Der 911 Turbo, Superlativ des Superlativs, wird 50!

Martin Sigrist | 13.06.2024

Porsche 930 Mit dieser Entwicklungsnummer setzten die Porsche-Ingenieure 1974 ihrem Topmodell die Krone auf. Turbos gab es schon zuvor, doch keinen wie den 911 Turbo.

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Weltpremiere des Porsche 930/911 Turbo am Autosalon von Paris im Herbst 1974: Zum Zweck 
der Homologation in der GT-Klasse sollten ursprünglich nur 500 Exemplare gebaut werden.

Er ist im Prinzip eine leicht zu verstehende technische Einrichtung, die dem Verbrennungsmotor zu mehr Leistung verhilft: der Turbo. Zwei Windräder und dazwischen ein grosses, sehr drehzahlfestes und hitzebeständiges Lager. Die Idee des Schweizer Ingenieurs Alfred Büchi (1879–1959), die ungenutzten Abgase eines Verbrennungsmotors zum Antrieb eines Verdichters zu nutzen, der die Füllung des Brennraums verbessert, scheint naheliegend. Tatsächlich liess Büchi das Prinzip des Abgas-Turboladers bereits 1905 während seiner Arbeit beim Maschinenbauer Sulzer in Winterthur ZH patentieren. Nur steckt der Teufel bekanntlich im Detail, und so wurde erst 1924 ein Sulzer-Motor mit einem Turbolader von Brown, Boveri & Cie. (BBC) aus Baden AG für die Schweizerische Lokomotiv- und Maschinenfabrik (SLM) in Winterthur gebaut. 1925 meldete Büchi, seit 1909 Sulzer-Entwicklungschef und ab 1915 in enger Zusammenarbeit mit der BBC, einen Leistungsgewinn von 40 Prozent gegenüber einem Saugdiesel. Die Eigenschaften eines langsam laufenden, meist mit konstanten Drehzahlen operierenden Schiffsmotors, wo zudem das Volumen und Gewicht der Motornebenaggregate kaum eine Rolle spielen, kamen dem Turbo mit all seinen anfänglichen Unzulänglichkeiten, besonders dessen Trägheit und hoher thermischer Belastung, entgegen. Dennoch setzte ein anderer Schweizer Dieselspezialist, Saurer in Arbon TG, darauf und präsentierte 1938 die ersten turbogeladenen Lastwagen. Die Arboner behielten letztlich bis 1972 ihre mechanischen Schraubenlader, erleichterten aber mit vier Ventilen pro Zylinder den Gasfluss. Erst in den 1950er- und 1960er-Jahren begann sich der Turbolader im Nutzfahrzeugbereich durchzusetzen.

General Motors brachte die abgasgetriebenen Verdichter erstmals im PW-Bereich zum Einsatz, doch weder der Chevrolet Corvair noch der Oldsmobile F85 Jetfire (beide 1962) vermochten zu überzeugen. Zu viele Fragen waren noch offen, so etwa die Gemischaufbereitung und generell der Drehmomentverlauf. Allerdings weckten diese Exploits das Interesse der Ingenieure.

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Charakteristisches Merkmal: der Heckflügel, beim 3-Liter noch mit schmaler Gummilippe

Turbos bei Porsche

In Zuffenhausen (D) sorgte der Turbolader zuerst im Motorsport für Furore. Dem langsam in die Jahre gekommenen 917 verhalf die Aufladung in der CanAm-Serie, den Leistungsnachteil des zunächst 4.5 Liter grossen Zwölfzylinders gegenüber den bis zu neun Litern grossen amerikanischen V8-Motoren zu kompensieren. Mit dem Porsche 917/10 stand ab 1971 erstmals ein Turbo-Porsche am Start eines Rennens. Die unausgegorene Leistungsentfaltung des mit massiv reduzierter Verdichtung gefahrenen Motors hatten die Ingenieure mit Regelventilen in den Griff zu bekommen versucht. 1972 erhöhte die Porsche-Rennabteilung den Hubraum des Turbo 917 auf fünf Liter, womit der aufgeladene Rennwagen einen Leistungssprung von 850 auf glatte 1000 PS machte. Die 
CanAm-Saisons von 1972 und 1973 wurden von den Turbo 917/10 und 917/30 dominiert.

In der Saison 1973 gab es auch erste Pläne, im Porsche 911 RSR einen Turbolader einzusetzen. Das Reglement der GT-Klasse verlangte für die folgenden Jahre als Basisfahrzeuge Serienwagen. Porsche sah sich mit dem 911 dafür gut aufgestellt, allerdings war eine Aufladung zur Leistungssteigerung unabdingbar. Herbert Müller und Gijs van Lennep fuhren mit einem 2.14-Liter-Porsche 911 Carrera RSR Turbo in der Saison 1974 eine ganze Reihe wichtiger Achtungserfolge ein, darunter je einen zweiten Platz im Gesamtklassement der 24 Stunden von Le Mans (F) und der 6 Stunden von Watkins Glen (USA). Aus einem Porsche 3.0 RS Turbo wurde allerdings nichts, da der Autoweltverband FIA für 1976 ein niedrigeres Gewichtslimit verkünden liess, als viele prophezeiht hatten.

Porsche, der Turbo und dazu der 911 als Träger waren nun aber in den Köpfen der Fans positioniert, die beste Voraussetzung für die Weltpremiere eines Porsche 911 Turbo als Serienwagen am Autosalon von Paris im Oktober 1974. Der intern als 930 bezeichnete Porsche profitierte von der veränderten Achsgeometrie des Carrera RSR, zeigte eine entsprechend verbreiterte Karosserie und setzte am Heck erstmals auf einen grossen, markanten Heckspoiler, viel prominenter als beim Carrera 2.7 RS. Dazu gab es einen aufgeladenen Dreilitermotor, der 260 PS leistete. Geplant war er als Homologationsmodel, limitiert auf 500 Exemplare.

