Jaguar XJ220 – Unlimitiert

Martin Sigrist | 25.01.2024

Wahnsinns-XJ Ein Supersportwagen mit hoher Leistung zu einem exorbitanten Preis – Jaguar überraschte 1988 mit dem XJ220.

93045

Ikone Einen Jaguar XJ220 sieht man 
nicht alle Tage. Exemplar Nummer 188 
kam 1993 als Neuwagen in die Schweiz.

Eben noch feierte Jaguar die 75 Jahre des XK120. Der spektakulärste Strassen-Jaguar der jüngeren Geschichte, der XJ220, ging dabei etwas unter. Im Oktober 1988 wurde er als Concept-Car mit 6.2-Liter-V12-Motor und Allradantrieb an der British International Motor Show in Birmingham gezeigt, im Oktober 1991 feierte die Serienversion in Tokio Premiere. Im Frühling 1992 startete die Produktion des damals teuersten Jaguar aller Zeiten. Bei der Premiere nannte das Werk einen Verkaufspreis von 290 000 Pfund, bei einem Pfund-Wechselkurs von damals 2.54 Franken entsprach dies 736 600 Franken. Um sich eines der 350 geplanten Autos vorab reservieren zu können, bedurfte es einer Anzahlung von 50 000 Pfund (127 000 Fr.). Urs Schmid, Mitbegründer des Jaguar Drivers’ Club Switzerland (JDCS) gehörte 1990 zu den wenigen Glücklichen hierzulande – man spricht von 21 insgesamt – , die sich einen XJ220 reservieren konnten. 1993 stand das Auto bereit, worauf der stolze Besitzer den Wagen direkt in der Fabrik abholte und auf Achse in die Schweiz überführte. Es sollte die bis heute längste Fahrt am Stück dieses höchst exklusiven Wagens bleiben.

93087

Enthusiasmus Besitzer Philipp Husistein pflegt eine innige Liebe zu Jaguar. Der XJ220 war immer ein Traumauto des Präsidenten des Jaguar Drivers’ Club Switzerland.

Wir treffen Philipp Husistein, den aktuellen Präsidenten des Jaguar Drivers’ Club Switzerland in seiner Garage. Er konnte den lange Zeit stillgelegten Wagen im vergangenen Jahr von der Witwe des 2015 verstobenen Urs Schmid kaufen. Der XJ220 erfuhr inzwischen eine umfassende Überholung. Was sofort auffällt im direkten Vergleich zum Jaguar E-Type oder XK120, aber auch zu ­einem XJ-S oder gar einer XJ-Limousine, ist die schiere Grösse der Flunder. Mag der XJ220 bereits auf Bildern spektakulär wirken, so ist er in natura mit seinen fast fünf Metern Länge schlicht gewaltig. Urheber des XJ220 ist der Südafrikaner Keith Helfet, als Vorlage diente ihm ein Kartonmodell, das Jaguar-Chefingenieur Jim Randle über Weihnachten 1987 angefertigt und seinem Kollegen zum neuen Jahr in die Designabteilung gebracht hatte.

Ein anderes Auto

Zwischen dem Prototyp von 1988 und dem fertigen Auto 1991 lagen viele Entwicklungsschritte – zu viele, so sind manche Puristen überzeugt. Etwa wurde aufgrund von Bedenken der Ingenieure, der mächtige V12 lasse sich bei gleichzeitiger Abgasentgiftung nicht auf die geforderte Leistung bringen, ein V6-Turbomotor verwendet. Dieser hatte entfernt etwas mit dem von Tom Wal­kin­shaw Racing (TWR) 1989 nach dem Ende der Gruppe B von Rover übernommenen Motor des Rallye-MG Metro 6R4 zu tun. Das V64V genannte Aggregat war ein Dreiliter-Sauger, wurde aber nun turbogeladen und als 3.5-Liter zuerst als Rennmotor eingesetzt – auch mit der Hilfe von Max Heidegger.

