Der Volvo 850 R – Mehr als nur ein Volvo-Kombi

Martin Sigrist | 21.12.2023

Künftiges Kultauto Gefahren, gebraucht und stillgelegt? Eine ­Zürcher Unterländerin wendete das drohende Ende eines roten Volvo 850 R ab und fand mit dessen aufwendiger Aufbereitung ihre Passion.

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Es gibt vielerlei Gründe, sich ein Auto zu kaufen, Emotionen sind dabei nicht die unwichtigsten. Nicht dass Daniela Rüttimann unbedingt einen dritten Wagen gebraucht hätte. Die Polygrafin aus dem Zürcher Unterland besass bereits zwei BMW E46, einen 325iX und einen 330ix, als sie im vergangenen Jahr zwecks Selbstfindung, aus leichtem Frust und wohl auch aus schierem Übermut nach Schweden reiste, um sich einen kantigen Volvo zu besorgen. «Ich hatte nur die Hinreise gebucht in der Absicht, mit einem Auto, das ich vor Ort kaufen würde, alleine herumzureisen und dann die Heimfahrt anzutreten. Ich muss gleich zugeben, das war reichlich naiv, denn die im Herkunftsland des 850ers angebotenen Exemplare waren allesamt überteuert, und restlos heruntergeritten. Sie hätten vermutlich nicht einmal meine geplante Rundreise überstanden. Kurz, der Trip war eine Enttäuschung, und ich stand etwas im Schilf, weil ich nun eine andere Heimreise organisieren musste. Allerdings kam, was als Reinfall begann, schliesslich doch noch ganz gut heraus!», sagt Rüttimann verschmitzt und erwähnt ihren Freund, mit dem sie im diesjährigen Sommer nun gemeinsam statt alleine unterwegs war – mit ihrem roten Volvo 850 R aus dem Jahr 1996. «Ja, dieses Auto stand für 2500 Franken in der Schweiz zum Verkauf. Und stehen war sehr wörtlich zu nehmen, vermutlich stand er sogar meistens draussen, so matt und abgeschossen, wie die Farbe aussah, als ich den Volvo erstmals anschaute», schildert Daniela Rüttimann ihre erste Begegnung mit ihrem 240-PS-Schweden-Kombi. Davon, dass die Grundlage aber stimmte, überzeugte sie ein genauerer Blick und eine Probefahrt: «Er fuhr ganz ordentlich, trotz seiner 262 000 Kilometer. Und er ist ein Automat, ich mag das!» Aber eben, das Auto war richtig vernachlässigt.

Ferien mit dem und im Auto

Nun strahlt der Volvo wie neu, der Lack ist noch immer derselbe, aber viele Stunden Pflege und Tiefenreinigung, Politur und Wachs, Detailarbeiten aussen und auch innen durch die Besitzerin verwandelten das Auto gründlich. Nur eine winzige Lackstelle wird dereinst etwas mehr Aufmerksamkeit verlangen. Und eben erst liess Daniela Rüttimann den Wagenhimmel erneuern, die Polster und Türfüllungen, Griffe und Schalter sehen aber aus wie neu. «Moment, der Schaltknauf ist neu, den habe ich ersetzt, auch den Handbremsgriff. Das Lenkrad mit Holzkranz war aber bereits eingebaut», präzisiert die stolze Besitzerin. Damit die vielen mattschwarzen Elemente des Wagens nicht von der Politur in Mitleidenschaft gezogen wurden, hatte sie diese zuvor sorgfältig abgedeckt. Der Effort lohnte sich. Wegen ihres beruflichen Hintergrunds als Polygrafin könnte man vermuten, dass die Besitzerin auf den vielen Bildern des Volvo 850 R auf ihrem Instagram-Account etwas beim Glanz nachgeholfen hat. Wer das Auto hingegen leibhaftig vor sich stehen sieht, kann kaum glauben, dass es keine Neulackierung trägt.

Mit dem knallroten Volvo ging es in diesem Sommer endlich mit einem Schweden auf Ferienreise, mit Sack und Pack, Platz ist in dem Kombi ja genug. Als Ergänzung gibt es ein Zelt, das sich am Wagenheck andocken lässt und etwas Stehhöhe bietet. So wird der 850 R zum sportlichen, ganz passablen Reisewagen. «Die Tieferlegung kommt irgendwann auch noch weg, sie gefällt mir nicht und macht auch wenig Sinn», bemerkt Rüttimann zum Thema Strassenlage und Komfort. Originalität scheint ihr wichtiger, allerdings wollte sie ihrem Auto trotzdem eine individuelle Note geben, etwa mit dem Dachträger: «Ich liebe Dachträger, die verleihen einem Auto so einen Rallyelook!»

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Daniela Rüttimann hat Freude an ihren Autos und widmet ihnen viel Zeit, dies zeigt sich in den Details. Der Dachträger ist ein Muss und praktisches Zubehör.

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Daniela Rüttimann hat Freude an ihren Autos und widmet ihnen viel Zeit, dies zeigt sich in den Details. Der Dachträger ist ein Muss und praktisches Zubehör.

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Daniela Rüttimann hat Freude an ihren Autos und widmet ihnen viel Zeit, dies zeigt sich in den Details. Der Dachträger ist ein Muss und praktisches Zubehör.

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Daniela Rüttimann hat Freude an ihren Autos und widmet ihnen viel Zeit, dies zeigt sich in den Details. Der Dachträger ist ein Muss und praktisches Zubehör.

