Ein Gerät für alle Fälle

Martin Sigrist | 18.04.2024

Man findet den Unimog im Wald, in der Wüste, auf dem Feld oder neben der 
Autobahn, manchmal fährt er sogar auf Schienen. Nun wird er 75 Jahre alt.

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75 Jahre Unimog

Schlieren ZH an einem frühen Morgen im März. Vor dem Mercedes-Hauptsitz stehen für einmal keine Prachtslimousinen oder futuristische E-Autos, sondern zwei ziemlich bodenständige, tannengrüne Arbeitstiere. Das eine ist ein Unimog der ersten Serie, angetrieben von einem bescheidenen 25-PS-Dieselmotor, das andere ist ein mächtiger Geräteträger, ein Fahrzeug, das vielseitiger kaum sein könnte und dessen Geheimnisse sich uns bei einer ausgiebigen Testfahrt auf der Geländepiste im Betzholz in Hinwil ZH offenbarten. Vielleicht fällt aufmerksamen Lesern auf, dass es sich beim Neufahrzeug, einem U430 mit maximal 14 Tonnen Gesamtgewicht, um ein schweres Nutzfahrzeug handelt – für gewöhnlich ist das nicht das Metier der AUTOMOBIL REVUE. Aber gerade ein Fahrzeug wie der U430 dient mit vielerlei Funktionen auch dem allgemeinen Autoverkehr, ganz besonders als Geräteträger für Böschungsmäher entlang den Autobahnen oder für Strassendienste und Kommunen im Winterdienst mit Räumschild oder Schneefräse und Salzstreuer.

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Universal-Motor-Geräte So viel hat sich gar nicht verändert vom Unimog 
aus dem Jahr 1949 bis heute. Noch immer ist er ein technisches Meisterwerk.

Durch Mercedes übernommen

Was sich heute als mächtiges Arbeitsgerät präsentiert, nahm vor 75 Jahren als eine Art Hybrid zwischen einem Traktor und einem leichten Nutzfahrzeug seinen bescheidenen Anfang. Die Ursprünge des Unimog liegen nicht in Stuttgart (D) oder Mannheim (D), sondern im schwäbischen Göppingen. Hier nahm die Firma Gebrüder Böhringer 1949 die Produktion des Unimog auf, der vom ehemaligen Leiter der Mercedes-Benz-Flugmotorenabteilung, Albert Friedrich, und einem kleinen Team direkt nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt worden war. Mit ihm erhofften sich die Ingenieure von der amerikanischen Besatzungsmacht die Erlaubnis zum Bau eines Landwirtschaftsfahrzeugs. Sahen doch die ersten Pläne der Amerikaner vor, aus Deutschland einen Agrarstaat zu machen – mit einer starken Kontrolle über Industrie und Wirtschaft. Bekanntlich wurde der Morgenthau-Plan nie umgesetzt, sondern vom viel weitreichenderen und auf wirtschaftlichen Aufschwung in ganz Europa setzenden Marshall-Plan abgelöst. Nachdem in den westlichen Besatzungszonen nach der Währungsreform 1948 mit der Einführung der D-Mark und der Rückgabe von Vermögenswerten und der Führungsverantwortung über die Unternehmen an ihre ursprünglichen Besitzer der Anfang zum deutschen Wirtschaftswunder gelegt war, machte sich auch die Truppe um Albert Friedrich auf, Partner für sein Universal-Motor-Gerät, den Unimog, zu finden. Fündig wurde sie bei den Gebrüdern Böhringer für den Bau und bei Mercedes-Benz für den Vierzylinder-Dieselmotor. Im März 1949 wurde der erste Unimog, Chassisnummer 003, an einen Kunden geliefert, das Allradfahrzeug hatte bereits bei seinem ersten öffentlichen Auftritt an einer Landwirtschaftsausstellung im August 1948 für grosses Interesse gesorgt. 90 Arbeiter fabrizierten in Handarbeit bis zu 50 Unimog des Typs U70200 im Monat. Der erste Grossauftrag stammte von der Schweizer Armee! Diesen ersten 44 Fahrzeugen folgten 16 Bestellungen ziviler Abnehmer. Einer dieser frühen Böhringer-Unimog gehört heute dem Verkehrshaus der Schweiz und ist – zivilisiert – aktuell für Mercedes-Benz Trucks Schweiz als Unimog-Botschafter im Einsatz.

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Konstrukteure der ersten Stunde: Dipl.-Ing. Heinrich Rössler am Steuer des ersten Unimog Prototyp U1 am 9. Oktober 1946. Rechts: Hans Zabel, Erfinder des Produktnamens „Unimog“.

