Mit einem Elektro-Dacia so weit? Unmöglich!

Automobil Revue | 11.04.2024

Leserreise Ein Leser der AUTOMOBIL REVUE hat eine Reise von der Schweiz nach Südfrankreich unternommen. In einem Elektroauto. Und, wohl­gemerkt, in einem der derzeit günstigsten auf dem Markt. Dies ist der Reisebericht.

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Wie lädt man auf einer Reiseroute ein Elektroauto auf? Und vor allem wo? Wie viele Kilometer kann man ohne Reichweitenangst fahren? Diese oder ähnliche Fragen beschäftigen jeden Autofahrer bei seiner Elektropremiere. AR-Leser Erino Lehmann entschied sich für einen Praxistest. Mit einem Dacia Spring, einem der günstigsten Elektroautos auf dem Markt, legte er die Strecke von über 560 Kilometern von seinem Wohnort Colombier NE zu seiner Mutter in La Grande-Motte in Frankreich zurück. Wir lassen ihn erzählen:

«Ursprünglich hatte ich vor, mich nicht speziell über E-Autos und das Reisen mit ihnen zu informieren. Ich wollte einfach losfahren, genauso, wie ich das vorher immer mit einem Auto mit Verbrennermotor getan habe. Aber ein paar Tage vor der Abreise machte sich ein unbehagliches Gefühl breit. Früher war ich ein furchtloser Abenteurer. Doch früher ist lange vorbei. Ich stellte mir plötzlich Fragen zur langen Fahrt mit einem E-Auto. Wie viele Kilometer sind es bis nach Genf? Oder bis nach Annecy? Wie benutze ich eine Ladestation? Wie kann ich ohne ein Abonnement bezahlen? Oder benötige ich vielleicht sogar einen speziellen Ausweis? Diese Fragen lagen mir so schwer im Magen, dass ich manchmal nachts aufschreckte. Ich kam von meinem ursprünglichen, mutigen Plan ab. Ich begann, mich im Internet zu informieren. Ein Videobeitrag beruhigte mich schliesslich.

Vorausdenken

Ich entschied mich, die Reise mit dem Dacia Spring meines Bruders unter die Räder zu nehmen. Er hatte das Auto mit einer Ladeleistung von 22 kW im Dezember 2021 für 21 950 Franken gekauft. Heute ist das E-Auto für weniger als 15 000 Franken zu haben. Der Reisetag begann früh um 5.45 Uhr. Den Spring hatte ich an der 220-Volt-Steckdose in meiner Garage voll aufgeladen, so sollte ich erst einmal 215 Kilometer weit kommen. Aber warum fuhr ich so früh los? Weil sich eine Batterie auf der Autobahn ja besonders schnell entlädt. Ein Bespiel: Bei einer Geschwindigkeit von 100 km/h anstatt 130 km/h kann der Verbrauch um fast 40 Prozent gesenkt werden. Aber auf der Autobahn mit nur 90 km/h zu fahren, erschien mir ziemlich gefährlich. Also fuhr ich frühmorgens zu einer Zeit los, zu der die Autobahn noch frei ist.

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Mit seiner kleinen 26.8-kWh-Batterie hält der Dacia Spring seine volle Ladung nicht lange.

Ab sechs Uhr auf dem Weg von Colombier nach Yverdon VD wurde der Verkehr jedoch dichter. In Richtung Lausanne wurde deshalb die dritte Spur, der Pannenstreifen, geöffnet – ein Glücksfall für meinen Dacia. Mein Glück waren aber auch die Lastwagen. Lange vor Lausanne klemmte ich mich hinter einen LKW, der mit 75 km/h die Steigung von La Sarraz VD hinauffuhr. Normalerweise schimpfen die Autofahrer über diese Kolosse, die sie bremsen. Mir kam diese Gemütlichkeit aber gelegen.

