Dass der WLTP-Normverbrauchswert, den die Automobilhersteller seit 2017 für jedes Modell und jede Motorisierung angeben müssen, nur ein bedingter Gradmesser für Sparsamkeit oder Durst eines Autos im Alltag ist, dürfte jedem Autofahrer klar sein. Schliesslich kennt jeder aus eigenem Erleben, welchen Einfluss allein der rechte Fuss auf den Verbrauch hat. Und auch jeder Test der AUTOMOBIL REVUE belegt, dass die WLTP-Normverbrauchswerte nicht in Marmor gemeisselt sind. Die Abweichungen – und zwar in beide Richtungen – sind zum Teil beträchtlich. Schon bei der festgelegten Strecke auf der AR-Normrunde schafft nicht jeder Testkandidat die Vorgaben der Herstellerangaben, und erst recht gilt das für den Testverbrauch, der auch schon mal eine Passage deutscher Autobahn enthält oder den treibstoffzehrenden Verkehr in der Stadt.
WLTP-Verbrauch: Grosse Lücke zwischen Norm und Realität
Klaus Justen | 16.05.2024
Die Normverbrauchswerte bestehen nicht in jedem Fall den Vergleich mit der Realität. Das zeigen Auswertungen der EU-Kommission.
Auf einer breiten Datenbasis hat nun die EU-Kommission die Unterschiede zwischen Norm- und Alltagsverbrauch herausgearbeitet. Ausgewertet wurden die Realverbräuche von mehr als einer halben Million Fahrzeugen: rund 275 000 Benzinern, 220 000 mit einem Dieselmotor angetriebenen Fahrzeugen sowie knapp 125 000 Plug-in-Hybriden – davon ein rundes Fünftel mit der Kombination eines Diesels mit Elektromotor, der Rest mit Ottomotoren auf der Verbrennerseite. Möglich ist dieser Vergleich der Realverbräuche durch das seit 2021 in jedem Neuwagen obligatorische On-Board Fuel Consumption Meter (OBFCM). Das Messgerät ermittelt den tatsächlichen Verbrauch des Fahrzeugs und übermittelt ihn an den jeweiligen Hersteller. Diese reichen den Datensatz an die EU-Behörden weiter.
Ergebnis der ersten Auswertung, die auf den Zahlen des Jahres 2022 basiert: Die Verbrauchswerte im Alltag liegen im Schnitt um rund 21 Prozent höher als im offiziellen WLTP-Messverfahren ermittelt. Benziner nehmen dabei mit 23.7 Prozent deutlich mehr über den Durst als Diesel, die um 18.1 Prozent nach oben abweichen. Auf die einzelnen Hersteller umgemünzt, hält Alfa Romeo die rote Laterne, über alle Modelle hinweg liegen die Autos der Italiener um 26.8 Prozent über den WLTP-Angaben, gefolgt von BMW, Skoda und Audi. Am besten im Vergleich schneiden die französischen Marken Citroën und Peugeot ab.
Die grösste Diskrepanz ergibt sich bei den Verbrennern mit Stecker. Bei Plug-in-Hybriden weichen die Realverbräuche um mehr als 200 Prozent nach oben ab. Das ist die schlechte Nachricht, die nach Aussagen der EU-Behörden unterstreicht, dass die Besitzer von PHEV das Potenzial der Technik nicht ausnutzen – weil sie zu selten die Batterie aufladen und damit grössere Strecken elektrisch fahren. Die positive Nachricht: Die PHEV liegen im Schnitt um rund 23 Prozent niedriger im Verbrauch als konventionell angetriebene Fahrzeuge. Die zum Teil beträchtlichen Unterschiede zwischen Norm- und Realverbrauch kommen nach Aussagen der EU-Behörden nicht unerwartet. Zu viele Faktoren könnten in einem Labortest, wie es der WLTP ist, nicht abgebildet werden.
So wird der WLTP-Wert ermittelt
Seit 2017 ist das Worldwide Harmonized Light Vehicles Test Procedure – kurz WLTP –verbindlich für die Normverbrauchsangabe. Das Verfahren löste den NEFZ (Neuer Europäischer Fahrzyklus) ab, der mit dem tatsächlichen Fahrverhalten auf der Strasse nur noch wenige Gemeinsamkeiten hatte und entsprechend tiefe Verbrauchswerte ergab. WLTP, das auf Basis des Nutzungsverhaltens von Autofahrern in Europa, den USA, China und Indien entwickelt wurde, verschärfte die Anforderungen. So müssen Fahrzeuge während des Homologationsverfahren 30 statt zuvor 20 Minuten fahren, die gefahrene Geschwindigkeit beträgt bis zu 131 km/h, der Durchschnitt muss 46 km/h erreichen. Trotzdem bleibt der WLTP-Wert ein Laborwert, in der Prüfkammer ist eine Temperatur von 23 Grad vorgeschrieben. In die WLTP-Angaben fliessen auch unterschiedliche Ausstattungen sowie Reifengrössen mit ein. Damit ist er näher an der Realität als NEFZ – aber immer noch ein Stück weg vom Alltag.
Fotos: Adobe Stock
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