Ferrari 410 S – der Einzigartige

Peter Ruch | 20.10.2023

Enzo Ferrari wollte auch 1955 die Sportwagen-Weltmeisterschaft gewinnen. Also wurde noch einmal aufgerüstet: Ferrari 410 S.

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  • - Nur 1955 gebaut
  • - Vier Exemplare
  • - Als Berlinetta ein Einzelstück

Die erste Sportwagen-Weltmeisterschaft, 1953, konnte Ferrari gewinnen, dies mit dem 340 MM und dem 375 MM. Auch 1954 war Ferrari wieder vorne, dies dank dem 375 Plus. Doch dieser hatte ein paar Probleme: Sogar Enzo Ferrari verstand, dass das Fahrwerk der bestialischen Kraft des Zwölfzylinders eigentlich nicht gewachsen war. Vor allem der Sieg bei der Carrera Panamericana 1954 war in erster Linie auf die überragenden Fahrkünste von Umberto Maglioli zurückzuführen. Und: Das Rennen in Mexiko hatte nicht Ferrari gewonnen, sondern ein privates Team. Der Commendatore sah Handlungsbedarf.

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Eines der ganz wenigen originären Scaglietti-Kreationen - ©Courtesy of RM Sotheby's

Für die Carrera 1955 entwarf Ferrari daher ein völlig neues Fahrgestell, den Typ 519/C. Es bestand aus einem tiefliegenden, röhrenförmigen Spaceframe mit ungewöhnlicher Breite und einem kürzeren Radstand; damit sollten die Unebenheiten der mexikanischen Strassen ausgeglichen werden. Anstatt den 4,9-Liter-Rennmotor des 375 Plus zu einzubauen, entschied sich Lampredi für eine Überarbeitung seines brandneuen V-12-Langhubers, der für den Superamerica-Strassenwagen entwickelt worden war. Mit 4961 cm3 war dies der grösste Motor, der bis dahin je in Maranello gebaut worden war, und in der Rennversion verfügte der Motor vom Typ 126/C über eine Doppelzündung, einen Vierfachverteiler sowie drei riesige Weber-46-DCF-Vergaser mit zwei Drosselklappen – und kam auf fast 400 PS. Dies war eine noch nie dagewesene Leistung für einen Ferrari-Sportwagen.

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Es ist dies die einzige Berlinetta unter den 410 S - ©Courtesy of RM Sotheby's

Nur zwei 410 Sport wurden nach diesen Spezifikationen gebaut. Sie trugen die Chassisnummern 0596 CM und 0598 CM, wobei das Kürzel CM für «Carrera Messicana» steht. Nachdem die Entwicklung des 410 Sport im Jahr 1955 begonnen hatte, wurden jedoch sowohl die Carrera Panamericana als auch das 1000-Kilometer-Rennen auf dem Nürburgring wegen der Tragödie von Le Mans abgesagt (bei der 83 Zuschauer getötet und weitere 180 verletzt wurden, als ein Mercedes-Benz 300 SLR von der Strecke abkam). Stattdessen stellte Maranello die 410 Sport neu auf, um an der Sportwagen-Weltmeisterschaft 1956 teilzunehmen. Ach ja: Sportwagen-Weltmeister 1955 wurde Mercedes, Ferrari gewann nur den ersten Lauf, dies noch mit einem 375 Plus.

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Schon ein sehr, sehr brutales Gerät - ©Courtesy of RM Sotheby's

Es gab aber noch zwei weitere Ferrari 410 S, 0592CM und 0594CM. 0592 CM hatte eine kurze Karriere in den Vereinigten Staaten, verschwand dann bald von der Bildfläche, weil der erste Besitzer, Tony Parravano, einige Probleme mit den Behörden hatte. 0594CM, den wir hier zeigen, ist die einzige Berlinetta unter den 410 S - und eines der wenigen Fahrzeuge, das das Scaglietti-Emblem auf der Seite trägt. Scaglietti, sonst berühmt für die Umsetzung schon bestehenden Designs für das Werk, passte bei diesem Fahrzeug das Pininfarina-Design des 375 MM an den kürzeren Radstand die grössere Breite des 519/C-Chassis an.

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Bei 0594CM war der Innenraum einigermassen luxuriös - ©Courtesy of RM Sotheby's

Das erklärt sich unter anderem damit, dass 0594CM kein Rennwagen sein wollte. Erster Besitzer war Michel Paul-Cavallier, der später Präsident von SEFAC werden sollte, einer Holding, unter der Ferrari seine Rennaktivitäten bündelte; er hatte schon in den 50er Jahren ausgezeichnete Verbindungen nach Maranello. Sein Wunsch nach einer ganz besonderen Berlinetta war dem Commendatore Befehl. Aber 0594CM erhielt nicht den scharfen Rennmotor, sondern nur eine Variante mit Einfachzündung und wohl etwa 350 PS.

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Mit Einfach-Zündung «nur» etwa 350 PS - ©Courtesy of RM Sotheby's

Nach Paul-Cavallier wurde irgendwann Pierre Bardinon, der wohl berühmteste aller Ferrari-Sammler, Besitzer des einmaligen Ferrari 410 S - und behielt ihn für 35 Jahre als einer der vielen Höhepunkte seiner Sammlung. Er liess 0594CM auch restaurieren - und heute noch verfügt das Fahrzeug über den originalen Motor und das originalen Getriebe. Die Scaglietti-Berlinetta gehört zu den absoluten Höhepunkten der Ferrari-Geschichte.

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Einer der Höhepunkte der Ferrari-Geschichte - ©Courtesy of RM Sotheby's

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