BYD Seal U – Die neue Energie

Ramon Egger | 01.02.2024

Ankömmling BYD feiert sich ­gern selbst – und der Erfolg gibt 
den Chinesen recht. In der Schweiz steht der Marktstart kurz bevor, 
unter anderem mit dem Seal U.

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Mit einer Länge von 4.78 Metern bei einem ­Radstand von 2.76 Metern bietet der Seal U die typischen Proportionen eines Mittelklasse-SUV.

Die Welt geht unter, aber mit der Kraft der Sonne können wir sie retten. Das ist die Message, die BYD vermitteln will. Ziemlich hoch gegriffen für eine Firma, die Autos baut. Also unter anderem, denn die Chinesen bauen auch Eisenbahnen, Busse, Lastwagen und nebenbei noch Batterien und Solarzellen, um alles anzutreiben. BYD macht das alles ganz erfolgreich, die Nachricht, dass der Autohersteller aus dem Tech-Hotspot Shenzen Ende 2023 Tesla als grössten Elektroautohersteller abgelöst hat, sorgte für Aufsehen. Natürlich wurden die meisten Autos in China selbst verkauft, dem weltweit grössten Markt für Elektroautos. Für BYD ist es trotzdem mehr als nur ein Achtungserfolg, man ist stolz darauf. Genauso wie man stolz darauf ist, Hauptsponsor der Fussball-EM 2024 in Deutschland zu sein. Oder darauf, in Ungarn schon bald das erste Werk ausserhalb Chinas in Betrieb nehmen zu können. Oder darauf, dass soeben das erste von acht eigenen Frachtschiffen zum Transport von Neuwagen erfolgreich seine Jungfernfahrt absolvierte.

Dass BYD damit die Welt vor einer drohenden Klima- und Umweltkatastrophe bewahrt, wie der Konzern in aufwändig produzierten Imagefilmen erklärt, ist eher unwahrscheinlich. Viel wahrscheinlicher ist, dass die Chinesen damit die Welt erobern. In diversen europäischen Ländern ist BYD bereits präsent, die Schweiz folge garantiert noch diesen Frühling, sagt Penny Peng, Direktor für Marketing und PR von BYD Europe. Grosse Pläne und noch grössere Investitionen sind das ­eine – gute Autos das andere. Und ohne sie wird es schwierig werden für BYD in Europa.

Komfort vor Sport

Mit der Limousine Seal bewies die Marke bereits, dass die Fahrzeuge durchaus Potenzial haben, schliesslich landete sie nicht grundlos auf der Short List der Wahl zum Car of the Year 2024 und gehört damit zu den sieben Finalisten, die noch bis Ende Februar um die Krone des besten Autos kämpfen. Wie sich der Seal gegen die gestandene Konkurrenz aus Europa, Japan und Korea schlagen konnte, wird sich bei der Siegerehrung im Rahmen des Autosalons Genf zeigen. In Genf wird die Marke präsent sein und dann wohl auch bekannt geben, über welchen Importeur der Vertrieb in der Schweiz erfolgen soll. Denn anders als beispielsweise Konkurrent Nio baut BYD in Europa kein eigenes Netz von Händlern auf, sondern arbeitet mit gestandenen Importeuren zusammen. In Schweden und Deutschland ist dies die schwedische Hedin-Gruppe, die in der Schweiz unter anderem die BMW-Marken vertritt.

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Welche Modelle von BYD zum Markstart in die Schweiz rollen werden, ist noch offen – voraussichtlich mit dabei sein wird aber das SUV Seal U. Von ihm hat BYD für Europa aktuell zwei Versionen im Angebot: die Variante Comfort mit einer 71.8-kWh-Batterie und die Variante Design mit ­einer grösseren 87-kWh-Batterie. Bei beiden treibt ein permanenterregter Synchronmotor ausschliesslich die Vorderachse an. Anders als der Seal trumpft der Seal U nicht mit Spitzenfahrleistungen auf, sondern ist ein vernünftiges SUV. 9.3 Sekunden dauert es von 0 auf 100 km/h in der Version mit der kleinen Batterie, 0.3 Sekunden mehr sind es in der schwereren Variante mit der grossen Batterie. Verschiedene Fahrmodi beeinflussen die maximal verfügbare Leistung und vor allem die Kennlinie des Gaspedals. Im Sport-Modus ist der Antritt aus dem Stand elektrotypisch kräftig.