Die Aussentemperatur lag bei null Grad, im Auto war es entsprechend kalt. Denn um die Batterie und damit die Reichweite zu schonen, hatte ich mich dazu entschlossen, weder die Heizung noch das Radio einzuschalten. So erreichte ich Frankreich. Annecy lag bereits hinter mir, Aix-les-Bains ebenso, als mein Auto eine Reichweite von nur noch 25 Kilometern – Ladestand bei elf Prozent – anzeigte. Ich sollte es demnach bis Chambéry schaffen. Trotzdem hatte ich ein ungutes Gefühl. Wäre es vielleicht doch besser, vorher anzuhalten? Ich atmete auf, als ich sah, dass es in Drumettaz eine Lademöglichkeit gab. Ich nutzte die Gelegenheit und fuhr bei einer brandneuen Ladestation mit vier freien Plätzen vor, las die Bedienungsanleitung und steckte mein Auto an. Die Ladestation bat mich um eine Mitgliederkarte, die ich aber nicht hatte. Eine Option war auch ein QR-Code, den aber meine Handykamera nicht scharfstellen und deshalb nicht lesen konnte. Also sollte ich an der Ladesäule eine Nummer eintippen. Die Nummer aber war unbekannt. Ich schaute mich um und sah ein anderes Terminal. Eines, an dem man auch mit Kreditkarte bezahlen konnte. Als ich mich näherte, sah ich den Zettel, auf dem geschrieben stand: «Ausser Betrieb».

Herausforderung Anstieg

Entmutigt von diesem ersten gescheiterten Aufladeversuch fuhr ich weiter. Weil es im Auto kalt war, erlaubte ich mir, die Heizung einzuschalten. Ich erreichte bald Chambéry, aber ich hatte nicht mit dem steilen Anstieg auf dem Weg in die Stadt gerechnet. Ich schaltete die Heizung aus und riskierte einen Blick auf das Display: Der Verbrauch lag bei über 20 kWh/100 km. Ich war erleichtert, als der Anstieg hinter mir lag und ich eine schöne Abfahrt Richtung Stadt vor mir sah. Also legte ich ein Pause ein und informierte mich über GPS, ob ich in der Nähe eine Schnellladestation finden würde. Eine Tesla-Ladestation wurde angezeigt, was mich freute, weil ich zu glauben wusste, dass ich dort meine Kreditkarte gebrauchen könnte.

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Hilfreiche Navigation: Der Dacia Spring verliert zwar schnell Strom und Reichweite, aber das Navigationssystem hilft bei der Suche nach der nächsten Stromquelle.

Auf dem Weg zu dieser Ladestation geriet ich in eine Sackgasse, ich musste zwei grosse Kreisel durchfahren und eine lange Brücke überqueren – aber die Ladeanzeige lag immer noch bei sechs Prozent, was für 15 Kilometer reichen sollte. An der Ladesäule nutzte ich die Kreditkarte. Stress kam kurz auf, aber letztlich nur, weil ich mich nicht an die Vorschrift gehalten hatte: Erst Karte durchziehen, dann Code eintippen und schliesslich den Steckdosentyp wählen. Puh! Es würde eine Stunde dauern, bis mein Auto wieder voll aufgeladen ist, wurde mir angezeigt. Ausgezeichnet! Denn ich befand mich in der Nähe eines Supermarkts, dort wollte ich mich aufwärmen und dabei einen grossen Becher Kaffee und ein Croissant geniessen. Nach dem anschliessenden Rundgang durch den Laden war die Zeit wie im Flug vergangen.

Die sparsame Fahrtaktik ist futsch

Für die Weiterfahrt nach Voreppe entschied ich mich für die Nationalstrasse. Ein Verkehrsschild informierte mich, dass die Strasse neun Kilometer weiter gesperrt sei, ausgenommen an Wochenenden und während einiger Stunden am Tag. Oder so ähnlich, denn ich konnte es beim Vorbeifahren nicht genau lesen. Eine nächste Signalisation wies darauf hin, dass der Tunnel von Les Echelles geschlossen sei. Ich fuhr weiter und las auf einem weiteren Schild: «Alternierende Durchfahrt». Als ich vor dem geschlossen Tunnel hielt, fragte ich einen Arbeiter, ob er mich nicht schnell durchfahren lassen könnte, denn ich konnte die Tunnelausfahrt sehen, die Strasse dahinter schien befahrbar. Ich erklärte dem Arbeiter, dass ich ein Elektroauto hätte und dass jeder Kilometer zähle. Er kam näher und meinte: «Ein Dacia ist das Auto der Armen.» Ich fragte: «Könnten Sie bitte einen armen Mann durchlassen?» Er meinte aber nur, dass ich einen Pass überqueren müsste und dass ich dafür Winterreifen bräuchte. Hier stand ich also nun, am Fuss des Col des Égaux mit einer Höhe von 958 Metern ü. M. und einer Steigung von über zwölf Prozent. Meine sparsame Fahrtaktik war futsch!