Einen dieser in Jaguar JRV-6 umbenannten V6-Motoren hören wir, als Philipp Husistein sein Auto aus der Halle holt. Der Start ist dabei höchst unspektakulär und kein Vergleich zum Gebrabbel ­eines aktuellen Jaguar F-Type. Ob Jaguars Motorenwahl – nach der ursprüngliche Aussicht auf einen potenten V12 – tatsächlich dermassen enttäuschend war, wie manche Autojournalisten kritisierten, wagen wir zu bezweifeln. Das rapide Wegbrechen des Interesses an diesem Jaguar nach dem Produktionsbeginn 1992 dürfte weniger auf den Motor als vielmehr auf eine sich rasch abkühlende Wirtschaft zu Beginn der 1990er-Jahre zurückzuführen gewesen sein.

93082

Handgebaut Für die Produktion des XJ220 errichtete Project XJ220 Limited unter der Führung von TWR 
eine eigene Fabrik in Banbury (GB). Rund 1500 Vorbestellungen gingen bei der Präsentation 1988 ein.

Von einem anderen Stern

Der XJ220 rollt an uns vorbei, die ganze Dramatik dieses Autos kommt in Bewegung noch viel deutlicher zum Ausdruck. Bei der Fahrt durch die Aarauer Agglomeration wirkt er inmitten des Verkehrs wie ein aufgestyltes Supermodel in Haute Couture, das am Montagmorgen den Catwalk auf dem Bahnperron von Gleis 4 zwischen noch leicht zerknitterten Pendlerinnen und Pendlern vollführt – surreal. Als Herstellerin unseres XJ220 mit der Nummer 188 gilt die Project XJ220 Limited, ein Joint Venture zwischen TWR und Jaguar Sports, der eigentlichen Erbauerin des XJ220 in der Wykham Mill in Banbury (GB) in Oxfordshire. 350 Wagen waren geplant, und diese Zahl wurde von Jaguar mit Nachdruck als Limit deklariert. Nicht etwa, weil noch 1991 jemand an dessen Erreichbarkeit gezweifelt hätte, sondern weil Ferrari mit dem F40 gezeigt hatte, wie verbindlich solche Limiten zu verstehen waren. Statt nur 400 Exemplare des F40 wie angekündigt, produzierte Ferrari 1311. Der XJ220 blieb hingegen eine weitaus seltenere Erscheinung. Bis zum Produktionsende 1994 verliessen nur 281 Exemplare das Werk. Die Fabrik hingegen diente bis 2004 zur Herstellung des Aston Martin DB7.

93049

V6 Turbo statt V12 wie ursprünglich geplant. Der Motor stammte – stark modifiziert – aus dem MG Rallye Metro 6R4.

93050

Die Feder-Dämpfereinheiten sitzen innenliegend.

«Der schnellste Produktionswagen der Welt»: So lautete die Deklaration des XJ220 nach seiner Lancierung. Offiziell wurden mit einem Vorserienexemplar im Juni 1992 auf dem Rundkurs von Nardo in Süditalien 217.1 mph (349.4 km/h) gemessen, die von 1994 bis 1999 im Guinness Book of Records vermerkt blieben. Gefahren hatte den Wagen mit der Chassisnummer 009 Martin ­Brundle, Le-Mans-Sieger auf dem Jaguar XJR-12 im Jahr 1990. Der Rekord-220er hatte durchgehende Auspuffrohre statt Katalysatoren, und der Drehzahlbegrenzer setzte statt bei 7400 U/min erst bei 7900 U/min ein. Brundle sagte, der XJ220 sei bei Höchstgeschwindigkeit am Begrenzer gelaufen – ein Zeichen dafür, dass noch etwas mehr drin gelegen wäre. Erst 1998 setzte der McLaren F1 mit 240.1 mph (386.4 km/h) eine neue Rekordmarke.

Das recht lang übersetzte Fünfganggetriebe des 220 stammt von Ferguson, deren Allradtechnik ursprünglich den Jaguar hätte antreiben sollen. Der Serienwagen verzichtete darauf. Vorne wie hinten gibt es doppelte, ungleich lange Querlenker und innenliegende Feder-Dämpfer-Einheiten von Bilstein. Auch die versprochene aktive Aufhängung blieb bei der Überarbeitung des Wagens zur Produktionsreife auf der Strecke.

