Auf dem Weg zur imaginären Startlinie wärmt Jari-Matti Latvala die Asphaltreifen mit zackigen Lenkbewegungen auf. «Das muss reichen. Legen wir los.» Der Toyota-Teamchef und 18-malige Sieger eines Rallye-WM-Laufs aktiviert die Startautomatik, gibt Vollgas und löst die Bremse – der Toyota GR Yaris Rally 1 Hybrid hechtet nach vorn. Nach zwei schnellen Ecken bremst der 38-jährige Finne die Fuhre brutal herunter. Das Vorlesen der Streckennotizen ist seit der Startlinie Geschichte. Drei auf uns zufliegende mittelschnelle Asphaltkurven werden rabiat geschnitten. Und wieder rein in die Eisen der über eine Million Euro teuren Hightech-Maschine. «Auf meinem Display leuchten nun die Lampen für den Elektroboost.»
Toyota GR Yaris Rally 1 – Mittendrin statt nur dabei
Reiner Kuhn | 11.01.2024
Tracktest Als Co-Pilot im Toyota GR Yaris Rally 1 erfuhr der AR-Autor den weltmeisterlichen Hybridboliden, aber auch, wie sehr sich der Arbeitsplatz des Navigators veränderte.
Der Fahrer und sein Co-Pilot: Jari-Matti Latvala (r.) mit AR-Korrespondent Reiner Kuhn.
Weltmeister-Auto: Toyota GR Yaris Rally 1.
«Aus der Schikane heraus werde ich ihn aktivieren», lässt mich Latvala über die Gegensprechanlage wissen. Gesagt, getan. Prompt katapultiert uns die geballte Systemleitung von knapp 540 PS so vehement nach vorn, dass der Chauffeur alle Hände (und Füsse) voll zu tun, um das weiss-rot-schwarze Geschoss in der Spur zu halten. An der nächsten Ecke lässt Latvala das Fahrzeugheck mit einem Zug an der Handbremse punktgenau eindrehen und kommt mir dabei erstaunlich nahe. «Ja, es ist ein bisschen eng», lacht er und verrät, dass bei der Rallye Finnland meist sein Teilzeit-Co-Pilot Juho Hänninen die hydraulische Handbremse bediente.
Neues Sicherheitskonzept
«Das liegt eher an deren Fahrstil», schwört Technikchef Tom Fowler. «Der Raum in den neuen Rally-1-Rohrrahmenchassis ist nahezu identisch mit jenem in den Rohkarossen der World-Rally-Cars und basiert auf den Referenzwerten des Serien-Yaris. Der Unterschied ist das neue Sicherheitskonzept des Rally 1, angefangen bei der im hinteren Türbereich gut sichtbaren zweiten Längsstrebe vor der B-Säule. Dadurch ist die Crew bei einem seitlichen Aufprall besser geschützt.» Auch sonst wurde das Reglement nachgeschärft. Die Sitze rückten im Rally 1 ins Zentrum. Zwischen den Türen und Sitzen sind 240 Millimeter energieabsorbierender Schaum vorgeschrieben und weitere 50 Millimeter Abstand zwischen Sitz und Schaum.
Auch die Sitzmasse wurden angepasst. Zwischen Helm und Sitzwand dürfen nur noch 50 Millimeter Luft sein, um bei einem Aufprall allzu grosse Bewegungen des Kopfes zu verhindern. Zudem muss der Beifahrersitz nun 110 Millimeter vom tiefsten Punkt des Autos entfernt sein, er ist damit gut 70 Millimeter höher verbaut als im WRC, in dem die Beifahrer noch tief unten auf dem Bodenblech kauerten. Die neue Position sorgte nicht nur bei den Co-Piloten für längere Eingewöhnungszeit, denn nun sind die Arme der Insassen nahezu auf gleicher Höhe. Hinzu kommt, dass die Käfigkonstruktion hinter den Sitzen für eine bessere Crashsicherheit mit zusätzlichen Streben verstärkt wurde, sodass man die Helme nicht mehr durchstecken kann. Da die Crews nicht jedesmal die Heckklappe öffnen wollen, werden die Helme vor dem Beifahrer mitgeführt, was dessen Arbeitsraum auf den Verbindungsetappen zusätzlich einengt. «Die Crews haben sich daran gewöhnt», erklärt Fowler und freut sich, dass der Yaris Rally 1 das schnellste und sicherste Rallyeauto ist.