Radikal neu

Kombiwagen sind seit dem Volvo Duett, der technisch recht verschiedenen Variante der Limousine PV444, im Programm der Schweden zu finden. Seit der Einführung des P221, der Kombiversion des Amazon, im Jahr 1962 wird Volvo wie kein zweiter Hersteller mit Kombis assoziiert. Auch ungewöhnlich lange Modellzyklen waren typisch für Volvo. Als 1991 die Limousine des 850 vorgestellt wurde, stellte sie einen Bruch mit vielen Volvo-Traditionen dar: Der Motor war quer eingebaut, hatte fünf Zylinder und trieb, erstmals bei einem in Schweden gebauten Volvo, die Vorderräder an. Hinten gab es eine ausgeklügelte Einzelradaufhängung. Ab 1993 erweiterte der Kombi, eckig und rechtwinklig wie ein Legostein, das Modellprogramm. Der 850 war das letzte Projekt des 2016 verstorbenen ehemaligen Volvo-Chefdesigners Jan Wilsgaard, der für sämtliche Volvo-Kombis und fast alle übrigen Volvo-Modelle zwischen 1950 und 1990 (!) verantwortlich zeichnete.

Typisch für Volvo brachte auch der 850 ein neues Sicherheitsfeature mit, das SIPS. Das Kürzel steht für Side Impact Protection System, einen Seitenaufprallschutz, wie er heute zum Standard im Autobau zählt. Dieses System ergänzte Volvo 1996 um die ersten serienmässigen Seitenairbags der Automobilgeschichte – im selben Jahr, als Daniela Rüttimanns 850 R vom Band rollte.

Der R war die stärkste Variante des 850, mit dem Viergang-Automatikgetriebe leistete der Motor 240 PS, handgeschaltet waren es gar 250 PS. Ursprünglich wollte es Volvo bei einer limitierten Serie eines leistungsfähigeren 850ers bewenden lassen, dem 850 T-5R. Nach über 6000 verkauften ­Exemplaren schaffte es dieser mit leichten Modifikationen jedoch als R ins reguläre Produktionsprogramm. Die 250 km/h Maximalgeschwindigkeit des handgeschalteten Kombis machten ihn zum schnellsten seiner Art.

Volvo – aber cool!

Coolness wurde bis zum 850 kaum einem Modell der Schweden attestiert. Der P1800 war auch hier eine Ausnahme. Volvo stand eher für Sicherheit und Beständigkeit, und die Kombis waren stets beliebte Familientransporter. Der 850 leitete jedoch eine Wende ein und war die wichtigste – und mit Abstand teuerste – Neuentwicklung des Werks in Göteborg. Ganz besonders die überaus leistungsfähigen Modelle T-5R und R prägten das Image aller Volvo 850. Heute ist der kantige Wagen aber hauptsächlich ein Sinnbild einer anderen Epoche, im aktuellen Strassenbild ist er mit seinen klaren Formen zu einer Ausnahme geworden, was seinen Reiz zusätzlich erhöht. Und für Daniela Rüttimann wiegt das den Aufwand auf, dereinst den Turbolader zu ersetzen, die leichten Makel am Lack zu beheben und das Auto weiterhin so gut zu pflegen und zu unterhalten. Die Determination und die Motivation der Besitzerin zeigen sich am perfekt herausgeputzten Motorraum des 850 R. Es ist kaum zu glauben, dass dieser Wagen bereits mehr als eine Viertelmillion Kilometer auf dem Zähler haben soll.

Seit die Zürcherin den Volvo kaufte, fuhr sie mit ihm nur 2500 Kilometer, zum grössten Teil während der Ferien: «Ich dachte tatsächlich, es seien etwa 20 000 Kilometer gewesen. In Tat und Wahrheit waren es viel weniger, die meisten während unserer Schweizer Reise. Nächstes Jahr aber fahren wir damit nach Schweden!» 

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Rüttimann am Holzlenkrad ihres 850 R. Sie reinigte sorgfältig den gesamten Innenraum und jede Ritze, das Resultat ist erstaunlich.

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Der 850 R war das Spitzenmodell der Reihe, die Ausstattung ist entsprechend grosszügig. Der Wagenhimmel ist neu.

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Der 850 R war das Spitzenmodell der Reihe, die Ausstattung ist entsprechend grosszügig. Der Wagenhimmel ist neu.

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Der 850 R war das Spitzenmodell der Reihe, die Ausstattung ist entsprechend grosszügig. Der Wagenhimmel ist neu.

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Der 850 R war das Spitzenmodell der Reihe, die Ausstattung ist entsprechend grosszügig. Der Wagenhimmel ist neu.

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Klein Elchi fährt immer mit in diesem voluminösen Kombi.

Technische Daten

Volvo 850 R Kombi 1996

Motor R5, vorne quer. DOHC, 2319 cm³, 177 kW (240 PS) bei 5400/min, 330 Nm bei 3000/min, 20 Ventile, Turbolader, Benzin­einspritzung.

Antrieb 4-Gang-Automat, Frontantrieb, Visko-Differenzialbremse, ASR.

Fahrwerk Vorne Dreieckquerlenker, MacPherson-Federbeine, Querstabilisator. Hinten Deltalink-Verbundlenkerachse, Querstabilisator. Scheibenbremsen vorne (belüftet) und hinten.

Karosserie Station-Wagon, Stahlblech selbsttragend, 5 Plätze, 5 Türen. Gewicht 1530 kg.

Fahrleistungen Beschleunigung 0–100 km/h in 6.9 s. Höchstgeschwindigkeit 235 km/h.

Stückzahl Ca. 2000 Exemplare, gebaut 
zwischen 1996 und 1997, davon weniger als 1000 Stück mit Automatikgetriebe.

Preis 78 500 Franken (1996).

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Der Volvo 850 war der erste Mittelklasse-Schwede mit Quermotor. Kaum zu glauben, dass dieses Auto bereits 262 000 Kilometer fuhr.

Fotos: Vesa Eskola

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