Wer schafft es von Luzern nach Basel?

Martin Sigrist | 22.02.2024

Uralt-Autos in Aktion London to Brighton dient ihm als Vorbild, die Strecke ist aber ­wesentlich anspruchsvoller. Der Luzern to Basel Run ist für Autos, Motorräder und Velos aus der Frühzeit der Automobilität reserviert.

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Bereits 1967 war die Jura-Überquerung für Pionierautos ein Abenteuer.

Stephan Musfeld, Initiator und Betreiber des Pantheon Basel in Muttenz BL, dachte schon länger darüber nach, ­eine Variante des London to Brighton Veteran Car Run in einer eigenen, sehr schweizerischen Form durchzuführen. Die älteste regelmässige Veranstaltung für Automobile feiert jedes Jahr Anfang November die Aufhebung des Red Flag Acts im Vereinigten Königreich im Jahr 1896. Fortan musste in Grossbritannien kein Mann mehr mit einer roten Fahne einem Motorfahrzeug voranschreiten. Strikt für Autos aus der allerersten Phase der Automobilität reserviert, ist London to Brighton die grösste Versammlung für Motorwagen mit Jahrgang 1904 und älter. Stephan Musfeld ist ein grosser Enthusiast für Pionierfahrzeuge und nahm mehrfach am London to Brighton Run teil. Er weiss, was es heisst, mit einem pferdelosen Wagen eine Strecke von fast 100 Kilometern zurückzulegen.

Seine Schweizer Variante heisst nun Luzern to Basel Run und startet zum ersten Mal am 23. Juni. Als Partner und Unterstützer bot sich das Verkehrshaus in Luzern mit Daniel Geissmann als Verantwortlichem an. Bekanntlich liegt zwischen den beiden Städten der Jura, die Fahrt dürfte deshalb wesentlich mehr von der antiken Technik abverlangen, als es die Fahrt vom Londoner Hyde Park bis zum berühmten Pier von Brighton tut.

Auch für Töff und Velos

Beim Luzern to Basel Run zum Pantheon sind auch Töffs bis zum Jahrgang 1924 und Velos bis 1914 zugelassen. Sie alle sollen den Jura über den Hauenstein überqueren. Mit Automobilen aus ­einer Zeit, als die Konstrukteure schon glücklich waren, wenn ihre zum Teil mehr als abenteuerlichen Vehikel sich aus eigener Kraft fortbewegen konnten, ist das Erklimmen einer Passstrasse geradezu eine Parforceleistung. Die maximale Steigung der Hauptstrasse 2 beträgt an der Schlüsselstelle der Südrampe von Trimbach SO über den Unteren Hauenstein Richtung Norden 6.3 Prozent. Auf einer Distanz von 7.7 Kilometern werden dabei 295 Höhenmeter überwunden, die Scheitelhöhe beträgt 691 Meter über Meer.

Dennoch blicken Daniel Geissmann und Stephan Musfeld der Veranstaltung mit gutem Mut entgegen: «Wir fahren am frühen Sonntagmorgen los, da wird uns der grosse Verkehr noch kaum in die Quere kommen», ist sich Musfeld, Kurator unzähliger Ausstellungen im Pantheon, sicher. Für Co-Organisator Geissmann ist es eine Chance, im ansonsten eher statischen Verkehrshaus Technik, die sonst kaum je in Funktion erlebt werden kann, in Bewegung zu zeigen. Die Teilnehmer werden bereits am Samstag, 22. Juni, an der Lidostrasse in Luzern erwartet und sich auf dem Areal des grössten Technikmuseums der Schweiz vorbereiten.

Pferdestärken

Auf ausgewählten Teilstrecken werden sogar Pferdegespanne beim Run mit dabei sein. Sie waren bis zum Zweiten Weltkrieg in der Schweiz trotz wachsenden Motorisierungsgrads omnipräsent. Den Pferdehöchstbestand mit 152 000 Tieren erlebte unser Land erst 1946! Die Pferdegespanne erlauben den Zuschauern einen direkten Vergleich und sorgen womöglich auch für eine gewisse Einsicht, warum die wilden Autofahrer auf ihren knatternden Gefährten einen sehr exotischen Touch auf die gekiesten Staubstrassen des frühen 20. Jahrhunderts brachten. Wer damals wirklich ankommen wollte, der überlegte sich, ob er auf kapriziöse Technik oder lieber auf das bewährte Pferd setzen wollte.

Wie erwähnt fahren die Kutschen nur auf Teilstrecken, in der Vergangenheit hätte die Reise zu Pferd ohne deren Wechsel zwei bis drei Tage gedauert. Vor der Eisenbahn, die Luzern von Basel mit der Eröffnung des Centralbahnhofs 1856 erreichte, schaffte es eine Postkutsche mit Vorspann und Pferdewechsel in einem Tag über den Jura. Pferden sind kurze, knackige Steigungen übrigens lieber als lange Bergauf-Passagen, wie Franz Knüsel der AR versichert. Der pensionierte Tierarzt und Kutschensammler aus Rothenburg LU ist für die Pferdewagen am Luzern to Basel Run verantwortlich.

