In Italien war der Fiat 1100 der Mittelklassewagen schlechthin. Dabei gab sich der im April 1953 vorgestellte Nuova 1100 zugleich modern und doch konservativ. Der Antrieb des intern Fiat 1100/103 genannten Autos war ein 1089 Kubikzentimeter grosser OHV-Motor mit 36 PS (gemessen nach italienischer Cuna-Norm). Dieser leitete die Kraft auf die hintere, an Blattfedern geführte Starrachse weiter. Vorne gab es Einzelradaufhängungen mit doppelten Querlenkern und Schraubenfedern, die an einem in Gummi gelagerten Hilfsrahmen abgestützt waren, eine sinnige wie kostengünstige Lösung, um Fahrgeräusche vom Innenraum fern zu halten. Teleskopstossdämpfer an allen Rädern und Querstabilisatoren vorne wie hinten sorgten bei dem kleinen, aber erstaunlich leistungsfähigen Fiat für eine sehr gute Strassenlage. Die Karosserie des Nuova 1100 war selbsttragend, sein 1939 erstmals gebauter Vorgänger setzte noch auf ein separates Chassis. Dass Fiat den hinten angeschlagenen Türen den Vorzug gab zeigte sich auch beim 1100/103, der diese bereits 1953 als altmodisch betrachtete Bauweise weiterführte. Mit seiner – der reinen Lehre folgenden – Pontonkarosserie bot der 1100, zumindest in Italien, nicht weniger als sechs Passagieren Platz. Dazu verfügte der Nuova 1100 auch über eine damals hoch im Kurs stehende Lenkradschaltung.
70 Jahre Fiat Nuova 1100
Martin Sigrist | 14.12.2023
Jubilar Er steht nicht zuoberst in der Erinnerung, aber der Fiat Nuova 1100 war auch in der Schweiz ein echter Bestseller und global gesehen ein markanter Langläufer.
Der erste Prospekt des neuen Fiat in Deutsch aus dem Jahr 1953.
Der Nuova 1100 löste den 1939 eingeführten 1100 der ersten Generation ab.
Der Prospekt von 1953 zeigt die technischen Merkmale des 1100, so die am Hilfsrahmen abgestützte Vorderachse.
Reserverad mit eigenem Tablar über dem Gepäck im Kofferraum.
Schneller
Im Oktober 1953 reichte Fiat dem sportlich ambitionierten Familienvater eine schnellere und luxuriösere Version des Fiat 1100 nach, den 1100 TV. Das Kürzel hat nichts mit dem damals eben neu auftauchenden Massenmedium zu tun, sondern steht für Turismo Veloce. Diesem Anspruch – ein Tourenwagen mit höherer Geschwindigkeit – wurde der 1100 TV durchaus gerecht, selbst wenn zunächst 48 und später 50 PS Leistung heute als bescheiden erscheinen mögen. Mit einer Höchstgeschwindigkeit von rund 135 km/h lag die kleine Familienlimousine allerdings im Bereich dessen, was in der ersten Hälfte der 1950er-Jahre auch die gehobene Mittelklasse nur mit Mühe erreichen konnte. Und mit seinem gut abgestimmten Fahrwerk und geringen Gewicht von nur 890 Kilogramm war der 1100 TV meistens unter den schnelleren Vertretern des damals üblichen Fuhrparks auf den Landstrassen unterwegs. Dazu sind die Pedale perfekt platziert für schnelle Gangwechsel mit Hacke-Spitze beim Zurückschalten, die Präzision der Lenkradschaltung ist dabei erstaunlich hoch, dasselbe gilt für die Lenkung, wie die AUTOMOBIL REVUE selber bei ihrer Teilnahme an den Mille Miglia 2022 mit einem Fiat 1100 TV in Erfahrung bringen durfte. (AR 25/2022). Äusserlich war der 1100 TV an seinem mittig im Kühlergrill sitzenden Fernscheinwerfer zu erkennen, einem Ausstattungsmerkmal, das den hiesigen Zulassungsbehörden einige Sorgen bereitete.
Zur Limousine gesellte sich ab 1954 mit dem Familiare auch ein sehr geräumiger Kombi. Damit gehörte Fiat zu den Pionieren dieser nicht nur für Handwerker reizvollen Alternative zu einem Lieferwagen. Bei diesem sass das Reserverad nicht wie bei der Limousine auf einem Extraregal über dem Gepäck, sondern unter einem Zwischenboden und später in einer eigenen Reserveradmulde. Die Sitzbank war zudem abklappbar.
Die beiden Fiat 1100, rechts der TV mit drittem Scheinwerfer, im AR-Test 1954.
Langläufer
Fiat gönnte dem 1100 zahlreiche Modellpflegemassnahmen. Ab 1957 gab es einen längeren Kofferraum, der aus dem Pummelchen eine elegante Limousine machte. 1960 folgten ein etwas höherer, hinten gestreckterer Pavillon und vorne angeschlagene Türen, im Prinzip die Karosserie des 1957 über dem 1100 platzierten Fiat 1200. Weitere Retuschen liess man in Turin (I), wo der 1100 im Werk Mirafiori gebaut wurde, 1962 über ihn ergehen, 1966 schliesslich gönnte man dem Wagen ein letztes, recht gründliches Facelift in der Form des 1100 R. Dieser wurde Ende 1969 vom ersten Fronantriebs-Fiat, dem 128, abgelöst. Doch damit war die Karriere des Fiat 1100 noch längst nicht zu Ende, im Gegenteil.
In Indien wurde ab 1950 von der Firma Premier in Kurla im heutigen Mumbai der 500 Topolino unter Lizenz gebaut, 1954 löste diesen der Fiat 1100 ab. Nachdem man im Mirafiori-Werk die Produktion des 1100R eingerichtet hatte, schickte Fiat die alten Produktionsanlagen des 1100 D nach Indien, wo dieser als Premier Padmini bis 1999 (!) weitergebaut wurde. Der Padmini war sehr lange das Taxi der Wahl auf dem Subkontinent.
Der Premier Padmini, ein Fiat 1100 unter Lizenz, wurde bis 1999 gebaut.
Fotos: Archiv AR
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