- Gebaut 1953, 1954 und 1955
- Drei Exemplare
- Meisterwerke von Franco Scaglione
Montagmorgen: Alfa Romeo B.A.T.
Peter Ruch | 19.02.2024
Es waren nur Fingerübungen, die drei «Berlina Aerodinamica Tecnica» von Alfa Romeo. Doch sie veränderten das Automobil-Design für immer.
Wie die Mode entwickelt sich auch das Automobildesign schnell weiter; es ist schwierig, Konzepte zu finden, die auch nach Ablauf ihrer Zeit im Rampenlicht noch relevant sind, ganz zu schweigen von einem Konzept, das über sechs Jahrzehnte nach seinem Debüt immer noch überzeugend ist. Noch seltener sind Studien, die über ihre Rolle als Designübungen hinausgehen und das skulpturale Potenzial der automobilen Form verkörpern. Und wenn es gar um eine Trilogie von Objekten geht, die beide Kunststücke mühelos vollbringt, gibt es nur ein spektakuläres Beispiel: Die drei Alfa Romeo «Berlina Aerodinamica Tecnica» von Franco Scaglione. Ob sie nun als der ultimative Dreisatz des Automobildesigns oder als das einzig wahre Automobil-Triptychon aller Zeiten gelten, nur wenige werden die Grösse der B.A.T. 5, 7 und 9-Konzepte bestreiten. Von der legendären Carrozzeria Bertone in Turin handgefertigt und 1953, 1954 sowie 1955 eingeführt, waren diese Autos bahnbrechend in der Anwendung der Aerodynamik.
Der schönste Dreisatz der Automobil-Geschichte - RM Sotheby's
Die wichtigsten, schönsten Automobile der Welt, die den Lauf der Automobilgeschichte völlig neu schreiben, sind immer das Produkt einzelner, brillanter, kreativer Köpfe, Ingenieure, die überdenken, was in Bezug auf Leistung möglich ist, Unternehmer, die sich ein neues Paradigma des Transports vorstellen – und nicht selten von Designern, deren Skizzen und Modelle ihrer Zeit um Jahre voraus sind. Die besten Autodesigner der Welt sind Legenden der Branche, von Harley Earl bis Ercole Spada, deren Bleistiftstriche im fertigen Produkt sofort erkennbar sind. Franco Scaglione war einer dieser ikonischen Designer. Er wurde am 26. September 1916 in Florenz, Italien, als Sohn von Vittorio Scaglione, einem Chef-Arzt der Armee, und Giovanna Fabbri, Hauptmann des italienischen Roten Kreuzes, geboren. Franco sollte in die Fussstapfen seiner Eltern treten und trat bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in die Armee ein. Nach Kriegsende, Anfang 1948, reiste Franco auf der Suche nach Arbeit nach Bologna, mit dem Ziel, Autodesigner in der so langsam wieder erwachenden italienischen Autoindustrie zu werden. Zunächst verbrachte er seine Zeit damit, Kleidung für verschiedene Modehäuser zu entwerfen. Obwohl sich die Arbeit als lukrativ erwies, erfüllte sie ihn nicht, seine Leidenschaft galt definitiv dem Automobildesign. Mit Blick auf die grossen Karosseriebaufirmen zog er 1951 nach Turin um, wo er sich an Battista «Pinin» Farina wandte; eine Zusammenarbeit kam jedoch nie zustande. Kurz darauf traf Franco jedoch den Giuseppe «Nuccio» Bertone – eine lange und auch schwierige Partnerschaft war geboren.
Zu Beginn der 1950er Jahre kämpfte die Carrozzeria Bertone, sowohl ein Design-Studio wie auch ein Karosseriebau-Unternehmen, das für die Fertigung und den Bau handgefertigter Karosserien verantwortlich war, ums Überleben. Einmalige Aufträge für wohlhabende Kunden, einst das Herzblut des Karosseriebaus, stellten eine immer weniger tragfähige Geschäftsstrategie dar. In jenen Jahren war die Idee eines Konzeptautos – ein Automobil, das in erster Linie entwickelt wurde, um die Grenzen der Kreativität auszuloten, und nicht, um einen genauen Blick auf ein zukünftiges Produkt zu werfen – noch nicht weit verbreitet. Das begann sich zu ändern, als Franco Scaglione das Bühne betrat. Die Einstellung eines damals noch weitgehend unbekannten Konstrukteurs mit einem Hintergrund in der Luftfahrt im Jahr 1951 führte bald zu einigen der berühmtesten Werke der Firma – und katapultierte sowohl Scaglione als auch Bertone zu dauerhaftem Ruhm. Nach dem Erfolg des von Scaglione entworfenen und von Bertone gebauten Abarth 1500 Biposto im Jahr 1952 bekundete Alfa Romeo sein Interesse an der Erforschung eines technischen Vorschlags zur Erforschung der Aerodynamik. Bertone wählte die moderne Plattform des Alfa Romeo 1900 als Prüfstand für diese Forschung – und Scaglione erhielt die Gelegenheit, seine Interessen in Wissenschaft und Mathematik mit seinen ästhetischen Vorlieben zu verbinden.
