50 Jahre Volvo 66: Der Transfer des holländischen DAF zum schwedischen Volvo
Wolfram Nickel | 28.02.2025
Mit einem Holländer, der rückwärts genauso schnell fuhr wie vorwärts, wollte Volvo 1975 die Kompaktklasse aufmischen. Die Schweden transformierten den winzigen DAF 66 zum Volvo.
Der Volvo 66 debütierte 1975 als erster Kleinwagen der Marke
Heute ist es der vollelektrische Volvo EX30, der mit Genen des chinesischen Geely-Konzerns das Segment der Mini-SUV aufmischt – vor 50 Jahren war es ein skurriler Holländer, der als kleinster Volvo aller Zeiten Geschichte schreiben sollte.
Der 3.90 Meter kurze und 1.50 Meter schmale Volvo 66 basierte auf dem letzten Pkw-Modell des niederländischen DAF-Konzerns, der mit seinen niedlichen Minis im italienischen Michelotti-Design die Massenmotorisierung im Land der Deiche und Kanäle vorangetrieben hatte.
Das internationale Image der DAF-Typen 33 bis 66 mit serienmässiger Riemenautomatik konnte kaum schlechter sein: Die eigentlich geniale Erfindung des stufenlosen CVT-Getriebes brachte den DAF-Limousinen, Coupés und Kombis ausserhalb Hollands den Ruf von Rentner- und Frauenautos“ ein.
Italienisches Michelotti-Design, französische Renault-Motoren, schwedische Sicherheitstechnik, gebaut in Holland: Der Volvo 66 vereinte europäische Ingenieurskunst
Während das Automatikgetriebe heute in den meisten Stadtautos ein Muss ist, galt es Mitte der 1970er Jahre als uncool, obwohl sich die DAF-Modelle sogar im Rallyesport den Ruf des «fliegenden Holländers» erworben hatten.
Volvo-Chef Pehr Gyllenhammar liess sich nicht beirren: Er wollte sein Portfolio erweitern, übernahm 1975 die Pkw-Sparte von DAF und präsentierte den Typ 66 als ersten kompakten Volvo seit dem legendären Volvo PV544 «Buckel».
Nur ein Jahr später folgte der aus dem DAF 77 hervorgegangene Volvo 343, der nach holprigem Start vom Mauerblümchen zum Millionseller mutierte. Plötzlich war Volvo mittendrin im grossen Golf-Segment – mit kleinen Elchen Made in Holland.
Vorwärts wie rückwärts gleich schnell fahren – das gab es nur mit der Riemenautomatik bei DAF-Modellen und dem daraus hervorgegangenen Volvo 66
Während Analysten meinten, Schwedens grösster Industriekonzern habe sich mit dem Erwerb von DAF übernommen und Volvo sei in finanzielle Schwierigkeiten geraten, avancierte der Hersteller grosser Limousinen und Kombis sowie elitärer Coupés mit den kompakten Modellen aus dem DAF-Erbe nach einigen Anlaufschwierigkeiten zum erfolgreichen Generalisten.
Vor allem die Volvo 300er entwickelten sich zum Auflagenmillionär, sodass Volvo-Chefstratege Pehr Gyllenhammar eine politisch erwünschte Fusion von Volvo mit Saab verhindern konnte.
In Schweden technisches Kulturerbe: Der DAF-Kalmar Tjorven diente ab 1968 als Postauto
Personenkult war den Schweden fremd, aber Gyllenhammar mit seinem Gespür für sinnvolle Invests wurde als kommender Premierminister gehandelt, und selbst seine provokant rot lackierten Volvo-Turbo-Dienstwagen wurden akzeptiert.
Schliesslich hatte der «Mann mit den goldenen Händen» den Deal mit den Niederländern eingefädelt und Volvo zum nationalen Vorzeigeunternehmen gemacht. Einen Konzern, den er in den 90er Jahren mit Renault fusionieren wollte – dem Motorenlieferanten für die in Holland gebauten Volvo 66, 300 und 400.
Nicht mit uns, sagten die Volvo-Aktionäre und liessen Gyllenhammars weitere Karrierepläne krachend scheitern.
Beliebt bei Rentnern, Frauen, Rallyefahrern und Volvo-CEO Pehr Gyllenhammar: Der DAF 66 mutierte 1975 zum Volvo
Ganz anders 1971, als Pehr Gyllenhammar die Leitung von Volvo von seinem Schwiegervater Gunnar Engellau übernahm, der bereits ein Engagement bei DAF erwogen hatte. Schliesslich gehörte der kleine niederländische Pkw-Hersteller in Skandinavien zur Alltagskultur, seit er die Technik für die zuverlässigen Kalmar-Transporter der Post lieferte.
