Bahn frei für die Super-PHEV

Dave Schneider | 11.04.2024

STECKERFAHRZEUGE Plug-in-Hybride (PHEV) sind ­inzwischen weit verbreitet. Dank ­immer grösserer Batterien 
können die neuen ­Modelle sehr weit rein elektrisch fahren. 
An der Spitze liegen diverse Modelle aus China.

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Hosenträger und Gurt – das braucht kein Mensch», sagte einst Autoforscher Ferdinand Dudenhöffer. Damit zielte er auf den Plug-in-Hybridantrieb. Zusätzlich zum Verbrennungsmotor noch einen schweren Elektromotor und eine grosse Batterie samt der nötigen Technik mit sich herumzuschleppen, wirkt nicht wie der Weisheit letzter Schluss. Zumindest dann nicht, wenn es darum gehen soll, der Umwelt einen Gefallen zu tun. Und das soll schliesslich gemäss Marketing der Sinn von Plug-in-Fahrzeugen, kurz PHEV genannt, sein.

Tatsächlich galt der Plug-in-Hybridantrieb in der Industrie lange als schlechter Kompromiss. Zu schwer, zu teuer, zu aufwendig und im alltäglichen Gebrauch nicht etwa sparsam, sondern im Gegenteil noch verbrauchsintensiver als ein reiner Verbrenner wegen des hohen Gewichts und der Tatsache, dass die meisten PHEV-Besitzer ihr Fahrzeug nicht ans Ladekabel anschlossen. Viele Autohersteller machten lange kein Hehl daraus, dass PHEV nicht sinnvoll seien.

Doch dann änderte sich die Ausgangslage. Durch die Einführung strengerer CO2-Vorschriften und die neue WLTP-Norm bei der Zulassung wurde der Plug-in-Hybridantrieb für die Hersteller plötzlich sehr interessant, weil sie nach dem Normzyklus fantastische Verbrauchswerte aufweisen. Plötzlich waren die PHEV die neuen Heilsbringer – von teuer, schwer und ineffizient will heute keiner mehr reden.

Steuerliche Aspekte als Motivation

In der Folge schossen die Zulassungszahlen für PHEV massiv nach oben. Besonders in Ländern wie Deutschland, wo Plug-in-Hybride lange mit hohen staatlichen Zuschüssen bei Anschaffung oder Leasing und steuerlichen Erleichterungen bei der Dienstwagensteuer subventioniert wurden, waren sie plötzlich enorm gefragt – vor allem in den Fuhrparks der grossen Unternehmen oder bei Selbständigen. Kein Wunder, denn oft sind die PHEV die Topmodelle der Baureihe, und mit Bezuschussung waren sie gleichzeitig auch die günstigsten Versionen. Die Tatsache, dass viele PHEV-Besitzer ihr Fahrzeug nie ans Ladenetz anschliessen, zeigt, dass oftmals nicht der Umweltgedanke der Kaufgrund ist, sondern steuerliche Gründe. Die Fuhrparkauswertung eines Herstellers in Deutschland ergab, dass mehr als drei Viertel aller PHEV-Kunden ihr Fahrzeug bis zum ersten Service kein einziges Mal an die Steckdose gehängt hatten.

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PHEV laden Strom und zapfen Benzin (oder Diesel). Während sich am Tankvolumen wenig geändert hat, sind die Batterien nun grösser.

Das Modellangebot ist inzwischen riesig. Abgesehen vom Kleinwagensegment, wo der Plug-in-Antrieb nicht wirtschaftlich ist, hat sich die Technologie flächendeckend ausgeweitet. Ein neuer Trend dabei sind Plug-in-Fahrzeuge mit riesigen Batterien und entsprechend hohen elektrischen Reichweiten – nennen wir sie Super-PHEV. Sie schaffen inzwischen Normreichweiten von weit über 100 Kilometern und verbrauchen daher, sofern man sie regelmässig ans Kabel hängt, erstaunlich wenig Treibstoff. Für Autopapst Dudenhöffer geht diese Entwicklung in die falsche Richtung: «Jetzt baut man Plug-in-Hybride, die 150 Kilometer und mehr elektrisch fahren können. Da kann ich gleich 250 oder 300 Kilometer draus machen und spar mir den Verbrennungsmotor, der sehr teuer ist.»

Chinesen bei den Reichweiten weit vorn

Besonders aus China kommt nun ein Super-PHEV nach dem anderen auf den Markt – und dank der grandiosen Werte im Normzyklus könnten es viele davon auch nach Europa schaffen. In unserer höchst inoffiziellen Liste der PHEV mit der weltweit höchsten elektrischen Reichweite liegen gleich vier Chinesen an der Spitze. Allerdings gilt es, deren Werte mit Vorsicht zu geniessen, da sie teilweise nach dem deutlich weniger strengen chinesischen Normzyklus CLTC ermittelt wurden. 

Mit einer sagenhaften elektrischen Reichweite von 245 Kilometern dominiert der Lynk & Co 08 derzeit das Geschehen. Doch es muss gleich relativiert werden: Das sind 245 chinesische Kilometer. Doch auch nach WLTP-Norm dürften das gut und gerne 200 Kilometer sein, mit denen der Chinese das weltweite Ranking unangefochten anführt. Der zum Geely-Konzern gehörende Hersteller baut das Plug-in-SUV auf der technischen Basis des Volvo XC60, stattet diese allerdings mit einer NMC-Batterie mit einer Kapazität von 39.6 kWh aus. Reine Elektroautos wie der Dacia Spring (26.8 kWh), der Mini Electric Cabrio (32.6 kWh) oder der Mazda MX-30 (35.5 kWh) haben kleinere Akkus. Der Antrieb besteht aus einer Kombination aus einem 1.5-Liter-Dreizylinder-Turbobenziner und zwei Elektromotoren, die zusammen 400 kW (544 PS) erzeugen und ein Systemdrehmoment von 900 Nm generieren. Ob der Lynk & Co 08 nach Europa kommt, ist ungewiss.