Wird der entsprechende Schalter auf der Mittelkonsole auf Eco gestellt, geht es etwas gemächlicher vorwärts. Erst im letzten Viertel des Pedalwege steht dann wirklich Leistung zur Verfügung, was sich vor allem beim Einfädeln in Kreiseln oder auf die Autobahn im morgendlichen Stossverkehr als gewöhnungsbedürftig erweist. Nicht beeinflusst von den Fahrmodi werden Fahrwerk und Lenkung, sie lassen sich separat auf Normal und Sport einstellen. Das Fahrwerk ist weich abgestimmt und betont auf Komfort ausgerichtet, was sich in viel Karosserieneigung in Kurven und Schaukeln über Bodenwellen niederschlägt. Die Lenkung ist – auch im Sport-Modus – sehr leichtgängig, was das Manövrieren in der Stadt unterstützt. Die Bremswirkung des Gaspedals lässt sich zweistufig einstellen, One-Pedal-Driving ist aber nicht möglich.

Das U steht für Nutzwert

Das Interieur ist mit einem ansprechenden Materialmix, der auf Echtleder verzichtet, ganz ordentlich gestaltet. Der Infotainmentbildschirm lässt sich wie bei den übrigen Modellen von BYD um 90 Grad drehen, sodass er entweder im Quer- oder im Hochformat stehen kann. Man habe viel auf die Rückmeldungen von Presse und Kunden gehört, meint BYD. Unter anderem bei den Assistenzsystemen und der Bedienung wurde im Vergleich zu den ersten europäischen Modellen nachgebessert. Der Spurassistent lenkt auf der Autobahn ruhig mit und hält das Fahrzeug zentriert in der Spur. Im Infotainment sind die wichtigsten Funktionen über Schnellzugriffe erreichbar, allerdings erweist sich die Bedienung in gewissen Details noch immer als unausgereift. So ist unverständlich, wieso die Anweisungen des Navigationssystems weder im Kombiinstrument noch im Head-up-Display angezeigt werden können. Da das Infotainment keinen Homescreen hat, der beispielsweise gleichzeitig Navi und Radio anzeigen kann, muss oft zwischen den verschiedenen Applikationen hin- und hergewechselt werden.

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Der Innenraum des BYD Seal U bietet einen hübschen Materialmix, die Verarbeitung macht einen soliden ersten Eindruck. Unkonventionell: Der Infotainmentbildschirm lässt sich vom Quer- ins Hochformat drehen. Der Platz ist dank der hohen Dachlinie für Erwachsene auch hinten ausreichend.

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Der Platz ist dank der hohen Dachlinie für Erwachsene auch hinten ausreichend.

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Unkonventionell: Der Infotainmentbildschirm lässt sich vom Quer- ins Hochformat drehen. 

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Das U im Namen des BYD Seal U steht für Utility und ist ein Hinweis auf den im Vergleich zur Limousine erhöhten Nutzwert des SUV. Tatsächlich steht viel Platz für die Passagiere zur Verfügung, auch in der zweiten Reihe sind Knie- und Kopffreiheit für Erwachsene grosszügig, der Kofferraum ist mit rund 550 Litern Klassendurchschnitt. Mit seiner Länge von 4.78 Metern ist der Seal U ein typisches Mittelklasse-SUV, der Radstand von 2.76 Metern sorgt für klassische Proportionen. Nutzwert steht bei Elektroautos aber vor allem auch für Reichweite. In einer ersten Testfahrt bei frühlingshaften Temperaturen in der Region von Lissabon lagen mit der grösseren Batterie rund 400 Kilometer drin. Das ist zwar weniger als die 520 Kilometer, die vom Hersteller angegeben werden, aber durchaus alltagstauglich. Als Hindernis erweist sich eher die unterdurchschnittliche Ladeleistung: Bei maximal 140 kW dauert eine Batterieladung von zehn auf 80 Prozent 43 Minuten.

Die neue Energie

New Energy heisst die Elektromobilität in China – die neue Energie. Darunter verstehen die Chinesen nicht nur batterieelektrische Autos, sondern auch Plug-in-Hybride. Und während die Pläne aktuell für Europa nur den Verkauf von Elektroautos vorsehen, hat BYD in China den Seal U auch als Plug-in-Hybrid im Programm. Und wenn sogar Autopapst Ferdinand Dudenhöffer sich nicht mehr so sicher ist über den langfristigen Erfolg der Stromer, muss man sich über Alternativen Gedanken machen. Falls in Europa der Elektroboom nicht weiter zunimmt, hat BYD mit dem Hybrid bereits einen entsprechenden Pfeil im Köcher. Den Kunden kanns recht sein.

Vor diesem Hintergrund muten die vollmundigen Versprechen zur Verhinderung des Weltuntergangs durch die Kraft der Sonne etwas merkwürdig an. Man wird sich wohl oder übel der Kraft der Marktwirtschaft beugen, bei der Profit über die Rettung der Welt geht. Dass BYD die Welt retten wird, ist – vorsichtig ausgedrückt – unwahrscheinlich. Der Erfolg auf dem europäischen Markt scheint da schon wahrscheinlicher. Mit den Autos, die man bisher gesehen hat, gibt es eigentlich kaum Anlass zu Zweifeln daran. 

Fotos: BYD Europe

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