Geländewagen im Härtetest: Mit dem VW Amarok durch die Seealpen

Martin Sigrist | 27.09.2024

Es gibt SUV und es gibt Geländewagen. Der Amarok, ein Pick-up, gehört zu Letzteren – er kann, wonach er aussieht. Den Beweis erbrachte er während einer Tour durch die Seealpen unter erschwerten Bedingungen.

J 24 AMA BRO 0118 2288 F7k Christof René Schmidt

Viel Schnee, Regen und Unabwägbarkeiten – die Voraussetzungen für eine Offroadtour schienen Ende Juni nicht gerade ideal zu sein. Mit nur gerade drei Tagen blieb uns zudem nicht allzu viel Zeit, um uns auf grosse Umwege einzulassen, es galt schlicht und einfach nachzusehen, ob unsere Routen funktionieren oder wir zur Umkehr gezwungen sein würden. Für die Tour stand uns der aktuelle VW Amarok zur Verfügung. Der nun in Zusammenarbeit mit Ford in Südafrika gebaute Pick-up der Wolfsburger hatte seinerzeit seine Karriere in Argentinien begonnen.

Zumindest unsere Arbeitsgeräte sind damit schon weit gereist beim Start auf der Raststätte «Rose de la Broye» in der Nähe von Estavayer-le-Lac. Hier stehen sie bereit, die sieben VW Amarok, jeder ausgerüstet mit einem Dachzelt, das uns für zwei Nächte als Unterkunft dienen soll. Bei durchzogenem Wetter gönnen wir uns eine letzte Nacht im Hotelzimmer, bevor es am frühen Morgen des folgenden Tages in Richtung Genf und weiter zum Fuss des Aravis-Passes geht.

Die souveräne Art des Amarok, sein V6-Motor ist an ein Automatikgetriebe gekoppelt und das Fahren gestaltet sich kaum anders als in einem grossen SUV, bringt uns bisher zwar die Gewissheit, in bester Verfassung dorthin zu gelangen, wo uns die Route etwas mehr abverlangen würde, aber selbst mit dem hoch aufbauenden Dachzelt und einer empfohlenen Höchstgeschwindigkeit von nicht mehr als 110 bis 120 km/h ist die Anreise über die Autobahn kein aussergewöhnliches Ereignis.

Dann folgt ein erster Abstecher dahin, wo wir unseren Fokus der Reise gelegt hatten: Fahren abseits befestigter Strassen. Mit einer ersten Dosis gröberen Schotters in Richtung Mont Charvin kann unser Verlangen nach etwas Abenteuer gestillt werden. Nun, im Gänsemarsch mit eingelegtem Allradantrieb, verbreitet sich erstmals etwas der Geruch von Abenteuer in der Kabine des Pick-ups.

J 24 AMA BRO 0118 2797 F7k Christof René Schmidt

Das Recht des Stärkeren

Irgendwann stellt unsere «Leitkuh» mit Offroadspezialist Oliver Hillebrand den Blinker. Der Asphalt liegt hinter und eine klassische Bergstrasse vor uns – Aufstieg zum Mont Charvin. Noch sind wir etwas vorsichtig, der Grund dafür sind die gröberen Steine, die wir uns immer wieder in die Frontscheibe hineinfliegend herbeifantasieren. Doch die Brocken bleiben, wo sie sind, die Räder des Amarok scharren kaum je den Untergrund auf.

Bergab begegnen wir zwei französischen Lastwagen der Gebirgsjäger, die uns schnell deutlich machen, wen sie hier oben als Platzhirsche sehen. Sie hätten knapp 200 Meter zum Zurücksetzen, doch wir fahren zu siebt zurück – deutlich weiter als 200 Meter, aber okay, cool bleiben, wir fühlen uns etwas wie bei der Camel Trophy, gucken gelassen aus dem Seitenfenster und setzen mit Blicken in die Rückspiegel zurück zu einer geeigneten Ausweichstelle.

Danach gibt es eine längere Talfahrt, wobei sich herausstellt, dass die Ford-Leute dem Amarok ihre wenig überzeugende Getriebesperre verpasst haben. Der Knopf für das manuelle Schalten der 8-Gang-Automatik sitzt seitlich am Wählhebel, dazu gibt es zwei winzige Drucktasterchen – das Tasten ist wörtlich zu nehmen –, um die erste bis vierte Stufe zu halten. Eine zweite Ebene oder gar Lenkradwippen wären wesentlich einfacher zu bedienen.

Sonst allerdings zeigt der Amarok wenig Schwächen auf, vielleicht tritt der Motor für unseren Geschmack etwas träge aus dem Stand an. Dass elektronisch geregelte Turbodiesel aber nicht mit Urgewalt auf ihre Wandler und Getriebe losgelassen werden, sondern mit etwas Bedenkzeit, das kennen wir von anderen Beispielen, besonders auch von VW-Produkten.

