Unsere Tests – Messmanie und Haarspalterei

Simon Tottoli und Tristano Gallace | 11.01.2024

Schweizer Präzision Seit es die AUTOMOBIL REVUE gibt, gehören Fahrzeugtests zu ihrer Kernkompetenz. 2024 werden die Testwagen penibler getestet und exakter bewertet denn je.

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In Frankreich hält man zusammen, in Deutschland gewinnen immer die Deutschen, und in Italien baut man ohnehin die besten Autos. So könnte man, vielleicht ein wenig überspitzt, die Testbarometer nationaler Automobilzeitschriften und deren Punktevergabe zusammenfassen. Die Schweiz ist weltweit für Neutralität und Transparenz bekannt, da bildet die AUTOMOBIL REVUE keine Ausnahme. Wir verlassen uns ausschliesslich auf Erfahr­ungen und Messergebnisse. Auch wenn der Aufwand für das pedantische Testen noch so gross ist, er ist es absolut wert. Die auf der Teststrecke und im realen Verkehr ermittelten Mess- und Verbrauchswerte sind unbestechlich. Und sie bilden die Grundlage unserer Bewertung. Für diese haben wir jetzt eine noch übersichtlichere und besser nachvollziehbare Segmentierung entwickelt. Sie ermöglicht es, in jedem Segment eine spezifische Gewichtung der einzelnen Bewertungskriterien anzuwenden. Im AR-Jahrbuch 2024 werden alle Bewertungskriterien und Messmethoden noch ausführlicher beschrieben sein.

Verbrauchsmessfahrten

Die AR-Normrunde, auf der wir den Realverbrauch eruieren, misst 122 Kilometer auf Autobahn, Landstrasse und im Stadtverkehr. Dieselbe Strecke, derselbe Testfahrer, dieselbe Fahrweise und derselbe Ablauf: volltanken oder -laden, fahren, volltanken oder -laden, auswerten. Warum wir so versessen darauf sind, jedes Fahrzeug knapp drei Stunden lang streng am Geschwindigkeitslimit zu bewegen? Glaube nicht, was du nicht selbst getestet hast! Gerade Verbrauchsangaben sind Laborwerte. Hat man es mit einem reinen Verbrenner oder einem reinen Elektriker zu tun, sind die WLTP-Angaben noch ein halbwegs brauchbarer Indikator. Doch bei Plug-in-Hybriden (PHEV) wird im Homologations-Testzyklus zuerst einmal gestromert, bis die Batterie vollständig leer ist. Erst dann darf der Verbrennungsmotor Kraftstoff gurgeln. So entstehen Verbräuche im Zehntelliterbereich, die jedoch in keiner Weise die Realität widerspiegeln. Neu geben wir bei den PHEV nicht nur den Liter-, sondern auch den Stromverbrauch an. Hintergrund ist die enorm unterschiedliche Arbeitsaufteilung von Verbrennungs- und Elektromotor. Während manche Fahrzeuge mit dem Batterieinhalt haushalten, hauen andere möglichst viel Strom auf den ersten Kilometern raus. Vielleicht, um beim WLTP-Test zu glänzen ... Die AR-Normrunde hingegen bleibt ein echter, wahrer und auf der Strasse ermittelter Verbrauchswert.

Segmentabhängiger Notenschlüssel

Die Ergebnisse aus Messwerten (wie jenen der AR-Normrunde) und Testeindrücken rechnen wir schon seit Langem in Punkte um, deren Totalwert dann auch die Testnote bildet. Die Maximalpunktzahl respektive die Höchstnote, die ein Fahrzeug erreichen kann, beträgt 100. Dabei berücksichtigen wir aber die höchst unterschiedlichen Anforderungen an das jeweilige Modell und teilen die Testwagen deshalb in verschiedene Segmente ein. Zwar geht es bei allen Segmenten um die Testkapitel Antrieb, Fahrwerk, Innenraum, Sicherheit und Budget – aber pro Kapitel gibt es eine segmentabhängige Maximalpunktzahl. Nur das Total, also der Höchstwert von 100, ist identisch. Damit tragen wir dem Fakt Rechnung, dass man zum Beispiel von einem Kleinwagen nicht die gleich grosszügigen Platzverhältnisse erwarten kann wie von einem grossen SUV. Ein solches wiederum sollte offroad mehr drauf haben als ein Sportwagen, bei dem wiederum der Antrieb und damit die Performance elementar sind und dementsprechend höher gewichtet werden sollten als das Budget.

Segmente und Zuweisung

Diese segmentabhängige Bewertung wird 2024 selbstverständlich fortgeführt, aber sie lässt sich dank einer neuen Darstellung für unsere Leser besser nachvollziehen. Bis anhin verwendeten wir in den einzelnen Testkapiteln Sterne. Je nach erreichter Punktezahl konnten maximal fünf Sterne pro Bewertungskriterium erreicht werden, bei fünf Kriterien also maximal 25 Sterne, die dann 100 Punkten entsprachen. Diese Darstellungsweise sieht zwar grafisch attraktiv aus, lässt aber keine Nachvollziehbarkeit der unterschiedlich stark gewichteten Testkapitel zu. Deshalb sehen Sie in ­einem AR-Test neu die für jedes Kriterium erreichte Punktzahl sowie die Höchstpunktzahl, die im betreffenden Segment im jeweiligen Testkapitel verteilt wird. Beispiel: Während ein Kleinwagen im Antriebskapitel höchstens 20 Punkte erreichen kann, sind es bei den Sportwagen 33. Währenddessen gibt es bei einem Sportwagen im Budgetkapitel maximal sieben Punkte zu verteilen, bei einem Kleinwagen aber 25.