Mit massiven Volvo-Stossfängern fiel der Typ 66 im Strassenbild der 1970er auf
Die in Schweden montierten DAF-Kalmar-Typen wurden liebevoll Tjorven genannt und erinnerten damit an die Sympathieträgerin und das berühmte Trollkind aus Astrid Lindgrens Kultroman «Ferien auf Saltkrokan».
Trotz dieses Bonus gelang es DAF-Kalmar nicht, sein Trollkind in nennenswerter Zahl an Privatkunden zu verkaufen, vielleicht auch deshalb, weil DAF bis in die 1970er Jahre in schwedischen Qualitätsrankings auf den hinteren Plätzen rangierte.
Rallyestreifen, Doppelscheinwerfer und trotzdem nur 57 PS: Der Volvo 66 Kombi war nicht schnell, aber dank Variomatic-Getriebe ideal für den Stadtverkehr
Auch das DAF 66 Marathon Coupé, das ab 1973 von der Volvo Motorsport Division eingesetzt wurde, konnte die Popularität der Kleinwagen nicht steigern. Rallye-Ass Per-Inge Walfridson – «Pi, der Porsche-Killer» genannt – feierte mit dem kleinen Holländer spektakuläre Siege.
Auf der anderen Seite gab es die verrückten „Achteruitrijden“ (Rückwärtsrennen): Die DAF-Typen konnten dank ihrer Variomatic genannten Riemenautomatik rückwärts genauso schnell fahren wie vorwärts – ein Garant für Unfälle und Lacher. Während Volvo-Chef Gunnar Engellau zögerte, griff sein Nachfolger Pehr Gyllenhammar zu, als die DAF-Eigentümerfamilie Van Doorne günstig verkaufen wollte.
Über 100'000 Kleinwagen mit DAF-Genen verkaufte Volvo zwischen 1975 und 1980. Wenig im Vergleich zum VW Golf, aber für die Schweden der Beginn einer Erfolgsstory
Das Jahr 1975 stand im Zeichen eines schwedisch-niederländischen Wettstreits in den Radio-Charts: Mal lag Abba mit «SOS» an der Spitze, mal die holländische Band George Baker Selection mit «Paloma Blanca», passend zum Neustart der DAF-Kleinwagenpalette als Volvo 66. Die Familienähnlichkeit zum grossen Volvo 240/260 wurde durch massive Stossfänger und den Volvo-typischen Kühlergrill gewährleistet.
Wichtig für das Volvo-Sicherheitsimage waren Sitze mit integrierten Kopfstützen, eine verformbare Lenksäule und viel Qualitätsfeinschliff. Der brave 1.1-Liter-Vierzylinder mit 33 kW (45 PS) und der etwas agilere 1.3-Liter-Renault-Motor mit 42 kW (57 PS) waren bekannt, aber für ausgewählte Märkte gab es auch ein Volvo-66-GT-Kit mit 55 kW (76 PS), das sportliche Kunden ansprechen sollte.
Auch der Volvo 343 ging 1976 aus einem DAF hervor und verfügte über die stufenlose Variomatic
Trotz der anfänglichen Skepsis in der Fachwelt war der Baby-Volvo für die Schweden der Beginn einer Erfolgsgeschichte, die Baureihe 66 verschaffte Volvo Zugang zum VW-Golf-Segment und damit zu neuen Kunden.
Gegen die modernen, frontgetriebenen Kompakten hatten die über die Hinterräder angetriebenen Holländer keine Chance, dennoch konnten bis 1980 gut 106‘000 der kleinen Elche verkauft werden. Damit war der Grundstein gelegt, um 1976 mit dem grösseren DAF-Erbstück, dem Volvo 343 einen Chartstürmer zu starten.
Wären da nicht die Riemenautomatik, ein phlegmatischer 1.4-Liter-Renault-Benziner und Qualitätsmängel gewesen: Statt der angekündigten 100‘000 Volvo 343 pro Jahr wurden im Werk Born nur 54‘000 Einheiten gebaut.
Zum Bestseller (hier der einmillionste Volvo 340 im DAF-Museum Eindhoven) entwickelte sich der holländische Schwede erst mit Schaltgetriebe
Nun war Holland in Not, aber Gyllenhammars Task Force handelte rasch: Qualitativer Feinschliff, konventionelle Getriebe, neue Typenvielfalt und starke Einspritzer liessen die Volvo-340/360-Familie zu grosser Form auflaufen: Über eine Million Einheiten dieser finalen DAF-Konstruktion wurden bis 1991 gebaut, und Volvo gilt seither als Spezialist für kompakte Charismatiker.
Mit Einspritzmotoren erzielte der Volvo 360 als erster kompakter Holländer auch in Schweden beachtliche Erfolge