Das Buch «Nachkriegswagen» ist eine Art Bibel für diejenigen, die sich schnell und umfassend eine Übersicht über die Produktion der Autoindustrie zwischen 1945 und 1960 verschaffen wollen – über alle Autos, die damals produziert wurden. Der mächtige Schmöker erschien 1980 erstmals im Hallwag-Verlag, dem damaligen Herausgeber der AUTOMOBIL REVUE, und war Resultat einer naheliegenden Idee: Als Grundlage dienten die zusammengetragenen Daten des als «Illustrierte Automobil Revue, Katalognummer» im Jahr 1947 zum ersten Genfer Autosalon der Nachkriegszeit erstmals herausgegebenen AR-Katalogs. An dessen Redaktion war Roger Gloor beteiligt, seit er als Inlandredaktor angefangen hatte, in Bern zu arbeiten. Dieser Anstellung ging von 1953 bis 1956 eine KV-Lehre in der Ford-Garage Th. Willy beim Eichhof in Luzern voraus, wo er bis 1959 als Debitorenbuchhalter arbeitete. In diesem Jahr wechselte der 1937 in Luzern geborene und aufgewachsene Gloor nach Biel BE zu General Motors als Kreditorenbuchhalter, Revisor, Statistiker und Marktforscher. In dieser Position lernte er den Schweizer Automobilmarkt erstmals in ganzer Tiefe kennen. Ab 1963 absolvierte Roger Gloor in Bern die höhere kaufmännische Gesamtschulung. Sein neuer Arbeitsort war nun die AUTOMOBIL REVUE, damals im Hallwag-Gebäude am Berner Nordring. Dort teilte Gloor das Büro mit AR-Sportredaktor Adriano «Cima» Cimarosti. Bald wurde Gloor Teil des AR-Testteams und Stellvertreter seines Freundes Cima als Sportredaktor und übernahm auch die Stellvertretung des Touristikressorts. Mitte der 1960er-Jahre gelangte der damalige Chefredaktor Robert Braunschweig mit der Bitte an Gloor, ein Ressort für Automobilgeschichte zu schaffen. Bereits im Juni 1963 hatte der frischgebackene Redaktor einen Bericht zur Coupe Intérnationale des Musées de l’Automobile verfasst. «Ich sah Autos, von denen ich noch nie etwas gelesen, geschweige denn eines gesehen hatte!», erinnert sich Gloor. «Literatur zur Autogeschichte war dünn gesät, besonders in deutscher Sprache. Ein Ort zur Information war die AR. Ich hatte sie seit meiner Kindheit abonniert, Autos faszinierten mich schon in jungen Jahren.»
Der Autoredaktor
Martin Sigrist | 21.12.2023
Gewinner Lifetime-Award Roger Gloor ist Preisträger des Swiss Classic Lifetime-Awards 2023. Ein Porträt über unseren ehemaligen Redaktor.
Fachwissen: Der in Bern wohnhafte Roger Gloor ist seit mehr als 60 Jahren als Fachbuchautor und Automobilredaktor tätig.
Das erste Buch Gloors ist 1980 im àHallwag Verlag erschienen und heute ein Standardwerk.
Während eines Militärdienstes in Steffisburg BE lernte Gloor Max Stoop und Ferdinand Hediger kennen. «Es war kalt, wir hatten nichts zu tun und setzten uns darum zusammen in einen Mowag und sprachen über Autos», erzählt Roger Gloor. Hediger, der 2018 zum ersten Preisträger des Swiss Classic Lifetime-Awards gekürt werden sollte, und Stoop schrieben darauf für die AR als Freelancer Artikel und ganze Serien zur Autogeschichte, wenn Gloor nicht selber zur Feder greifen konnte.
