Macht es in der Art und Weise, wie jemand die automobile Vergangenheit betrachtet, einen Unterschied, ob er in Zürich, Genf oder in Graubünden aufgewachsen ist? Vermutlich nicht, im Fall des Bündners Simon Bundi, eines bekennenden Petrolheads, ist die Herkunft aber nicht ganz unbedeutend. Präziser formuliert, ist für ihn die eigene Herkunft aktuell von Bedeutung dafür, womit er sich nebst vielem anderem zurzeit beschäftigt. Es geht um die aussergewöhnliche Tatsache, dass Graubünden im nächsten Jahr auf eine gerade einmal 100-jährige Geschichte des Automobilverkehrs zurückblicken kann. Erst 1925 wurde das Bündner Strassennetz, eines der grössten eines Schweizer Kantons, für den motorisierten Verkehr freigegeben. Bundi, Archivar und Kurator bei Emil Frey, wird uns zeitgerecht die entsprechende Geschichte präsentieren.
Der Archivar
Martin Sigrist | 21.03.2024
Dossiers, Prospekte, Korrespondenzen, Printobjekte, Plakate, Fotos, Filme und ein ganzes Museum – die Arbeit von Emil-Frey-Archivar und -Kurator Simon Bundi ist nie langweilig.
Im Archiv von Emil Frey
Eine Rolle Geschekpapier aus den 1970er-Jahren.
Das Dossier mit Werbematerialien zum Jaguar X100 (XK8).
Apropos Autos und Geschichte: Der Historiker studierte neben Geschichte auch Filmwissenschaften und Rätoromanistik, ein Praktikum führte ihn zur Aargauer Denkmalpflege. Seine Lizenziatsarbeit schrieb er über den Bündner Heimatschutz, das Verhältnis von Bürgern, Nichtbürgern und Ausländern war schliesslich Thema seiner Dissertation. Seit 2016 ist Bundi Kurator und Archivar in Safenwil AG. «Warum ist das Auto bis heute so erfolgreich? Welche Bedeutung hat es als Artefakt innerhalb der Mobilitätsgeschichte? Wie hat sich das System Strasse mit ihm verändert und entwickelt? Dies sind einige Fragen, die ich mir stelle, hinzu kommt die Einmaligkeit des Autos als Maschine, die wie keine zweite die emotionale Seite im Umgang mit ihr in den Vordergrund stellt. Das Auto ist nicht in erster Linie ein Technikobjekt. Für den deutschen Historiker Kurt Möser etwa ist es ein mobiler, privater Raum, und für mich ist es eine der wichtigsten Erfindungen des 20. Jahrhunderts», erklärt Bundi bei einem Rundgang zwischen Archivregalen.
Es ist diese Mischung aus beruflicher Kompetenz als Historiker und privatem Interesse als Autointeressiertem, die das Gespräch und die Diskussion mit Bundi so interessant macht. Dazu kommt eine Begeisterung für kleine Dinge fern der akademischen Nüchternheit wissenschaftlicher Betrachtung. «Das digitale Armaturenbrett des Subaru aus meiner Kindheit faszinierte mich, ‹Knight Rider› war die wichtigste TV-Serie überhaupt. Mich faszinieren die Formen der Autos, als Kind konnte ich nachts am Licht der Scheinwerfer erkennen, was für ein Auto uns entgegenfuhr, die Lancierung des Ford Mondeo war für mich damals ein grosses Ereignis», erzählt er und schlägt damit einen weiten Bogen um sein Fachgebiet. 2009 kaufte er sein erstes Auto, einen 1985er-Alfa-Romeo 2000 GTV. Seit 2010 steht ein Alfa Romeo Spider im Fuhrpark, dazwischen war da auch ein Daimler Double-Six. Das tönt alles etwas nach Unvernunft. Oder nach grosser Begeisterung für das Auto.
Ausstellungsmacher
Gleich zum Beginn seiner Arbeit für Emil Frey galt es für Bundi, eine Ausstellung im Museum zu übernehmen. 1926 schloss Emil Frey anlässlich eines Englandbesuchs mit William Lyons und William Walmsley einen Vertrag ab, und Frey wurde zum ersten ausländischen Händler der Swallow Sidecar Company, jenes Unternehmens, das heute als Jaguar bekannt ist. Zum 90-Jahr-Jubiläum der Partnerschaft begleitete Bundi diese Ausstellung mit Objekten aus dem eigenen Fundus und von externen Leihgebern: «Kuratiert habe ich diese allerdings noch nicht selber, sie eröffnete im Oktober, ich habe erst im September angefangen». Doch es war sein Einstieg in Safenwil. Und statt die Räumlichkeiten des firmeneigenen Museums als erweiterten Showroom zu missbrauchen, spannte Bundi den Bogen weiter und gab dem Thema Auto und dessen Berührungspunkten mit der Welt einen Platz in den Ausstellungen. In «Auto und Architektur» im Jahr 2018 stellte er die Beziehung zwischen diesen Themen, bei denen Technik und Ästhetik eine wichtige Rolle spielen, in den Mittelpunkt. Auch mit der Ausstellung zu 40 Jahren Subaru in der Schweiz gelang es ihm, die Perspektive zu öffnen, genauso wie bei seiner Schau zu James Bond, der Schweiz und der Autolust der 1960er-Jahre von 2022, ein wunderbares Zeitbild dieser autoverrückten Epoche. Und die jüngste Sonderschau über Farben und Autos brachte wieder zwei hochemotionale Inhalte in lustvoller Weise zusammen.