Wieder auf der Strasse und das ohne rauchende Bremsen setzt der Tross zum nächsten Aufstieg an: Der Col de l'Arpettaz nach Ugine, und über Arêches und den Col du Pre finden wir das Restaurant la Pierra Menta. Jemand hatte die Idee, Käse zu bestellen, dieser würde uns danach helfen, mit einem überaus dominanten Sättigungsgefühl talwärts fahren zu können.

J 24 AMA BRO 0118 2104 F7k Christof René Schmidt

Aufstieg ins Dachzelt

«Käse schliesst den Magen», meinte der Häuptling der Gallier einst in einem Abenteuer von Asterix und Obelix auf der Suche nach dem Arvernerschild – man schickt ihn danach zur Kur bei gedünstetem Gemüse. Wir aber schliessen die Türen unserer Autos und setzen den Hosengürtel ein Loch zurück. Ist es das Auto, das hungrig macht, oder die Aussicht auf Camping im Dachzelt?

Auf dem Camping in Saint Maurice positionieren wir unsere Pick-ups so, dass wir einigermassen flach zu liegen kommen werden. Der Zeltaufbau geht schnell, das Ding öffnet sich durch seitliches Auseinanderklappen der Bodenplatte, als Hebel dient die auseinanderschiebbare Leiter.

Wie in einem Pop-up-Buch erwächst mit jedem Grad mehr in Richtung 180-Grad-Winkel ein Zelt aus dem Pack auf unseren Fahrzeugdächern. Karlsson vom Dach hatte einen kleinen Propeller auf seinem Rücken zum Hochfliegen, wir aber hangeln uns die Leiter hoch, um unser Gepäck oben reinzuwerfen. Irgendwie hängt aber noch alles schief und schlapp, erst als wir die Stangen zum Spannen der Fensteröffnungen des Zeltes entdecken, nimmt dieses langsam seine Form an. Zum Glück sind wir im Pick-up unterwegs, so lässt sich ein Teil der Arbeit stehend auf dem Ladebett erledigen, ansonsten empfiehlt sich für einen hochbeinigen Geländewagen eine Bockleiter.

Die Nacht erweist sich dann als durchaus erholsam. Die Matratze ist dünn, da sie vom zugeklappten Dach ins Sandwich genommen wird, was ihre Dicke limitiert. Trotzdem hat sie sich als erstaunlich komfortabel erwiesen. Wer es richtig gemütlich haben will, sollte aber eine Zusatzmatte dabeihaben.

Und wer morgens den Kopf nicht bei der Sache hat, riskiert, die Kreditkarte noch in einer der Zeltseitentaschen stecken zu haben, wenn das Ding längst wieder zugeklappt und unter seiner Plache versteckt ist. Camping ist die Kunst von Multi-tasking und geistiger Präsenz selbst zu früher Stunde.

Wir haben es immerhin ganz ordentlich hingekriegt – Pfadfinderehrenwort.

Hoch und runter

Nach all den Schotterpisten mutet die Passstrasse über den Col de la Madeleine an wie eine Autobahn. Den Amarok etwas fliegen lassen,
ist unser Ziel, sehen, ob die rund 60 Kilogramm Dachlast negative Konsequenzen auf das Fahrverhalten haben. Fazit: Man spürt sie kaum und einen schweren Pick-up eine enge Passstrasse hochzuscheuchen, schien noch nie so leicht wie mit dem Amarok.

Flott fahren kann er, und das Automatikgetriebe ist derweil willig, einem so oft wie möglich den passenden Gang zu liefern. Das ist eine relativ erstaunliche Feststellung, denn mit seinem Leiterrahmen, vorderer Doppelquerlenker- und hinterer Starrachse bietet die Ford/VW-Konstruktion keine exotischen Tricks und Kniffe.

Wir erreichen den Madeleine als Erste, strecken etwas die Beine und starten in Richtung Coin des Col de Choussey. Die Fahrt dorthin folgt einer engen Nebenstrasse. Der Vorteil des Amarok ist, dass er zwar recht lang geraten ist, aber sich bei der Breite gerade noch im Rahmen hält. Zudem ist das ganze Auto recht gut zu überschauen.

Mit 17 Spitzkehren auf 3.4 Kilometern winden sich die Lacets de Montvernier hinunter nach Pontamafrey. Nur einige Motorradfahrer begegnen uns auf dieser Talfahrt, ein Zurücksetzen wäre hier eine echte Challenge geworden.