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Ein erster Vorgeschmack auf den 930er gab eine Studie auf RSR-Basis an der IAA von 1973

Turbokult

Einen Turbo im Serienauto hatte BMW mit dem 2002 schon im Vorjahr gezeigt, der 911 Turbo aber machte den Porsche zum schnellsten deutschen Sportwagen überhaupt. Mit einem Neupreis von rund 65 000 D-Mark war das neue Spitzenmodell allerdings alles andere als wohlfeil. Und trotz einiger Bedenken hinsichtlich des Fahrverhaltens des 930, der Angst vor einem plötzlich einsetzenden Turbo beispielsweise, hatten die Ingenieure mit ­einem Ladedruck-Regelventil dem Motor ein erträgliches Mass an Manieren beigebracht. Genauso wichtig wie die technischen Belange war aber das Aussehen des Turbomodells. Mit dem konsequenten Weglassen jeglichen Chroms und dem charakteristischen Spoiler am Wagenheck setzte der Turbo die Grundsilhouette des 911 für den weiteren Verlauf seiner mittlerweile 50-jährigen Geschichte. Und mit dem aufgeladenen 911 wurde der Begriff Turbo zum Synonym für alles, was schnell, cool und sexy war. Turbo war in den 1970er- und 1980er-Jahren einer der beliebtesten Namenszusätze, selbst Küchengeräte oder Mofas – wer kennt noch das Alpa Turbo aus der Fabrik in Sirnach TG, wo bis heute die Cresta-Velos herkommen? – wurden so sprachlich schneller gemacht.

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Ab 1978 mit mehr Hubraum – 3.3 Liter – und Leistung (300 statt 260 PS), im Heckflügel mit breiter Gummilippe sitzt nun ein Ladeluftkühler

Topmodell

Das Turbo-Mofa (ohne Turbo) ist längst Geschichte, der Porsche 911 Turbo aber lebt bis heute. Jeder Generation des 911 stellte Porsche auch ­einen Turbo zur Seite und trieb damit die Entwicklung des Turboladers selbst voran. Im auf 3.3 Liter vergrösserten Motor des 930 ab 1978 diente ein modifizierter Heckspoiler der Unterbringung eines Ladeluftkühlers, ein Novum im Automobilbau. Im Nachfolgemodell 964 sorgten ab 1990 Metallkatalysatoren für eine schnelle, effektive Abgasreinigung, sodass der 911 Turbo als sauberstes Auto der Welt galt. Der letzte luftgekühlte 911er, der 993, brachte es als Turbo erstmals auf 408 PS (300 kW) – dank kleinerer Lader, von denen aber jede Zylinderbank einen besass. Im wassergekühlten 997, dem 911er der sechsten Generation, gelang es Porsche erstmals, einen Benzinmotor mit Turboladern mit variabler Geometrie auszurüsten.

Ein 911 Turbo gilt bis heute als Spitze der Leistungsfähigkeit aus Zuffenhausen. Und mit 50 Jahren dreht er immer noch auf vollen Touren. 

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Mit Metallkatalysatoren ab 1990 und mit mehr Leistung (360 statt 320 PS) dank 3.6 Liter Hubraum 
ab 1993 (o.) reichte der Porsche 964 das Thema Turbo an die nächste 911er-Generation weiter.

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Ein wahrer Über-Turbo war der letzte luftgekühlte 911 der Modellreihe 993 ab 1995. Je ein kleinerer Lader pro Zylinderbank setzte den Sechszylinder unter Druck. Die Leistung stieg auf 408 PS.

Technische Daten

Porsche 930 / 911 Turbo 1974 bis 1978.

Motor Sechszylinder-Boxermotor luftgekühlt, 2993 cm³, 1 Abgasturbolader KKK 3LDZ (Kühnle, Kopp & Kausch), Ladedruck max. 0.8 bar, Benzineinspritzung Bosch K-Jetronic, Verdichtung 6.5:1, 260 PS bei 5500 U/min, 343 Nm bei 3000–5000 U/min.

Antrieb 4 Gänge (aus Gründen der Getriebehaltbarkeit), Hinterradantrieb.

Fahrwerk Vorne Querlenker mit Dämpferbein, hinten Schräglenker, Drehstabfedern, belüftete und gelochte Bremsscheiben.

Karosserie Coupé, Stahlblech teilverzinkt, 2+2 Plätze.

Fahrleistungen 0–100 km/h 5.5 s, Höchst­geschwindigkeit 250 km/h.

Stückzahl 930 3.0 und 3.3 (1974 bis 1989) 20 600 Exemplare.

Preis 1974: Fr. 78 650.– (911 Coupé Fr. 40 000.–)

Fotos: Archiv AR

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RSR Turbo-Studie als Turbo-Vorreiter an der IAA 1973 in Frankfurt

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Motor, Chassis und Karosserie wurden für den 930 (911 Turbo) umfangreich geändert

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Erstes Pressebild des 930

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Whaletail oder Walflosse, auch der normale 911 konnte mit einem Heckflügel auf «Turbo» – zumindest optisch – getrimmt werden

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Kein Turbo, aber immerhin mit Heckflügel, später gab es auf Wunsch auch den Turbolook inklusive Breitbau für normale 911er

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Kompakte Einheit

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Turbomotor des 930

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Der Heckflügel des 930 3.3 ab 1978 schuf den Platz für einen Ladeluftkühler – den ersten im Automobilbau

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Zeitgenössische Erklärung der Turbo-Funktionsweise

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Die Schweizer Preise bei der Lancierung des 964 Turbo 1990

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