Sichten So sehen viele Archivalien aus bevor sie gesichtet, bewertet, sortiert, inventarisiert und gelagert werden.
Doch Ausstellungen sind nur die Kür von Bundis Arbeit in Safenwil. Manches ist auch ausgeprägt repetitiv, so das Digitalisieren von Dokumenten, die Erfassung ganzer Dossiers – ein Prozess von der Breite in die Tiefe, denn zunächst gilt es oft erst festzuhalten, was man da eigentlich in Händen hält –, das Umsortieren in geeignete Aufbewahrungsbehältnisse wie Archivboxen aus säurefreiem Papier oder das Einordnen von Bildnegativen in PVC-freie Kunststoffhüllen. Generell gilt es Medien und Materialien zum Zweck einer ungefährdeten Lagerung voneinander zu trennen und so zu erfassen, dass man sie bei der Erschliessung ihres Inhaltes wieder verknüpfen und damit ihren Zusammenhang erkennen kann, also etwa Fotonegative mit den entsprechenden Abzügen und diese wiederum mit der Drucksache, für die sie gebraucht wurden.
Es ist klar, dass im Archiv eines aktiven Unternehmens stetig neues Material hinzukommt, doch immer wieder werden auch ganze Bestände gesichtet und ins Archiv übernommen. Ein schönes und interessantes Beispiel dafür sind etwa die Unterlagen der ehemaligen General Motors Suisse SA in Biel BE mit der Montage Suisse. Mit der Übernahme des Vertriebs von Opel durch Emil Frey gelangten auch die Unterlagen in deren Besitz und in die Verantwortung von Archivar Bundi. Nun gilt es, sie zu inventarisieren und zu integrieren.
Suchen und finden Dossier mit Material zum Jaguar XJ40 aus den 1980er-Jahren in einer säurefreien Mappe. Nur was richtig inventarisiert ist, lässt sich leicht wieder finden.
Das bedeutet für Simon Bundi jedoch nicht nur, sich mit staubigen Dossiers und unzähligen Akten herumzuschlagen. Bei dieser Arbeit gibt es auch echte Schätze zu entdecken. Der Schweizer Filmemacher Kurt Früh, vertreten durch die Produktionsgesellschaft Condor Film, erhielt 1964 den Auftrag für einen Imagefilm über die Bieler Automontage, das Werk «Mein General Motors Abenteuer», ein brillantes Schweizer Zeitdokument, ist heute auf Youtube zu finden. Simon Bundi zeigte uns den Auftrag von General Motors Suisse an Condor Film und ein ganzes Fotoalbum über die Dreharbeiten. Pikant: Im Film diente ein ausrangierter DeSoto Diplomat der Konkurrentin Automontage Schinznach der Amag als Einstieg in die Geschichte.
Zeitdokument Aus dem Archiv von GM Suisse stammen ein Fotoalbum über die Dreharbeiten zum Kurt-Früh-Film «Mein General Motors Abenteuer» und dessen Drehbuch.
Vielfalt Ein illustrierter Prospekt für den Mini aus den 1970er-Jahren
Übrigens: Auch die Archivalien der AUTOMOBIL REVUE seit 1906 sind heute Teil der Sammlung von Emil Frey. Die Markendossiers mit allen Bildern, technischen Tabellen und Pressemappen, die zur Herausgabe des berühmten Katalogs dienten, sind digitalisiert und können nun systematisch erschlossen werden. Vieles aber wartet, nur oberflächlich gesichtet, noch darauf, neu entdeckt zu werden: Korrespondenzen, Testprotokolle und so weiter. Auch diese Unterlagen gilt es physisch zu ordnen, abzulegen und so zu sichern, dass sie dem Zahn der Zeit möglichst lang standhalten. Die Arbeit wird dem Archivar so schnell nicht ausgehen, dies ist sicher.
Fotos: Martin Sigrist
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