Die schnellsten unter den ganz frühen Verkehrsteilnehmern dürften die Velofahrer sein. Dem Drahtesel ist es zu verdanken, dass sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts überhaupt eine Form der Freizeitgestaltung entwickeln konnte, die das Erkunden der Landschaft und anderer Dörfer und Städte beinhaltete. Im frühen 20. Jahrhundert erhielt das Velofahren zudem eine politische Komponente, als sich auch die Damenwelt in Hosen stürzte und anfing, mit den jungen Burschen mitzustrampeln, doch das ist eine andere Geschichte.

Den Velofahrern sind kürzere Steilstücke angenehmer, sie können jedoch bei Bedarf absteigen und den Drahtesel schieben, wie die Organisatoren versichern. Für jene Automobile aber, die beim Anstieg ab Trimbach kapitulieren, ist ein Abschleppdienst mit Oldtimertraktoren vorgesehen. Bei den ältesten Autos mit Jahrgängen ab 1898 und Leistungen von zwei bis drei PS ist damit zu rechnen, dass dafür Bedarf vorhanden sein wird.

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Das De Dion-Bouton Quadricycle von 1900 dürfte mitfahren.

Mehrere Zwischenhalte

Die Organisatoren sehen eine erste Rast in Dagmersellen LU und eine Verschnaufpause in Trimbach vor, damit sich Mensch und Maschine vor der Schlüsselstelle über den Jura nochmals stärken können. Entlang der ganzen Route von Luzern über Emmenbrücke LU, Sempach LU, Sursee LU und Zofingen AG nach Olten SO, wo die Aare überquert wird, und besonders von Trimbach über den Hauenstein, Läufelfingen BL, Sissach BL, Liestal und Pratteln BL bis zum Pantheon in Muttenz ist mit reichlich Spektakel für Zuschauerinnen und Zuschauer zu rechnen. Jede kleine Steigung dürfte für Spannung sorgen, und ganz gewiss wird der illustre Konvoi nicht einfach an Land und Leuten vorbeirasen, sondern gute Gelegenheiten für einen Schwatz, guten Humor und spannende Einsichten in die Welt von früher bieten, was genau dem Zweck einer solchen Veranstaltung entspricht. Im Pantheon wartet auf die Helden ein feierlicher Empfang, für Zuschauer besteht die Möglichkeit, die Pionierfahrzeuge aus nächster Nähe zu betrachten.

Das virtuelle Anmeldefenster ist geöffnet, Chancen, in die Startliste aufgenommen zu werden, haben ausschliesslich Automobile und Motordreiräder bis und mit Jahrgang 1904. Als Beleg des korrekten Jahrgangs ist ein plausibles Beweisdokument vonnöten, und die Fahrzeuge brauchen für die Dauer des Anlasses eine gültige Zulassung zur Teilnahme am öffentlichen Strassenverkehr. Bei den Motorrädern und Gespannen sind Fahrzeuge bis Jahrgang 1924 zugelassen, auch sie natürlich strassenzugelassen. Für Velos gilt eine Jahrgangsgrenze von 1914. Die Teilnahme erfolgt auf eigene Gefahr, eine Wertung gibt es nicht, wer den Start in Luzern schafft, ist bereits ein Sieger. 

Luzern to Basel Run, 22./23. Juni 2024. Informationen und Anmeldung www.verkehrshaus.ch

87 Kilometer, zehn PS und zwei Plattfüsse

Bereits 14-mal fuhr Stephan Musfeld
 (Bild l., mit Daniel Geissmann) beim London to Brighton Veteran Car Run mit. Jeweils am ersten November-Sonntag bei Sonnenaufgang machen sich rund 400 Fahrzeuge im Londoner Hyde Park auf den Weg ins Seebad von Brighton an der Kanalküste. «Seit 20 Jahren befasse ich mich mit Messingautos, 2009 nahm ich erstmals mit einem De Dietrich von 1901 am L-to-B teil und gewann sogleich den Preis für den besterhaltenen unrestaurierten Veteranen. Heuer starteten Daniel Geissmann und ich mit einem Georges Richard von 1902, dessen 1418-Kubikzentimeter-Zweizylinder zehn PS leistet», erzählt Musfeld. «Oft ist es im November nass und kalt, aber dieses Jahr kamen wir bei bestem Wetter an. Nur ein Reifen bereitete uns etwas Sorgen, im Ziel in Brighton war er platt, zum zweiten Mal auf der knapp 90 Kilometer langen Strecke. Die Idee zu einer Schweizer Edition des London to Brighton Run, des L-to-B, hatte ich schon länger. Luzern to Basel, auch L-to-B, ist eine tolle Gelegenheit, Pionierautos in Fahrt zu erleben, Chancen dazu gibt es in der Schweiz sonst kaum.» MSI

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Nicht neu ­Charles-Edouard Henriod und Charles Baehni bei Paris–­Bordeaux 1899.

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Prospekt der Zürcher Autopioniere Egg & Egli.

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Darracq von 1901.

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Das Dampfdreirad von De Dion-Bouton und Trépardoux von 1885 startete Frankreichs Autobegeisterung.

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Die Gebrüder Henriod aus Biel mit einem ihrer frühen Autos von 1893.

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Ein Egg & Egli von 1899.

Fotos: AR-Archiv, Stephan Musfeld

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