VW Tiguan - Druckfrisch

Tristano Gallace | 29.02.2024

Kompakt-SUV VW präsentiert die dritte 
Generation des ­Tiguan. Der Druck ist hoch, denn sie 
soll den Bestsellerstatus ihres Vorgängers fortführen.

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Kursänderungen kosten Zeit, jeder halbwegs gute Kapitän oder Manager weiss das. Nachdem VW-CEO Thomas Schäfer das Amt seines Vorgängers übernommen hatte, wurden zahlreiche Projekte des Konzerns neu ausgerichtet. Nun, rund anderthalb Jahre später, werden allmählich die Erfolge deutlich, denn VW baut wieder richtig gute Autos. Zum Beispiel die neuste Generation des VW Tiguan. Subtile Evolution statt revolutionäre Konzeptänderung. Vertrautes Design statt wilder Experimente. Ausgereifte Motorentechnik statt sturen Festhaltens an der Konzern-Elektroausrichtung.

Seit 2007 wurden mehr als 7.5 Millionen Exemplare des VW Tiguan verkauft, da darf sich VW mit der Wolfsburger Gelddruckmaschine keine Fehler erlauben. Natürlich möchte man mit der neuen Generation auch neue Kunden gewinnen – aber ohne die treue Käuferschaft zu vergraulen, die den Tiguan nahezu unbesehen bestellt.

Optisch gibt sich das Kompakte-SUV stets als kleiner Bruder des Touareg aus, und auch in dritter Generation wird dies beibehalten. Der Längenzuwachs ist marginal, in Breite, Höhe und Radstand bleibt er identisch zu seinem Vorgänger. Schliesslich soll er weiterhin ein stadttaugliches und parkhausfreundliches Fahrzeug sein. Trotz nahezu unveränderter Aussenabmessungen hat er im Innenraum durch eine verbesserte Raumausnutzung und eine verschiebbare Rücksitzbank an Kofferraum und Beinfreiheit gewonnen.

In Reihe eins fällt der Blick sofort auf den Breitbildfernseher in der Mitte. Standardmässig rund 13 Zoll gross, kann dieser optional noch um zwei weitere Zoll grösser gewählt werden. Dieser modulare Infotainmentbaukasten (MIB4) wird in Zukunft auch in den neuen Baureihen des VW Passat und des VW Golf verbaut.

Mit einer Länge von 4.54 Metern ist der neue VW Tiguan immer noch kompakt genug für die Stadt. Innen bietet er mehr Raum für Fahrer und Passagiere, 
der Kofferraum hat 652 Liter Volumen, bei den PHEV sind es 490 Liter.

Auf der Mittelkonsole zwischen den Vordersitzen wurde ein Fahrerlebnisschalter mit drei Funktionen installiert. Lautstärke, Fahr- und Atmospheres-Profile lassen sich direkt am Drehrad verändern. Atmospheres? So hat VW die Stimmungen getauft, die vom Fahrer frei konfiguriert und als Profile abgespeichert werden können. Auch ­eine Musikauswahl kann der Stimmung zugeordnet werden. Von Vivaldi bis zu Rage Against the Machine, von beruhigendem Beige als Lichtstimmung bis zu Blutrot mit nur wenigen Bewegungen am Fahrerlebnisschalter, perfekt.

Richtige Tasten und Sprachassistent

Die grösste Überraschung erlebten wir hinter dem Lenkrad, und das noch im Stand. Denn VW hat seinen Kunden wirklich zugehört und ein Volant mit Tasten verbaut. Ja, richtige Tasten, keine Slider, keine kapazitiven Flächen, sondern richtige Drucktasten, welche sich schon nach kurzer Zeit intuitiv und fehlerfrei bedienen liessen.

Auch der neue Sprachassistent IDA hat Einzug gehalten. Damit lassen sich zusätzlich viele Fahrzeug- und Infotainmentfunktionen einfach bedienen. Spricht der Fahrer eine Aufforderung an IDA, versucht dieser die Aufgabe über das Fahrzeugsystem zu lösen. Hat das keinen Erfolg, greift IDA auf eine Onlinedatenbank oder Chat GPT zu.

Bereits die Tiguan getaufte Basisversion wird mit serienmässigem 13-Zoll-Infotainmentsystem, Fahrerlebnisschalter, Klimaautomatik, Rückfahrkamera und LED-Scheinwerfern gut bestückt ausgeliefert. In der höherwertigen Life-Ausstattung werden vor allem die Fahrhelfer um Parkassistent, Fernlichtassistent und Abstandstempomat erweitert. An der Spitze stehen Elegance und R-Line. Die eigenständig positionierten Topmodelle – Elegance edel ausgerichtet, R-Line sportlich – haben unter anderem noch bessere LED-Scheinwerfer mit integriertem Kurvenlicht, 3-D-LED-Rückleuchten, abgedunkelte Scheiben im Fond und ­eine 30-farbige Ambientebeleuchtung an Bord. Die Elegance-Variante bietet zudem viel Chrom an Front und Heck und eine sich elektrisch öffnende Heckklappe, Akustikverglasung und komfortable Ergo-Active-Vordersitze. Der Tiguan R-Line zeichnet sich durch weitere Features wie Stossfänger, Dachkantenspoiler und Seitenteile im R-Line-Design und verbreiterte Radhäuser aus.

