Weiter nach Süden

Martin Sigrist | 21.03.2024

Hakka-Ring Der für seine Winterreifen bekannte Hersteller Nokian Tyres eröffnete in Spanien ein Ganzjahres-Testzentrum.

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41.3 Prozent beträgt die Neigung der Steilwandkurven. Die erforderliche Mindestgeschwindigkeit auf der obersten Bahn liegt bei 180 km/h.

Das Wichtigste vorweg: Es gibt auch ­eine Sauna am Hakka-Ring, dem neu eröffneten Testzentrum des finnischen Reifenherstellers Nokian Tyres. Im Sommer kann es in der Hochebene um Madrid gut und gern über 40 Grad im Schatten heiss werden, aber an jenem Februartag unseres Besuchs des etwas südlich der Stadt Santa Cruz de la Zarza gelegenen Centro de Pruebas Nokian Tyres klettert das Thermometer nur ganz knapp über den Nullpunkt. Dazu weht ein beissend kalter Wind über die offene Landschaft. Dennoch sind die Strassen und Pisten trocken und es liegt kein Schnee mehr. Zwar hat es in der Nacht zuvor geschneit, doch das Schäumchen ist bei unserer Ankunft schon wieder geschmolzen. In Finnland hingegen wären um diese Zeit die Landschaft weiss und die Seen zugefroren. Dort besitzt Nokian in Ivalo, ein gutes Stück jenseits des Polarkreises, ein gigantisches Testzentrum zur Erprobung seiner Winterreifen. Die Verbindung der Marke mit Pneus für die kalte Jahreszeit ist kein Zufall, im Jahr 1934 erfand Nokian den Winterreifen. Der grobstollige Pneu wurde unter der Bezeichnung Kelirengas – Wetterreifen – angeboten. Seit 1936 gibt es die Nokian-Winterreifen unter der bis heute geläufigen Bezeichnung Hakkapeliitta.

Doch Nokian ist viel mehr als nur ein Hersteller von Winterreifen. Die Finnen produzieren für rund 94 Prozent aller aktuellen Autos passende Finken – und damit natürlich auch Sommerreifen. Mit dem für über 60 Millionen Euro errichteten neuen Testgelände in Spanien können sie diesen Aspekt nun besser herausstellen. Das hat für Nokian auch einen besonderen Sinn, denn das Ziel der Finnen heisst Wachstum. Und das bedeutet nicht nur einfach, grösser zu werden, sondern zunächst wieder dahin zu gelangen, wo das Unternehmen bereits einmal stand. Denn Nokian musste herbe Verluste hinnehmen, nicht primär aus eigenem Verschulden, sondern durch die jüngsten Zeitumstände. Dazu muss man wissen, dass der grosse Nachbar der Finnen, Russland, zu den wichtigsten Kunden gehörte und Nokian deshalb einen grossen Teil der Reifenproduktion – gefragt sind in Russland besonders Ganzjahresreifen und natürlich Winterpneus – nach St. Petersburg verlegt hatte. Im Zuge der politischen Veränderung durch den Ukraine-Krieg wurde den Verantwortlichen schnell bewusst, dass dieses Engagement so nicht weitergeführt werden konnte, das Unternehmen musste sich zähneknirschend und für eine unbedeutende Summe von seinem hochmodernen Reifenwerk verabschieden. 80 Prozent der Produktionskapazität gingen damit verloren. Und auch Patente, Know-how und Material verblieben in Russland. Nokian blieb nichts anderes übrig, als mit Auftragnehmern hier und dort eine einigermassen akzeptable Versorgung der Kunden aufrechtzuerhalten.

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In der kargen Landschaft südlich von Madrid liess Nokian ein zweckmässiges Testgelände 
errichten. Bei Temperaturen von über 40 Grad im Sommer ist dabei viel Schatten wichtig. Die ­Olivenbäume dürfen weiter wachsen, auch für die Tierwelt wird auf dem Hakka-Ring gesorgt.

Fabrik in Rumänien

Bald ist jedoch Besserung in Sicht, eine neue Reifenfabrik in Rumänien wird die Produktion wieder auf einen Stand bringen, mit dem ein erneutes Wachstum möglich ist. Das erste Ziel der Finnen ist es, die vor der Krise in Sichtweite liegende Marke von zwei Milliarden Dollar Umsatz zu erreichen. Investitionen von 650 Millionen Dollar stecken in der 100 000 Quadratmeter grossen Produktionsanlage mit rund 500 Mitarbeitenden. Ab September können in der Fabrik bei der Stadt Oradea bis zu 18 Millionen Reifen jährlich produziert werden. Doch noch weitere Ziele stehen ganz oben auf der To-do-Liste von Nokian. Ein wichtiger Fokus ist die Reduktion des CO2-Ausstosses. So produziert Nokian bloss noch 200 Kilogramm CO2 pro Tonne Reifen, bei der Konkurrenz variiert die Werte zwischen 500 und 1000 Kilogramm. Die Absicht der Finnen ist es, dereinst gar kein CO2 mehr auszustossen. Dazu verzichten sie auch auf die Verwendung aromatischer Öle und machen sich stark in der Entwicklung von Reifen mit einem Rollwiderstandsindex von A+. Damit gewinnen auch Elektroautos an zusätzlicher Reichweite.

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Auf der Bremspiste werden Reifen auf verschiedenen Belägen getestet und der Bremsweg zentimetergenau gemessen.

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Das Wasser wird zu 85 Prozent rezykliert.

Vollprogramm

In Spanien nun liess Nokian auf der Fläche von 500 Fussballfeldern eine eindrückliche Anlage erstellen. Seit dem Planungsbeginn 2018 verzögerte sich der Bau des Hakka-Rings allerdings durch Corona stark. Weder konnten die Arbeiter zur Arbeit erscheinen noch war aufgrund von Lieferengpässen die Verfügbarkeit von Maschinen und Material gewährleistet. Jetzt aber ist die Anlage voll in Betrieb und soll jährlich rund 20 000 Tests ermöglichen. Dazu gibt es eine Hochgeschwindigkeitsstrecke mit überhöhten Kurven mit 41.3 Prozent Neigung, ein Trocken-Handlingsparcours, eine Rüttelpiste mit verschiedenen Strassenoberflächen aus allen Teilen der Welt inklusive amerikanischer Betonpisten oder nordfranzösischem Kopfsteinpflaster, eine grosse Kreisbahn, die auch geflutet werden kann, und natürlich verschiedene Bremsstrecken mit unterschiedlichen Belägen. Klimatisierte Werkstätten, die auch bei sommerlicher Bruthitze die Arbeit nicht gefährden, sorgen für einen effizienten Testbetrieb.

Wo noch vor wenigen Jahren einige Olivenbäume standen, kann nun Nokian auf eine eigene Einrichtung zurückgreifen und muss sich nicht länger bei anderen Herstellern oder den Einrichtungen von Instituten oder Autoherstellern einmieten. Und auch Olivenbäume gibt es noch, mehr gar als vorher. Die Frage, ob künftig womöglich auch Olivenöl in den Nokian-Reifen zu finden sei, wollte niemand beantworten. Für weitere Fragen wurden uns aber der Aufenthalt in der eingangs erwähnten Sauna empfohlen ... 

Fotos: Nokian Tyres

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Pflastersteine oder Beton simulieren unterschiedliches Abrollverhalten.

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Besucherzentrum und Schattenspender, im Sommer steigen die Temperaturen gegen 40 Grad.

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Grüner Innenhof, es gibt auch eine Sauna und einen Pool.

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Die Steilwandpiste dient zur Dauererprobung bei hohen Geschwindigkeiten.

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