Autotester und Jurymitglied
Denn historische Autos waren der kleinere Teil von Gloors Arbeit bei der AR. Mit der Übernahme des Auslandsressorts und der Schaffung eines weiteren für Autodesign folgten viele Jahre des Reisens und der Kontaktpflege mit Vertretern der Autoindustrie, mit Designern, Journalistenkollegen, Ingenieuren und Persönlichkeiten rund um das Auto. Unzählige Geschichten gingen daraus hervor, sehr oft vom Autor direkt miterlebt, beschrieben oder kommentiert, vieles davon gilt heute als Teil der Automobilgeschichte. Gloor pflegte beispielsweise mit Nachdruck die Haltung der AR, jedem Auto mit unvoreingenommenem Interesse zu begegnen, und war einer der ersten in der Redaktion, der mit einem japanischen Auto vorfuhr.
Fahrerwechsel: Mit dem Ford GT40 Road Version um 1966 auf einer Raststätte der N1 (heute A1). Damals gab es noch kein Tempolimit.
Für sein Ressort Autodesign pflegte Roger Gloor Bekanntschaft mit allen namhaften Gestaltern seiner Zeit. Durch sein Interesse an der automobilen Formgebung war der Schritt zum Juror verschiedener Schönheitskonkurrenzen darum nicht weit. An vielen Konkurrenzen im In- und Ausland war Gloor beteiligt, manche Begebenheit blieb ihm in Erinnerung: «In Rimini durften meine Frau und ich 1972 beim Concorso d’Eleganza tatsächlich mit unserem damaligen Testwagen, einem Datsun 610, auf die Bühne fahren. In Italien war das ein noch nie gesehener Exot, und die Organisatoren waren fasziniert von ihm.» Mit Italiauto rief Gloor 2010 selbst einen Concours ins Leben, der zunächst in Aarbrugg AG und später in St. Urban LU stattfand.
«Auto Exklusiv» und mehr Bücher
In den 1980er-Jahren kaufte die AR das Magazin «Auto Exklusiv», Roger Gloor wurde dessen Verantwortlicher und sorgte mit einer Mischung aus Klassefahrzeugen und Klassikern für Inhalte, die bis heute als Massstab dieses Genres gelten. «Auto Exklusiv» vereinte die besten Autoren mit den besten Fotografen ihrer Zeit.
Die Bibliografie von Roger Gloor umfasst aktuell zehn Titel. Seinem ersten Band über die Automobilproduktion von 1945 bis 1960 folgten weitere, ähnlich umfassende Nachschlagewerke zu den Jahrzehnten danach. Als Leiter des Ressorts Design ganz nahe an der Quelle und damals bei manchen Premieren zugegen, publizierte er darüber hinaus unter dem Titel «Zukunftsautos» auch ein Buch zu Konzeptfahrzeugen und Studien der 1980er-Jahre. Sein Buch über Peter Monteverdi gilt als Standardwerk über den Schweizer Autobauer. Und mit der Publikation zur Geschichte von Bertone im Jahr 2020 konnte schliesslich viel Insiderwissen über das inzwischen untergegangene Designbüro und Karosseriewerk gerettet werden.
Heute ist Roger Gloor freier Autor für die Oldtimerzeitschrift «Autozeit» und noch immer vielfältig beschäftigt. Seine grossen Nachschlagewerke sind noch immer erhältlich, sie werden vom Motorbuch-Verlag Stuttgart aufgelegt.
Fotos: Archiv AR, Roger Gloor, Swiss Classic Award
«Amerikanische Autos 1945–1990» von 2022 ist der jüngste Band von Roger Gloor.
Roger Gloor im Wartburg 353 anlässlich einer Veranstaltung im Rahmen des Autosalons in Genf 1967. Die AR verglich Wagen der unteren Mittelklasse unabhängig von ihrer Herkunft aus Ost oder West.
Roger Gloor sitzt am Steuer eines Chrysler Turbine von 1963, der von einer 130 PS starken Gasturbine angetrieben wurde.
Mit dem Fiat 127 nahm Roger Gloor 1980 am Mobil Fiat Economy Run teil, einer Verbrauchswettfahrt mit Serienautos unter normalen Verkehrsbedingungen.
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