Wolfram Nickel | 02.02.2025
Vor 60 Jahren kam die Design-Avantgarde aus Frankreich: Der Renault 16 liess die etablierte Mittelklasse schlagartig alt aussehen.
Der Ruf vieler Designer nach disruptiven Karosseriekonzepten für Elektroautos verhallt. Stattdessen sind Retrodesigns en vogue, so wie sie die kleinen Stromer Renault 4 und 5 zur Schau stellen und damit Erinnerungen an die revolutionäre Vergangenheit der Marke mit dem Rhombus beschwören.
Damals, als die Franzosen in allen Klassen den Umsturz riskierten und im Frühjahr 1965 mit dem Renault 16 die bürgerliche Mittelklasse neu definierten. «Mon dieu, incroyable», staunten die Chefs von Peugeot, Citroën und Simca beim Anblick dieser fünftürigen Fliesshecklimousine mit variablem Innenraum und Frontantrieb.
Trotz minimalistischer 1.5-Liter-Vierzylinder-Motorisierung übernahm der R16 die Rolle des neuen Renault-Flaggschiffs. Diese Reiselimousine in eleganter Fastback-Form wirkte wie reines Futur, sie liess die üblichen Stufenheckmodelle schlagartig altern und wies Familienfahrzeugen den Weg in die 1970er.
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Ein ganzes Jahrzehnt dauerte es, bis aus dem mutigen französischen Modetrend ein globales Massenphänomen wurde, das alle Segmente erfasste, vom kleinen R5 über den VW Passat bis zum noblen Rover V8 (SD1).
Selbst als 1975 der Nachfolger Renault 20 debütierte, wurde der Renault 16 noch fünf Jahre lang gebaut, genoss er doch längst Kultstatus.
Nach 1960 hatte Renault mit der Einstellung des Spitzenmodells Frégate das profitable obere Marktsegment vernachlässigt, und die Produktion des restlichen Renault-Portfolios ging 1963 um fast ein Viertel zurück, als Frankreich die Schutzzölle auf Importe lockern musste.
4.26 Meter lang, aber unter der Motorhaube nur ein Vierzylinder mit 55 PS
Renault-Chef Pierre Dreyfus trieb deshalb den Bau eines neuen Werks bei Le Havre voran, in dem die vom jungen Designer Gaston Juchet gezeichnete Reiselimousine neuen Typs vom Band rollen sollte. Mit grosser Klappe und schrägen Linien statt steifer Stufe wie beim Peugeot 404 und in kompaktem Format, dazu mit Frontantrieb wie beim Citroen DS signalisierte der Renault 16 Führungsanspruch in der gehobenen Mittelklasse.
Allerdings wurden alle enttäuscht, die unter der langen Motorhaube des R16 ein kraftvolles, grossvolumiges Triebwerk erwarteten. Stattdessen versteckte sich ein zierlicher, nur 40 kW (55 PS) leistender 1.5-Liter-Vierzylinder hinter einem Reserverad und hinter der Vorderachse.
Diese Auslegung als «Frontmittelmotor-Konzept» bewirkte eine optimale Gewichtsverteilung und ein überraschend agiles Handling. Trotzdem war das Renault-Fahrwerk mit der Milde eines sanften Camemberts abgestimmt, wie Fachmedien feststellten.
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Im Jahr 1969 positionierte sich der Renault 16 in Frankreich mit rund 93‘000 Einheiten auf Platz vier der Zulassungsstatistik, weltweit waren es sogar fast 180‘000 Einheiten des Flaggschiffmodells, die auf vier Kontinenten abgesetzt wurden.
Der gerade abtretende französische Staatspräsident Charles de Gaulle war zufrieden: Die staatliche Régie Renault florierte wieder, weil sie früher als die Konkurrenten erkannt hatte, mit welcher Art Auto die Menschen im ausklingenden Wirtschaftswunder fahren wollten.
Allerdings liess sich das Konzept des R 16 nur begrenzt in andere Klassen übertragen. Renault erlebte dies, als der ab 1968 produzierte R6 trotz ähnlichen Designs lediglich kurzzeitig reüssierte.
Auch der 1975 vorgestellte, fast 30 Zentimeter längere Renault 20 vermochte nicht wirklich den Renault 16 zu ersetzen, der deshalb bis 1980 in Produktion blieb.
Insgesamt wurden 1.84 Millionen Renault 16 ausgeliefert, der R20 erreichte ein Drittel dieser Auflage. Erst der VW Passat übertraf das Verkaufsvolumen des R16, benötigte dazu aber mehrere Karosserievarianten. SP-X/AR