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Pedant am Werk: Testchef Tristano Gallace führt mit sämtlichen Testwagen die identischen Messungen durch. Immer und immer wieder.

Um eine möglichst faire und transparente Punkteverteilung sicherzustellen, müssen die Testwagen natürlich korrekt ihrem Segment zugeteilt werden. Dieses Unterfangen ist heute nicht einfacher geworden, denn die Autohersteller bringen immer wieder Modelle auf den Markt, die sich nicht sofort einer bestimmten Fahrzeugklasse zuschreiben lassen. In Europa kennen wir elf Fahrzeugsegmente bei Personenwagen. Von A wie Kleinstwagen (notabene eine aussterbende Rasse) bis J wie Geländewagen (nicht zu verwechseln mit SUV) werden sie nach Grösse und Fahrzeugart unterteilt. Auch Sportwagen (S) oder Vans (M) bilden ein eigenes Segment. So weit, so logisch. Aber was ist mit SUV oder Crossovers? Erstere gibt es mittlerweile gefühlt in allen Grössen und Formen, Letztere wollen sogar mehrere Segmente aufs Mal abdecken.

Ergo wird man den gängigen Segmenteinteilungen der heutigen Autowelt nicht mehr gerecht. Wir haben deshalb eine eigene Segmentierung eingeführt, die eine möglichst faire Bewertung zulässt. So gibt es beispielsweise bei uns nicht einfach nur SUV, sondern kleine, kompakte, grosse und luxuriöse SUV – jede Klasse hat ein eigenes Bewertungsschema. Was sie derweil gemeinsam haben: Sie orientieren sich an jenem Segment, das ihnen grössenmässig am meisten entspricht. Ein kleines SUV gehört somit zum Segment A/B, ein kompaktes zu C, ein grosses zu D und ein luxuriöses zu E/F – stets mit dem Zusatz SUV, denn in den genannten Segmenten gibt es ja auch Fahrzeuge ohne Hochsitz, die wiederum anders bewertet werden als SUV. Kleinstwagen, die wie erwähnt immer weniger werden, haben wir der Einfachheit halber mit den Kleinwagen verbunden (daher A/B).

Nicht separat berücksichtigt wird der Antrieb. Ob es sich beim Testwagen um einen Verbrenner, einen Stromer oder um einen Hybrid handelt, soll bei der Bewertung keinen Unterschied machen. Selbstverständlich analysieren wir aber beispielsweise den Verbrauch antriebsorientiert. Während ein Elektroauto sich Kilowattstunden genehmigt, sind es bei Verbrennern und Hybriden Liter. Besonders sparsam oder durstig können aber alle sein. Auch bei der Beschleunigung und den Bremswegen ist der Antrieb keine Garantie. Stromer haben beim Sprint zwar einen konzeptbedingten Vorteil (die Leistung steht immer sofort voll zur Verfügung), beim Bremsen dafür einen Nachteil (höheres Gewicht), bei Verbrennern ist es umgekehrt. Ein Sportwagen zum Beispiel muss aber beides können, um sehr gut bewertet zu werden: schnell beschleunigen und schnell zum Stand kommen. Da ist ein Antriebskonzept keine Rechtfertigung für schlechtere Werte.

Antriebsunabhängige Mittelwerte

Bei den ermittelten Fahrdynamik- und Verbrauchsmesswerten weisen wir als Referenz stets die Mittelwerte des entsprechenden Fahrzeugsegments aus. Bei Beschleunigung und Bremsweg sind diese antriebsunabhängig, sprich alle Fahrzeuge eines Segments werden berücksichtigt. Bei den Verbräuchen hingegen unterscheiden wir sehr wohl zwischen Verbrennern, Plug-in-Hybriden und – natürlich – reinen Stromern. Voll- oder Mildhybride respektive Fahrzeuge mit 48-Volt-Bordnetz zählen wir zu den Verbrennern, entscheidend ist, ob eine externe Auflademöglichkeit besteht. So zeigt sich schnell, ob sich die Hybridtechnik lohnt. Mit einem Hybrid-Rucksack kann ein Modell zwar beim Beschleunigen und beim Verbrauch von der elektrischen Zusatzleistung profitieren, beim Bremsen jedoch kann es das Gewicht teuer zu stehen kommen. Dasselbe gilt für die Batterien der Elektrofahrzeuge. Weil gute Bremsen elementar sind, schenken wir dem gemessenen Bremsweg mehr Gewichtung und nehmen den Mittelwert eines Segments unabhängig von der Antriebsart als Massstab für einen allfälligen Punkteabzug. Liegt der Bremsweg über dem Segments-Mittelwert, ziehen wir pro zwei Meter ­einen Punkt im Sicherheitskapitel ab.

33 Unterkriterien bilden fünf Hauptkriterien, die eine Bewertung ergeben. Segmentspezifisch werden alle Kriterien unterschiedlich gewichtet. Alles für eine faire und transparente Bewertung.

Sehen Sie dazu die Infografiken

Fotos: Vesa Eskola

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