Spoiler waren Ende der 1980er-Jahre beliebt, der XJ220 aber hat einen durchgeformten Unterboden mit Venturi-Effekt. Das Resultat sind 1.3 Tonnen Abtrieb bei 200 Meilen pro Stunde und ein cw-Wert von anständigen 0.36.

93069

In Leder ausgeschlagene Kabine, die Zusatzinstrumente sitzen links in der Türe.

93058

Armaturenbrett aus der Grosserie, nur der Tachometer reicht ins Unermessliche.

93057

Die Fauteuls bieten einen erstaunlichen Sitzkomfort.

Auch in Life

Die Kabine ist in Leder ausgeschlagen, der Armaturenträger wirkt reichlich diesseitig. Weder Alublech mit schwarzem Schrumpflack noch eine lange Reihe von Kippschaltern zieren das Tableau. Die Zusatzuhren in der Tür sind angewinkelt eingebaut, sodass sie vom Fahrer eingesehen werden können. Der XJ220 wurde damals als breit kritisiert, in der Menge der mächtigen SUV wirkt er heute fast normal. Auch die Länge, die unter dem neuen Chefdesigner Geoff Lawson für die Serienversion um 20 Zentimeter gekürzt wurde, ist mit 4.93 Metern weniger ausladend als vermutet.

Als Beifahrer lässt es sich im XJ220 gut leben, Sorgen macht sich höchstens der Pilot. Die Sicht nach vorne ist akzeptabel, nach hinten ist sie typisch für einen Mittelmotorwagen. Parkhäuser und Innenstadt-Trottoirparkplätze waren nie als Zielort für den XJ220 vorgesehen. Erfreulich ist das Gewicht. Die Aluminiumkarosserie sitzt auf einem verklebten Aluminiummonocoque mit Wabenstruktur und eingearbeitetem Überrollbügel zur Versteifung der Chassisstruktur. Mit rund 1.4 Tonnen ist der XJ220 so schwer wie ein Porsche 911 GT3 RS oder ein Lotus Emira. McLaren braucht ein Kohlefasermonocoque, um diesen Wert zu unterbieten. Und der Jaguar hat ein Feature, das für Sportwagen von den 1960er- bis in die 1990er-Jahre ein Muss war: Klappscheinwerfer! Die Leuchteinheiten sind fix, aber die Abdeckung klappt in einer geradezu sexy Art und Weise weg.

XJ220 waren einst auch Spekulationsobjekte, Erstbesitzer Urs Schmid holte sein Auto damals hingegen persönlich aus der Fabrik ab, fuhr damit nach Hause und behielt es. Der zweite Besitzer, Philipp Husi­stein, will den Wagen nun auch fahren – das Beste, was einem Jaguar XJ220 passieren kann! 

93083

Fahren Keine 5000 Kilometer legte der Jaguar seit 1993 zurück, nun dürften rasch einige mehr  dazukommen.

Technische Daten

Jaguar XJ220 1993, Chassisnummer 188, CH-Erstauslieferung

Motor V6-Mittelmotor (Jaguar JRV6), 
DOHC, Biturbo, Bohrung×Hub 94×84 mm, 3498 cm³, 550 PS bei 7000 U/min, 642 Nm bei 4500 U/min.

Antrieb 5-Gang-Getriebe (Ferguson), Hinterradantrieb, Sperrdifferenzial.

Fahrwerk Ungleich lange, doppelte Querlenker v./h., innenliegende Feder-Dämpfer-Einheiten.

Karosserie Alu-Wabenstruktur-Monocoque mit Hilfsrohrrahmen, Alukarosserie, 2 Plätze.

Fahrleistungen 0–100 km/h in 3.8 s, Höchstgeschwindigkeit 342 km/h.

Stückzahl 281 Exemplare, 1 V12-Concept-Car.

Preis 290 000 Britische Pfund (entsprachen 1991 ca. 736 600 Fr.), aktuell rund 500 000 Franken.

93048

Statt 350 Exemplare wie geplant konnten am Ende nur 281 XJ220 ausgeliefert werden.

93053

93072

93084

93067
93075
93081
93085
93086

Fotos: JDCS Jaguar Tribune, Vesa Eskola

Kommentare

Keine Kommentare