«Im Rally-1-Auto sitzt man wie in der Kirche»
Kaum einer hat mehr Kilometer hinter dem Steuer des Toyota GR Yaris Rally 1 verbracht als Toyota-Cheftester Juho Hänninen (im Bild). Und der 42-jährige Finne kennt das Weltmeisterauto auch von der Beifahrerseite, navigierte er doch Jari-Matti Latvala in Finnland 2023 auf Rang fünf.
AUTOMOBIL REVUE: Hand aufs Herz, sitzen Sie nicht lieber
hinter dem Lenkrad als daneben?
Juho Hänninen:
Natürlich. Solche Autos zu bewegen, macht unglaublich Spass. Aber im
Wettbewerb? Nein danke, da ist meine Zeit vorbei.
Kaum ein Fahrer mag den Navigator geben. Wie kamen Sie dazu?
Das ist aus einer Schnapsidee entstanden. Ende 2017 wollte
Jari-Matti eine historische Rallye fahren und hatte keinen Co-Piloten. Als Gag
bot ich mich an und dachte, er lehne ab. Ich hatte keinen Plan, aber es lief
ziemlich gut. Die genauen Ansagen, das Checken der Zeiten und so weiter sind
etwas ganz anderes als zu fahren, aber es bleibt der gleiche Sport und
Wettbewerb. Wir fuhren noch ein paarmal mit dem alten Toyota Celica und im
Sommer bei der Rallye Finnland eben im Rally 1.
Hatten Sie keine Angst, das Steuer abzugeben?
Jari-Matti und ich kennen uns sehr gut, wichtiger ist aber: Er
hört auf mich, auch was das Fahren betrifft. So habe ich durch die Testarbeit
viel mehr Erfahrung mit dem Hybridsystem. Aber es ist klar, ich würde zu keinem
anderen ins Auto sitzen, schon gar nicht in einen Rally 1.
Sie sassen auch im neuen Toyota Yaris Rally 2 neben Latvala.
Wo fühlen sie sich wohler?
Um ehrlich zu sein, bevorzuge ich die tiefere Sitzposition im
Rally 2, das ist näher an dem, was ich von älteren Autos gewohnt bin. Ich
konzentriere mich auf den Aufschrieb und muss nicht aus dem Fenster schauen. Im
Rally 1 sitzt man wie in der Kirche, sehr aufrecht und hoch. Das
Sicherheitskonzept verlangt aber noch andere Kompromisse.
Haben Sie Beispiele?
Im Rally 1 sitzt man ziemlich dicht beisammen. Bei den ersten
Tests musste sich mein Beifahrer oft etwas wegdrücken, wenn ich die Handbremse
bedienen wollte. Ähnlich war es für Jari-Matti bei der Rallye Finnland, deshalb
habe ich dort die Handbremse bedient. Allerdings adaptiert man die Sitzposition
schnell. Wie gross der Unterschied ist, merkt man erst, wenn man in ein anderes
Auto einsteigt. Am schwierigsten ist es als Co-Pilot, wenn die Aerodynamik
anfängt zu arbeiten, das spürt man deutlich. Der Fahrer hält sich einfach am
Lenkrad fest. Übrigens empfinde ich als Co-Pilot Asphaltstrecken als viel
angenehmer, weil die Kräfte durch den erhöhten Grip viel stärker auf den Körper
wirken.
Interview: Reiner Kuhn
Fotos: Toyota
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