Mehr als 171 000 Interessierte folgen dem Instagram-Account @toycarsaddict_daily, manche der Kurzfilme des jungen Aargauers, der hinter dem Account steckt, wurden schon weit über eine Million Mal abgespielt. Auf Youtube sehen gar 387 000 Abonnenten seine Filme. Das ist erklärbar, denn der «Kerl mit 18 000 Autos» – so beschreibt er sich selbst – zeigt Highlights aus seiner ständig wachsenden Sammlung von Miniaturautos im Massstab 1:64. Der Name des Mannes: Sven Kamm. Autos prägten ihn seit seiner Kindheit – klein und in Originalgrösse. So gehört dem Fan von JDM-Cars ein Nissan Skyline GT-R R33. JDM steht für Japanese Domestic Market und bezeichnet Autos aus dem Land der aufgehenden Sonne, die vorzugsweise für den Heimmarkt bestimmt waren. Von vielen Klassikliebhabern noch nicht richtig wahrgenommen, ist diese junge Szene, ein eigenes, kleines Universum, äusserst aktiv, die Preise explodieren. Dieser Bezug schlägt sich auch in der Weise nieder, wie Kamm seine Sammlung präsentiert: Lebendig animiert zeigt er sie den Followern, die sich mit derselben Thematik befassen. Kurzum, hier ist eine andere, neue Generation von Autofans am Werk.
Eine Dosis Auto täglich
Martin Sigrist | 25.01.2024
Hot-Wheels-Sammlung XXL Der Massstab 1:64 erlebt einen ungeheuren Boom, die Szene blüht, mitverantwortlich dafür ist Social Media. Einer der wichtigsten Protagonisten kommt aus der Schweiz.
Verdichtung Oder: Wenn vor lauter Autos das Dach nicht mehr zu sehen ist.
JDM-Fan Sven Kamms Faszination für JDM-Autos (Japanese Domestic Market) zeigt sich auch im Kleinen. In der Hand die Miniatur eines Nissan GT-R R33, wie er ihn auch in Gross besitzt.
Aus seiner Ehrfurcht und Wertschätzung für die grossen Raritäten, die Must-Haves, macht Sven Kamm kein Hehl. Aber er zeigt eine erfrischende Selbstironie für den Umfang seiner Sammelleidenschaft. Für ihn ist es ganz eindeutig eine Art unheilbare Krankheit. Kamms Benutzername in den sozialen Medien widerspiegelt dies. Ein Addict ist nichts anderes als ein Süchtiger, und Daily verrät, dass die Sucht täglich befriedigt sein will. Aber vielleicht ist das ein viel zu komplizierter Ansatz, um die unglaubliche Fülle an Autos zu beschreiben, die Sven Kamm zusammengetragen hat. Der Dachstock, wo er uns empfängt, birgt in einer fast schon künstlerisch wirkenden Rauminstallation einen Schatz. Es gibt kaum ein freies Stück Täfer in diesem Raum, überall hängen die typischen Blisterpackungen mit ihren farbigen Rückkarten. Geordnet ist die Sammlung schlicht nach dem Alphabet. Die ersten von Abertausenden von Modellen sind Abarth und Alfa Romeo.
A bis Z Die Modelle sind nach Marken und Alphabet geordnet. Die Präsentationsboxen sind Sven Kamms eigenes Produkt.
Wie konnte es nur dazu kommen?, fragt man sich. Die Sucht wird bereits den jüngsten unter uns Autofans eingeimpft. Nicht in versteckten Läden in düsteren Seitengassen in weniger begehrten Einkaufsquartieren, sondern quasi bei hellem Tageslicht bei den Grossverteilern, beim Einkaufen in Migros oder Coop. Matchbox, Hot Wheels oder Majorette sind die letzten Überbleibsel einer grossartigen Welt von Spielzeugautos, die in den 1970er-Jahren an jedem Kiosk und in vielen Krämerläden, aber auch beim Metallwarenhändler, beim Optiker oder anderen als Quengelware zu finden waren, bevor die Elektronik im Kinderzimmer Einzug hielt.
Spielzeug Mini aus der TV-Serie «Mr Bean» von Matchbox. Die Grundversionen der kleinen Autos gibt es auch beim Grossverteiler, für manche ist dies der Ort, wo eine grosse Leidenschaft beginnt.
Die Klassiker
Märklin versuchte sich bereits in den 1930er-Jahren in einem kleineren Massstab von etwa 1:60, die Pico-Serie umfasste vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs jedoch nur gerade zwei Modelle: den KdF-Wagen, das erste Modell eines Volkswagens überhaupt, und den GP-Mercedes W154, beide passend zur 1935 eingeführten Tischbahn in Spur 00. Diese hatte zwar einen Massstab von 1:87, doch den Kindern war das egal. Noch weniger auf den korrekten Massstab setzten Leslie Smith und Jack Odell, als sie 1953 in England das erste Druckgussmodell in einer Zündholzschachtel auf den Markt brachten, die Matchbox-Series von Lesney. In riesigen Mengen, aber mit überragender Präzision produziert, sollten Matchbox-Autos zum Massstab der kleinen Spielzeugautos der folgenden 15 Jahre werden. Die Modelle, egal ob Pferdefuhrwerk, Kipplastwagen oder Aston Martin DB3, mussten einfach in die kleine Schachtel passen.