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Über den Pass statt durch den Tunnel: Im Elektroauto mit kleiner Batterie sind solche Umwege alles andere als wünschenswert, vor allem bei frostigen Wintertemperaturen.

Aber die Zeit verging trotzdem, es war bereits kurz vor Mittag, als die Reichweite noch beträchtliche 65 Kilometer anzeigte. Dennoch entschied ich mich, Halt zu machen, etwas zu essen und dabei das Auto aufzuladen. Mein Ziel La Grande-­Motte war nur noch 170 Kilometer entfernt. Auf dem Weg dahin würde ich Ladestationen mit bis zu 22 kW Ladeleistung vorfinden, zeigte mir das ausgezeichnete Navigationssystem an. In Livron-sur-Drôme gab es zwei freie Terminals, jedoch nur mit 7 kW Leistung. So wären fast drei Stunden nötig, um das Auto voll aufzuladen, oder 2:10 Stunden, um es auf 80 Prozent zu bringen.

Zeit überbrücken

Nach dem Essen drehte ich zu Fuss ein paar Runden in ­einem schönen Park. Der Ladevorgang ging nur langsam voran. Ich nutzte die Gelegenheit, um die Stadt Livron zu besichtigen. Ein guter Entscheid, denn die Stadt ist sehr schön. Als ich müde wurde, setzte ich mich in dem von der Sonne aufgeheizten Auto auf den Beifahrersitz, liess die Rückenlehne des Sitzes herunter und schlief eine halbe Stunde lang. Als ich aufwachte, zeigte der Ladestand der Batterie 74 Prozent an. Also nochmals zurück in den Park, wo ich drei Paare beim Bocciaspiel beobachtete. Jemand fragte mich, ob ich das Auto aufladen würde. ‹Ja›, antwortete ich. Was es denn für ein Auto sei, lautete die nächste Frage. ‹Ein Dacia Spring.› Ach, und von wo ich denn herkäme. ‹Aus der Schweiz.› Das sei unmöglich, warf eine Frau ein. Sie habe auch einen Dacia Spring, und der komme im Winter nur 180 Kilometer weit. Ich verabschiedete mich. Es war 16.40 Uhr, der Ladestand lag bei 90 Prozent.

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Der Praxistest mit dem Elektroauto: In einem Dacia Spring über 560 Kilometer von der Westschweiz nach Südfrankreich.

Die entscheidende Erkenntnis

Weil der Verkehr stockte, war die Fahrt nach Montélimar langsam, sehr langsam, aber auch sehr sparsam. Später ging es schneller voran, bei Remoulins war es bereits dunkel. 50 Prozent und noch 130 Kilometer Reichweite. Als ich Nîmes durchquert hatte, war es bereits 20 Uhr. Die Batterie war noch zu 19 Prozent geladen, das reichte für weitere 47 Kilometer. So einfach hatte ich mir das letzte Teilstück meiner Reise nicht vorgestellt, dachte ich mir, als ich den Dacia Spring vor dem Haus meiner Mutter parkierte.

Die Reise dauerte 14:15 Stunden. Auf der Autobahn hätte ich ohne Pause sechs Stunden benötigt. Über Land wären es, ebenfalls ohne Rast, wohl um die zehn Stunden Fahrzeit gewesen. Ich rechnete aus: Auf den 557 Kilometern verbrauchte ich durchschnittlich nur 11.6 kWh/100 km – oder 1.3 Liter Benzin auf 100 Kilometer. Fürwahr ein Argument, das für meine längere, gemütlichere Reise spricht.» 

Fotos: Erino Lehmann

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