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Lynk & Co 08

Bereits in Europa erhältlich ist der Wey 05, ein knapp 4.90 Meter langes SUV des chinesischen Herstellers Great Wall Motors (GWM), das mit seiner 42-kWh-Batterie nach WLTP-Norm 158 Kilometer rein elektrisch schafft. Damit setzt der 05, der früher einmal Coffee 01 hiess, auch gleich die Bestmarke für PHEV in Europa. Auch bei der Ladeleistung (DC 50 kW, AC 11 kW) lässt sich der Wey nicht lumpen. Unter der wohlgeformten Haube des Chinesen arbeitet ein Zweiliter-Benziner mit zwei Elektromotoren Hand in Hand und erzeugt dabei eine Systemleistung von 350 kW (476 PS). Die Kraft wird via Neungang-Doppelkupplungsgetriebe auf alle vier Räder übertragen. GWM wird von Emil Frey nach Europa importiert, gut möglich also, dass das Super-PHEV bald auch bei uns erhältlich sein wird. In Deutschland startet das Modell bei 59 900 Euro.

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GWM Wey 05

Gleich hinter dem Wey 05 folgt mit dem Wey 03 ein zweites SUV von Great Wall Motor. Er ist mit 4.66 Metern ein Stück kleiner als der grosse Bruder, hat deshalb eine kleinere Batterie von 34 kWh und schafft somit rein elektrisch nur 136 Kilometer. Für den zweiten Rang in Europa reicht das derzeit aber noch locker. Auch der Wey 03 wird von einer Kombination aus Zweiliter-Turbobenziner, zwei E-Motoren und einer Neungang-Automatik angetrieben, seine Systemleistung beträgt 325 kW (442 PS). Auch seine Batterie kann am Schnelllader mit Gleichstrom (50 kW) und an der Wallbox mit 11 kW geladen werden. In Deutschland ist der Chinese ab 47 900 Euro zu haben, allerdings als Fronttriebler mit 270 kW (367 PS). Das Topmodell mit Allradantrieb kostet ab 55 900 Euro.

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GWM Wey 03

Chongqing Changan ist einer der unzähligen Autohersteller, die hierzulande kein Mensch kennt. Die Submarke Changan baut seit 1982 Personenwagen und kleine Nutzfahrzeuge, anfangs als Lizenzbauten von Suzuki-Modellen, seit den 2000er-Jahren eigenständig. Changan verkaufte in seinem bisher erfolgreichsten Jahr (2016) gut 1.1 Millionen Fahrzeuge, ungefähr gleich viele, wie Peugeot letztes Jahr global absetzen konnte. Mit dem Hunter PHEV hat Changan nun weltweit für Schlagzeilen gesorgt. Der auffällige Pick-up soll nämlich dank einer 31.2-kWh-Batterie rein elektrisch bis zu 180 Kilometer schaffen – das wäre aktuell der zweite Rang, allerdings wurden die Zahlen nach dem chinesischen Normzyklus CLTC ermittelt. Der Hybridantrieb des Hunter PHEV kombiniert einen Zweiliter-Diesel, der zusammen mit zwei Elektromotoren eine Systemleistung von 200 kW (272 PS) erzeugt.

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Changan Hunter PHEV

Erst auf dem fünften Platz folgt mit dem Mercedes-Benz GLC 300 de 4Matic das erste Modell aus europäischer Produktion. Doch immerhin sind die 130 Kilometer, die der Diesel-Hybrid mit einer Akkuladung rein elektrisch schafft, nach der deutlich strengeren WLTP-Norm homologiert. Das 4.72 Meter lange SUV kombiniert einen Zweiliter-Selbstzünder mit einem E-Aggregat an der Hinterachse, erzeugt so Allradantrieb und eine Systemleistung von 245 kW (333 PS). Neben der hohen Elektro-Reichweite kann das schwäbische PHEV auch am Ladekabel überzeugen. Dank Schnellladung mit maximal 60 kW DC ist der 31.2-kWh-Akku ruckzuck wieder voll. Der Mercedes-Benz GLC 300 de 4Matic kostet ab 80 799 Franken.

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Mercedes-Benz GLC 300 de 4Matic

Mit einem Energiegehalt von 38.2 kWh ist die Traktionsbatterie im Range Rover Sport P460e PHEV grösser als in manchem Elektroauto. Doch weil der Brite leer über 2.7 Tonnen wiegt und mit einer Breite von 2.04 und einer Höhe von 1.82 Metern dem Wind eine grosse Stirnfläche bietet, schafft er nur 123 Kilometer rein elektrisch. Damit liegt das Modell aber noch immer weit vor den meisten Konkurrenten. Er kombiniert einen Drei­liter-Reihensechszylinder-Benziner mit einem E-Motor für eine Systemleistung von 338  kW (460 PS), die Kraft wird über eine Achtgang-Automatik an alle vier Räder übertragen. Die Preise starten bei 106 000 Franken. Gleich dahinter liegt sein grösserer Bruder Range Rover, dem wir hier keinen eigenen Abschnitt widmen – er hat den gleichen Antriebsstrang und die gleiche Batterie und schafft damit 121 Kilometer elektrisch.

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Range Rover Sport

Fotos: Chongqin Changan, GWM, Land Rover, Lynk, Mercedes-Benz, Adobe Stock

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