Mit festen Vorstellungen über die Minimierung des Luftwiderstands durch die Formgebung unter Einfluss laminarer Luftströmung und Stabilität unter Berücksichtigung der äusseren Form des Autos arbeitete Scaglione nach und nach vier Modelle in Originalgrösse durch, bevor er zur fünften und letzten Stufe überging, der eigentlichen Metallarbeit für das Auto. Nach der Fertigstellung erhielt das Konzeptfahrzeug den passenden Namen Berlina Aerodinamica Tecnica 5, oder B.A.T. 5. Selbst einem zufälligen Beobachter fällt sofort auf, dass die hervorstehenden Pontonkotflügel und die abgerundete Mittelnase des B.A.T. 5 den Luftstrom über die gepfeilte Motorhaube mit niedrigem Profil leiten. Die Luft wird in doppelte Nasenschlitze mit horizontalen Schlitzen geleitet, die direkt den Kühler speisen. Der Luftstrom auf der Oberseite wird über ein tropfenförmiges, umhülltes Glascockpit und über die hinteren Schultern geleitet, die von geneigten Heckflossen umschlossen werden. Zusätzlich zu seinem beeindruckenden Aussehen und seinem Jet-Age-Charakter war Scagliones Karosserie selbstverständlich bemerkenswert für seine fortschrittliche Aerodynamik. Die Zahlen variieren leicht (die damaligen Analysemethoden waren nach heutigen Massstäben eher primitiv), aber der B.A.T. 5 soll einen Luftwiderstandsbeiwert von etwa 0,23 bei fast 94 mph erreicht haben, und das bei einer geringen benötigten Leistung von unter 43 PS. Die Höchstgeschwindigkeit wurde bei 198,6 getestet, was angesichts der Epoche und des relativ kleinen Vierzylindermotors des Wagens ein beeindruckender Wert ist. Der B.A.T. 5 feierte sein öffentliches Debüt auf dem Turiner Autosalon im Mai 1953 und wurde von der internationalen Motorpresse mit Begeisterung aufgenommen.
Wie oft bei Konzeptautos üblich, wurde der B.A.T. 5 nach der Ausstellungssaison 1953 verkauft, als die Arbeiten an einer aktualisierten Version begannen, die bald unter dem Namen B.A.T. 7 bekannt wurde. Das Fahrwerk sollte wieder aus dem Alfa Romeo 1900 stammen, aber angesichts des Erfolgs des ersten Autos wurde Scaglione ermutigt, verschiedene Merkmale des Originals hervorzuheben. Dies gelang ihm, indem er die vorderen Lufteinlässe verengte, die Motorhaube um mehr als fünf Zentimeter absenkte und die Heckflossen verlängerte, während er den Extremitäten einen grösseren Winkelabstand hinzufügte. Die hinteren Radschürzen und ausgeprägten Seitenschlitze blieben erhalten. Doch auch hier vermied Scaglione die Falle der Selbstgefälligkeit mit Bedacht. Er nahm sich heraus, ein noch extremeres Design zu entwerfen, und schuf damit ein Design, das auch in Bezug auf die Aerodynamik noch ausgefeilter war: Der Luftwiderstandsbeiwert des B.A.T. 7 war mit 0,19 noch bemerkenswerter als der seines Vorgängers. Das Gewicht wurde ebenfalls reduziert, vom B.A.T. 5, der etwa 1100 Kilo wiegt, auf unter eine Tonne. Der B.A.T. 7, der im April 1954 auf dem Turiner Salon enthüllt werden sollte, wurde so spät fertig, dass Nuccio Bertone und Franco Scaglione den Wagen persönlich nach Turin fuhren. Die Resonanz auf der Messe war eindeutig positiv, denn der B.A.T. 7 wurde von den Medien noch enthusiastischer gelobt als sein Vorgänger – und schaffte es auf die Titelseite der AUTOMOBIL REVUE.
Nach der B.A.T. 7-Showsaison 1954 begann Scaglione mit der Arbeit an einem dritten Konzept für 1955. Vielleicht spürte er einige verpasste Gelegenheiten – so populär die früheren B.A.T. auch waren, sie sahen völlig anders aus als alles, was Alfa Romeo damals verkaufte. Er wollte seine nächste Studie «für den Strassenverkehr praktischer zu machen». So erforschte Scaglione für seinen dritten Akt eine strassentaugliche Gran-Turismo-Interpretation des B.A.T.-Thema. Die Flossen wurden verkleinert, um die Sicht nach hinten zu verbessern, und die Schürzen der Hinterräder wurden eliminiert. Hinten wurde eine ausgeprägte Gürtellinie hinzugefügt, während ein serienmässiger Alfa-Romeo Giulietta-Kühlergrill mit dem berühmten Mailänder Wappen angebracht wurde, um die Identität des Autos als Alfa Romeo hervorzuheben. Und natürlich wurden auch die mechanischen Komponenten wieder dem Alfa Romeo 1900 entnommen. Es wurde erneut der Turiner Salon ausgewählt, um das neue Konzeptauto zu enthüllen, und der B.A.T. 9d wurde wenig überraschend mit viel Lob überschüttet – und vervollständigte eines der wichtigsten Automobil-Triptychen, das je entwickelt wurde.
In den 90er Jahren wurden die drei B.A.T.-Alfa beim gleichen Sammler vereint, vor einigen Jahren wurden sie gemeinsam versteigert für rund 15 Millionen Dollar. Kommen Sie mit uns auf eine Zeitreise durch die Geschichte von Alfa Romeo, hier. In der monatlich erscheinenden Klassik-Beilage der AUTOMOBIL REVUE finden Sie immer schöne Old- und Youngtimer. Abos gibt es: hier.
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