Im Tal angekommen, folgen wir der Hauptstrasse und unterqueren den Alpenkamm im Fréjus-Tunnel, um auf die italienische Seite zu gelangen. Unser Ziel wäre der Monte Jafferau auf rund 2500 Metern Höhe und mit toller Aussicht. Leider liegt noch viel Schnee zumindest da, wo wir geplant haben, hochzufahren. Die Übung wird auch wegen eines aufkommenden Gewitters abgebrochen.

Das Gran Bosco Camping und Lodge in Bardoneccia wird unser zweites Nachtlager, Essen gibt es hier direkt vom Restaurant, das zur Anlage gehört. Nach einigen Fehlversuchen gelingt es uns, danach ein Feuer zu entfachen. Wir würden also überleben können in der Wildnis, so gefällt uns jedenfalls der Gedanke, nachdem wir mit mächtig viel Technik an diesem Tag auf Wanderwegen – stets mit der entsprechenden Bewilligung notabene – und Skipisten unterwegs waren.

J 24 AMA BRO 0118 2640 F7k Christof René Schmidt

Meuterei!

Der Colle del Assietta hätte es sein sollen, das Schild am Anfang des entsprechenden Aufstiegs aber ist eindeutig: «Chiuso!» Na dann, umkehren und umplanen.

Das neue Ziel heisst Colle Bercia, der Weg ist gesäumt mit Wanderern, allerdings ist es hier ganz legal, mit einem entsprechenden Auto hochzufahren, selbst einen Fiat Panda treffen wir unterwegs – wenn es in Italien irgendwo noch eine letzte Möglichkeit gibt, mit einem Auto hinzukommen, dann ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass an diesem Ende der Welt ein Panda parkiert steht.

Unsere Amarok schaffen es locker, wichtig ist es aber, die kleinste Fahrstufe einzulegen, also Allradantrieb mit Reduktion 4L. Damit fährt man auch bei Schritttempo nicht ständig im Wandler und verhindert, dass einem die Getriebeöltemperatur enteilt. Gut, dass der Amarok diese Information direkt im linken Instrumentenfeld einblendet. Schalten tut das Getriebe allerdings so nur noch bis in die vierte Stufe, das sind dann etwa maximal 20 km/h.

Im Zollhaus angekommen – wir fahren an der französisch-italienischen Grenze, müssen wir für die Weiterfahrt schliesslich richtiggehend kämpfen. Der erfahrene Offroader will den Abstieg auf demselben Weg, wir hingegen sind uns sicher, dass es über den Pass problemlos sei.

Zwei Lastwagen des Elektrizitätswerks, die wir vor der Capanna Mautino abwarten, erübrigen danach weitere Diskussionen. Wir fahren weiter bergwärts – die beste Strecke unseres Ausflugs, wie sich danach herausstellen wird.

Die sehr engen Kehren, schmalen Stellen und steilen Geröllhalden werden durch eine grandiose Aussicht auf dem Colle Bercia belohnt. Wir hingegen tun uns noch mehr Gutes – bei einer letzten Mittagsrast in einer lauschigen Bergbeiz, dem Restaurant Baita Gimont.

J 24 AMA BRO 0118 0169 F7k Christof René Schmidt

Allradantrieb, Reduktionsgetriebe und Sperren: Garanten fürs Vorankommen

Die Rückfahrt führt uns wieder durch den Fréjus-Tunnel und auf der Autobahn zurück zur Rose de la Broye, unseren Ausgangspunkt. Der Amarok hat derweil sowohl offroad wie onroad brilliert. Das Reisen mit einem Dachzelt hat sich als praktische Variante erwiesen, selbst wenn der Autor nach wie vor einem Van den Vorzug geben würde angesichts der Tatsache, dass der Amarok mit seiner Länge von 5.35 Metern Van-Niveau erreicht.

Das Problem dabei aber ist, dass es kaum noch Vans mit voller Geländetauglichkeit gibt, sprich mit Allradantrieb, Reduktion und entsprechenden Sperren, die sich auf unserem Ausflug als unabdingbar erwiesen haben.

Zwar hat auch der mitgereiste Fotowagen, ein luftgefederter VW Touareg, die Tour geschafft, aber hier war doch immer latent das Gefühl dabei, die Mechanik an ihre Grenzen zu bringen. Der Amarok hingegen schlug sich völlig souverän.

Zudem sind die 240 PS des Dreiliter-V6 ein schlagendes Argument, genauso wie die 600 Nm Drehmoment. Dass der Verbrauch selbst nach längeren Passagen mit der Geländereduktion irgendwo zwischen elf und zwölf Litern Diesel lag, spricht ebenso für den robusten Pick-up aus Wolfsburg – äh, wir meinen natürlich aus Südafrika!

Zum Vergrössern klicken!

Fotos: Christof René Schmidt

Kommentare

Keine Kommentare