Matchbox by Lesney florierte, bis Mattel 1968 in den USA eine unscheinbare Flotte von 16 Fahrzeugen im Massstab 1:64 in knalligen Farben auf die Kinder losliess – die Hot Wheels. Der Clou: Die Autos rollten dank dünner Federdrahtachsen und Hartplastikräder viel besser als ihre Konkurrenten aus der Alten Welt. Chrom, leuchtende Metalliclacke und Fantasieformen liessen den Marktleader Matchbox buchstäblich über Nacht alt aussehen. Seit 1968 haben die Hot Wheels die Führung in dieser Modellgrösse nie mehr abgegeben. Mehr noch, die Matchbox-Markenrechte liegen seit 1997 ebenfalls in den Händen von Mattel.
Kunterbunt und farbig Mit knalligen Farben und Aufdrucken mischten Hot Wheels ab 1968 den Spielzeugautomarkt auf. Heute bestimmt die Marke von Mattel die Trends im Sammelmassstab 1:64.
Eine Welt im Kleinen
Hot Wheels bestimmen heute die Trends. Grosse Namen aus dem Motorsport, der Automobilindustrie und in wachsendem Masse aus den digitalen Medien sind stolz, ihre Modelle oder eine eigene Serie von Hot-Wheels-Autos zu erhalten oder sogar mitgestalten zu können. Längst hat sich ihr Zentrum weg vom Drahtbügel, an dem die Modelle an ihren Karten hängend im Laden zu finden waren, ins Internet verschoben. Treasure-Hunts, in Kleinstmengen unter die reguläre Produktion gestreute Sondermodelle, sind kaum noch in Läden zu finden, die Jagdstrecke sind heute Online-Foren, Chats und die Anhängerschaft einzelner Protagonisten und Shops.
Auch Sven Kamm führt einen reich dotierten Webshop mit antiquarischen und den allerneusten Produkten einer vorwiegend in Asien tätigen Industrie. Neben Autos gibt es ganze Gebäudeserien für Garagen, Strassenszenen und Figuren, um die Sammlung zu ergänzen und zu bereichern. Oder um, wie es Kamm in Perfektion vormacht, mit eindrücklichen Bildern und Filmchen die tollsten Stücke der Sammlung wie in Wirklichkeit abbilden zu können. Ständig tauchen neue Hersteller auf dem Markt auf, die Präzision der Modelle ist zum Teil verblüffend. Damit gestiegen ist auch die Zahlbereitschaft der Fans, die bereit sind, für ein neues Modell 30, 40 oder mehr Franken auszulegen. Für Raritäten kann es auch ein Vielfaches davon sein. Spätestens dann wird aus dem frühen, einfachen Spass des Kindes am knapp drei Franken teuren Auto aus Migros oder Coop wahre Leidenschaft für eine hoch spezialisierte, stetig wachsende Welt kleiner Autos.
Detailreich Auch im Massstab 1:64 gibt es sehr akkurate Modelle, die weit von einem Spielzeugauto entfernt sind: Porsche 907 Langheck von Kyosho.
Erfüllung in der Einzigartigkeit
Der Zugang zur Modellwelt im Massstab 1:64 ist mehrstufig. Nach dem Einstieg – man ertappt sich etwas verschämt in der Kinderabteilung hinter den Gestellen beim Heraussuchen der tollsten Modelle – und dem Wechsel ins Internet, um auch einmal eines der unzähligen Sondermodelle zu finden, führt der Weg schliesslich zum individualisierten Einzelstück. Sven Kamm zeigt uns auf Blister aufgebrachte, fein säuberlich in eine schützende Hülle eingeschweisste Autos. Hergestellt hat diese ein Customizer auf der Basis eines bestehenden Modells, Kamm gestaltete die Rückkarte des Blisters. So, wie es bei ihm an der Wand hängt, gibt es dieses Modell nur ein einziges Mal. «Diese Modelle erachte ich als meine wertvollsten Stücke. Nicht wegen des Preises, sondern wegen des persönlichen Bezugs und ihrer Einzigartigkeit. Besonders Freude macht es, wenn eine Idee bei einem Hersteller ankommt und man sich irgendwann über ein Serienmodell eines selbst entworfenen oder zumindest von einem selbst angeregten Modells freuen kann!»
Sven Kamms Sammlung ist noch längst nicht vollständig, und der Mann ist noch jung. Das kann also eine noch grössere Sache werden.
Instagram: @toycarsaddict_daily
Youtube: www.youtube.com/@ToycarsaddictDaily/videos
Einzelstücke Selbst gestaltete Rückkarten und modifizierte Autos sind Kamms Perlen.
Storys Aufwendige Dioramen, oft raffiniert beleuchtet, erwecken die Modelle zum Leben. Mit seinen Posts in sozialen Medien begeistert Sven Kamm Hunderttausende.
Sattsehen Kaum zu glauben, aber der Sammler erinnert sich bei jedem seiner Autos daran, wo er es einst her hatte. Figuren bereichern die Regale.
Fotos: Martin Sigrist
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