Eine kleine Probefahrt mit dem bis zu 50 km/h schnellen Gerät offenbarte seine erstaunliche Wendigkeit und kompakte Bauweise. Die Spur von 1270 Millimetern entsprach damals genau dem Abstand zweier Kartoffelreihen auf dem Acker. Zapfwellen vorne und hinten für Geräte, ein Anhängehaken hinten und eine kleine Ladefläche machten den Unimog zu weit mehr als nur einem etwas schnelleren Traktor. Doch die Erkenntnis, dass mit den vorhandenen Mitteln keine befriedigende Produktion zu schaffen war, veranlassten Böhringer und das Entwicklungsteam um Friedrich 1950 dazu, die Rechte für 600 000 Mark an Daimler-Benz zu verkaufen. Für Albert Friedrich bedeutete dies eine Rückkehr, bis 1958 blieb er für Mercedes-Benz Chefentwickler des Unimog, nun im Werk Gaggenau.


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Die ersten Unimog 70200 bei der Firma Böhringer in Göppingen (D). Von 600 gebauten Exemplaren wurden 60 in die Schweiz exportiert, davon 44 für die Armee.

Geballte Technik in der Neuzeit

Zusammen mit dem Unimog-Spezialisten der Schweiz schlechthin, Produktmanager Andreas Hauser, fahren wir nun im aktuellen Unimog U430 von Schlieren nach Hinwil ZH auf das Übungsgelände des TCS. Der Jubiläums-Unimog zieht mit fast 90 km/h über die Autobahn entlang des linken Zürichseeufers, trotz seines kurzen Radstands und der knuffigen Geländereifen fährt er sehr spurstabil und erstaunlich leise. Die Kabine ist sehr übersichtlich, mit einer Breite von 2200 Millimetern sind selbst Baustellenbereiche kein Grund für Angstschweiss. Für die Fahrt auf der Strasse überlässt man dem Unimog das Schalten im Automatikmodus – mit einer Auswahl von acht Gängen. Doch dieses Fahrzeug kann viel mehr, wie ein erster Augenschein schon vor der Abfahrt vermuten liess. So gibt es rundum Anschlüsse für die bordeigene Hydraulik und dazu einen Ölkühler. Eine massive Frontanbauplatte nimmt ein Räumschild, eine Schneefräse oder dergleichen auf, hinten gibt es eine Rockinger-Kupplung. Dazu gehören auch Druckluftkupplungen und natürlich eine Zapfwelle vorne.

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Geräteträger Den Unimog gibt es heute in zwei Varianten. Als Geräteträger wie den U430 oder als grossen, geländegängigen Transporter.

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Über Stock und Stein Der getestete Jubiläums-U430 in klassischer Farbgebung verfügt über einen Hydrostatantrieb. Mit der hydraulischen Kraftübertragung lässt sich die ­Geschwindigkeit stufenlos bis 50 km/h variieren. Insgesamt stehen 24 Schaltstufen für Strasse, Gelände und – hier besonders wichtig – den Arbeitseinsatz zur Verfügung.

Im Gelände steht dem Unimog kaum etwas im Weg, insgesamt 24 Vorwärts- und 22 Rückwärtsgänge bietet ein U430. Das Geschwindigkeitsspektrum reicht von besagten 90 km/h auf der Autobahn bis zu unglaublichen 0.09 km/h im kleinsten Rückwärts-Kriechgang. Vorwärts sind es immerhin 0.13 km/h. Der Clou dabei ist, dass dieser U430 auch über einen Hydrostaten, einen hydraulischen Antrieb, verfügt, mit dem sich unabhängig von der Drehzahl des Motors eine vorgegebene Geschwindigkeit halten lässt, etwa im gemeinsamen Betrieb mit einem zweiten Fahrzeug, welches beim Bordmähen das Schnittgut aufnimmt. Sperren für die Längsrichtung des permanenten Allradantriebs und für die Achsen sind selbstverständlich. Für den Einsatz als Räumfahrzeug gibt es die Schnellumschaltung des Getriebes im Wendebetrieb. Ist der Unimog gar als Zweiwegefahrzeug ausgerüstet, sodass er auch auf Schienen fahren kann, schafft er auch rückwärts bis zu 60 km/h – ideal für den Baueinsatz und, etwas weniger schnell, zum Rangieren von Bahnwagen auf dem Fabrikareal. Der U430 leistet mit ­einem Reihensechszylinder von 7698 Kubikzentimetern Hubraum 299 PS und hat ein Drehmoment von über 1200 Nm, das für fast jede Anwendung reicht, die der Kunde wünscht. Und Grenzen, welche immer das genau sein könnten, kennt der Unimog fast keine. 

Lust auf noch mehr Unimog? Dann empfehlen wir das Unimog-Museum in Gaggenau (D), der alten Heimat des «Mogs». Anfahrt und Öffnungszeiten finden Sie auf 
www.unimog-museum.com

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Fotos: Leon Elmazov

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Spartanisch? Im Vergleich zu einem Traktor von damals 
war der Böhringer-­Unimog ein Fortschritt. Die Zweckmässigkeit verblüfft bis heute.

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Arbeitsplatz Im Einsatz ist jede der ­Bedienhilfen eine Erleichterung für den Fahrer.

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