Die Ergo-Active-Plus-Sitze für Fahrer und Beifahrer bieten eine pneumatische Zehn-Kammer-Druckpunktmassage, eine Memoryfunktion sowie eine verschiebbare Oberschenkelauflage. Zusätzlich kann eine automatische Aktivierung von Sitzheizung und Sitzlüftung abhängig von der Aussentemperatur eingestellt werden.

Acht Motoren im Programm

Acht Motorenversionen stehen zur Wahl, vier sind Hybridantriebe. Zwei Mildhybride mit 48-Volt-System (eTSI) und zwei Plug-in-Hybride (eHybrid). Deren rein elektrische Reichweite gibt VW mit rund 100 Kilometern an, womit die meisten Pendlerstrecken ohne thermischen Antrieb zurückgelegt werden können. Bei den Benzinmotoren reicht das Spektrum von 96 kW (130 PS) bis zu 195 kW (265 PS), bei den Dieselmotoren von 110 kW (150 PS) bis 142 kW (193 PS). Die TSI mit 204 und 265 PS kommen jedoch erst im Laufe des Jahres auf den Markt. Die leistungsstärksten Varianten übertragen ihre Kraft über alle vier Räder und können bis zu 2300 Kilogramm Anhängelast ziehen, alle anderen Tiguan sind Fronttriebler. Besonders die kleinen Motoren sind für die Stadt zwar ausreichend motorisiert, doch hat man es etwas eiliger, klingen die 110-kW-Versionen eine Spur zu angestrengt. Mit mehr Leistung wirkt der Tiguan leichtfüssiger und souveräner.

Echte Tasten statt Touchscreenslider, ein 13 Zoll grosser Bildschirm schon in der Basisversion, der Fahrerlebnis­schalter leicht zugänglich auf der Mittelkonsole.

Die getesteten Hybridmodelle zeichnen sich durch hohe Laufruhe aus. Die Wechsel zwischen elektrischem und Verbrennerantrieb finden kaum merklich im Hintergrund statt. Bei der Motorenauswahl zeigt sich jedoch das gleiche Bild wie bei den reinen Verbrennern: Ist der Antrieb zu klein, hat man bei spontaner Leistungsnachfrage etwas Mitleid. Da kommen die grossen Antriebe mit dem mindestens 1.6 Tonnen schweren Auto einiges besser zurecht, das Fahrzeug als Gesamtpaket betrachtet macht einen harmonischeren Eindruck. Die Plug-in-Modelle laden nun auch mit bis zu 50 kW an der Schnellladesäule, was den Tiguan im Alltag zum Stromer mutieren lässt. Alle Antriebe sind mit Doppelkupplungsgetriebe ausgestattet. Unser Favorit: der Tiguan mit dem grossen Diesel. Dafür lohnt es sich sogar, bei der Ausstattung das ein oder andere Kreuz wegzulassen.

Straff ausgelegtes Fahrwerk

Der MQB Evo bildet die Ausgangsbasis für die neue Fahrwerksgeneration des Tiguan. Die Grundarchitektur des Fahrwerks bilden MacPherson-Vorderachse und Vierlenker-Hinterachse. Eher straffer ausgelegt, gibt das Fahrzeug gute Rückmeldung über den Fahrbahnzustand. Der Fahrkomfort ist dennoch in ausreichendem Mass vorhanden. Selbstverständlich ist das Fahrverhalten auch aufgrund des höheren Aufbaus wankanfälliger, doch wer sich zu sehr darüber echauffiert, sollte sich besser für eine andere Fahrzeuggattung entscheiden. Optional kann man sich auch das DCC-Pro-Fahrwerk verbauen lassen, das mit einem Fahrdynamikmanager ausgestattet ist. Die elektronische Fachkraft steuert die Funktionen der elektronischen Differenzialsperren (XDS) und die geregelten Dämpfer. Das Fahrwerk reagiert auf die Fahrbahneigenschaften und kalkuliert die Parameter von Lenk-, Brems- und Beschleunigungsvorgängen mit ein. So wird für jedes Rad in Sekundenbruchteilen die ideale Dämpfung berechnet und der jeweilige Stossdämpfer angepasst. Über radindividuelle Bremseingriffe und Veränderung der Dämpferhärten werden die Handlingeigenschaften verbessert. Der Fahrer kann zudem seine Vorliebe individuell von sehr komfortabel bis sehr sportlich einstellen.

Wie erwartet macht die neue Generation alles ein bisschen besser als ihre Vorgängerin. Die Messlatte für die Konkurrenz ist hoch, sodass ihr eigentlich nur die Konzern-Verwandten gefährlich werden können. Es stellt sich beim Tiguan weniger ein emotionaler «Den muss ich haben»-Effekt ein, sondern eher eine sachliche Kaufentscheidung. Zwar kann man ab rund 38 000 Franken einen Tiguan kaufen, doch mit den Auswahlmöglichkeiten bei Motor, Ausstattung und Sonderwünschen entfernt man sich recht schnell vom Basispreis.

Fotos: Volkswagen

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