundesrätin Karin Keller-Sutter und ihre deutsche Amtskollegin Nancy Faeser einen revidierten Polizeivertrag unterschrieben, der neben dem Hauptziel, der Bekämpfung von Schwerstkriminalität, nun auch die gegenseitige Vollstreckung von Verkehrsbussen umfasst.

Das Gesetzgebungsverfahren zu diesem Vertrag nahm in Deutschland einige Zeit in Anspruch, bis Ende 2023 sowohl der Bundestag als auch die zweite Kammer, der Deutsche Bundesrat, alle Regeln in Gesetzesform gegossen hatte. Danach dauerte es bis Ende März, bis der deutsche Botschafter in Bern, Michael Flügger, und die scheidende Direktorin des Bundesamtes für Polizei, Nicoletta della Valle, die Verträge formell austauschten und damit das Ratifizierungsverfahren abschlossen. Damit konnte der Vertrag zum 1. Mai in Kraft gesetzt werden. Wichtig: Die gegenseitige Vollstreckung gilt nur für neue Verkehrsverstösse ab diesem Zeitpunkt – also nicht für die Geldbusse aus den letzten Sommerferien.

6000 Schweizer Autofahrer jährlich betroffen?

Auf deutscher Seite ist das Bundesamt für Justiz in Bonn für das Vollstreckungsverfahren zuständig, in der Schweiz gehen die Vollstreckungsersuchen direkt an die kantonalen Behörden. Allerdings kommen die Behörden erst dann ins Spiel, wenn der Autofahrer sich weigert, eine verhängte Busse zu zahlen. Denn auch in Zukunft wird, wie bisher schon, von der deutschen Ordnungsbehörde je nach Schwere des Delikts ein Verwarnungsgeld verhängt oder gleich ein Bussgeldbescheid erlassen. Dieser wird von Deutschland aus an die Schweizer Adresse des Fahrzeughalters oder der Halterin verschickt, wie im umgekehrten Fall von der zuständigen Schweizer Behörde an den Fahrzeughalter nach Deutschland. Dieser Datenaustausch war schon im alten Polizeivertrag von 1999 festgelegt worden und wurde auch praktiziert – nur die eigentlich auch im Vertrag vorgesehene gegenseitige Vollstreckung wurde damals nicht in Kraft gesetzt.

Entscheidet sich der Autofahrer, die Busse zu zahlen, dann ist das Verfahren erledigt. Will er jedoch einfach nicht zahlen oder haben allfällige Einsprachen keinen Erfolg und er verweigert trotzdem die Zahlung, dann wird das länderübergreifende Vollstreckungsverfahren eingeleitet. Im Fall eines Bussgeldbescheids aus Deutschland setzt die am Wohnort des betreffenden Fahrers zuständige kantonale Behörde die Forderung in der Schweiz durch.

Dabei wird aber geprüft, ob dem beschuldigten Autofahrer ausreichend rechtliches Gehör gewährt wurde, ob der Verstoss vielleicht schon nach den Regeln des Landes, das die Geldforderung durchsetzen soll, verjährt ist – oder ob er überhaupt strafbar ist. Deutschland zum Beispiel weigert sich, Bussen einzutreiben, wenn der Fahrer bei Verstössen im laufenden Verkehr nicht klar identifiziert wurde. Die sogenannte Halterhaftung kennt das Nachbarland nur im ruhenden Verkehr, also wenn falsch parkiert wurde. Um den Aufwand für die Vollstreckung im Auftrag des Nachbarn zu kompensieren, bleibt das eingetriebene Geld im Land. Das deutsche Bundesamt für Justiz schätzt seine jährlichen Personalkosten dafür auf rund 2.4 Millionen Euro. Es wird erwartet, dass rund 5000 Vollstreckungsersuchen aus der Schweiz jährlich bearbeitet werden müssen und umgekehrt 6000 Verfahren an die Schweiz abgegeben werden. Um die Zahlungsmoral der Schweizer Autofahrer scheint es also nicht zum Besten zu stehen.

Bei Fahrverbot Ausweis in Gefahr

Zwar hat Deutschland die Geldbussen vor allem bei Tempo- und Parkverstössen spürbar angehoben, aber sie liegen zum Teil noch deutlich unter den Schweizer Strafen. Ignorieren sollten Schweizer Autofahrer aber nicht, dass für übersetzte Geschwindigkeit Fahrverbote verhängt werden. Die gelten prinzipiell fürs Tatortland, können aber auch in der Schweiz zu einem Fahrausweisentzug führen, sobald die Schweizer Behörden Kenntnis vom Verfahren erlangen. Das ist bei der gegenseitigen Vollstreckung garantiert der Fall.

Ob ein Fahrverbot nur für Deutschland gilt oder auf die Schweiz ausgedehnt wird, müssen die Behörden auf Basis des Einzelfalls beurteilen, wie das Bundesgericht 2015 entschieden hat. Einfach gesagt: Für einen Pendler, der täglich von Basel nach Freiburg i. B. (D) fährt, ist das deutsche Fahrverbot Strafe genug. Wer nur in den Ferien ins Nachbarland fährt, wird durch das Fahrverbot jedoch nicht bestraft. In solchen Fällen entziehen die Schweizer Behörden den Ausweis nach den deutschen Regeln – also bei Ersttätern für einen Monat, auch wenn bei einem Verstoss in der Schweiz drei Monate Entzug verhängt worden wären. 

Welche Strafen für die unterschiedlichsten Verkehrsvergehen in Deutschland drohen, kann man über diesen Onlinerechner ermitteln. Auf der Seite wird auch erklärt, wie das Bussgeldverfahren im Nachbarland abläuft.

Korrekturhinweis: In einer ersten Version war von einer Zuständigkeit des Bundesamts für Polizei (Fedpol) bei der grenzüberschreitenden Vollstreckung die Rede. Das Fedpol hat in Zusammenarbeit mit den Kantonen sowie der deutschen Seite den Polizeivertrag überarbeitet, die Vollstreckung der Bussen läuft aber direkt über die Kantone.

100561

Wenn es geblitzt hat, schickt das zuständige deutsche Ordnungsamt einen Bussgeldbescheid.

Fotos: Adobe Stock

Kommentare

Keine Kommentare