Bestens in Szene gesetzt

Peter Ruch | 21.03.2024

Car of the Year Der Renault Scenic E-Tech Electric wurde zum Auto des Jahres gekrönt. Hat er diesen Titel verdient? Nach einer ausführlichen Probefahrt darf man attestieren: Ja.

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Vor 27 Jahren gewann der Renault Scenic schon einmal den Titel Car of the Year. Damals war er noch ein kompakter Familienvan, sein Konzept war einst bahnbrechend, fand noch so manchen Kopisten, vom Opel Zafira bis zum VW Touran. Bis 2023 konnte Renault gut fünf Millionen Exemplare verkaufen, der Ruf des Scenic war nicht bloss bei Familien ausgezeichnet. Man wundert sich höchstens, warum sich die Kunden von diesem cleveren Raumkonzept abgewandt haben und lieber in unförmigen SUV sitzen.

Bestens durchdacht

Es ist schwierig, den neuen Renault Scenic einem Segment zuzuordnen. Ein Minivan ist er nicht, ein SUV aber auch nicht. Er bleibt in den Aussenmassen erfreulich kompakt, 4.47 Meter lang, 1.86 Meter breit (ohne Aussenspiegel), 1.57 Meter hoch. Der Franzose verfügt über einen erstaunlich grossen Kofferraum, 545 Liter fasst er in der normalen Konfiguration, bei abgeklappten Rücksitzen sind es 1670 gut nutzbare Liter. Der Radstand ist mit 2.78 Metern nicht so exorbitant lang wie bei anderen Stromern, doch das Platzangebot im Innenraum ist gut, auch in der zweiten Reihe sitzen die Passagiere nicht in der Enge. Zum guten Raumgefühl trägt sicher das gewaltige Glasdach bei, das allerdings erst in den höheren Ausstattungslinien serienmässig ist. Und stufenlos abgedunkelt werden kann.

Das Cockpit dominiert beim Renault ein hochkant stehender Zwölf-Zoll-Monitor, der neben zahlreichen Touchfunktionen auch noch Drucktasten bietet, zum Beispiel für die Heizscheibe oder die Klimaanlage. Diese Schaltzentrale ist verheiratet mit dem ebenfalls volldigitalen 12.3-Zoll-Kombiinstrument vor der Fahrerin, der bestens ablesbar ist und individuell konfiguriert werden kann. So sehen moderne Automobile heute innen aus, die Lösung von Renault wirkt bestens durchdacht, gut aufgeräumt. Zum guten Eindruck tragen auch hochwertige Materialien bei, man fühlt sich auf Anhieb wohl. Das Betriebssystem für das Infotainment kommt von Google. Damit begeben sich die Franzosen zwar in die Arme der grossen amerikanischen Datenkrake, brauchen sich aber keine Sorgen um die Bedienerfreundlichkeit zu machen. Es gibt rund 30 Assistenzsysteme, manche sind unnötig, doch sie lassen sich ohne grosse Umwege in sieben Menüschritten ausschalten. Renault hat die Zeichen der Zeit erkannt und gibt dem Piloten wieder etwas Eigenverantwortung zurück. Mühe hatten wir bei dieser ersten Ausfahrt allerdings mit dem elektronischen Innenspiegel, der manchmal etwas verwirrliche Licht- und Schattenspiele liefert.

Relativ geringes Gewicht

Angeboten wird der Renault Scenic mit zwei Batteriegrössen. Da gibt es den kleineren 60-kWh-Akku, der Energie für 125 kW (170 PS) und 280 Nm maximales Drehmoment über ein Eingang-Getriebe für den Frontantrieb liefert. Diese Version wird in der Schweiz allerdings nicht angeboten, sondern einzig der 87-kWh-Akku, mit dem die Leistung bei 160 kW (218 PS) und 300 Nm liegt. So ausgerüstet will der Renault in 7.9 Sekunden von 0 auf 100 km/h rennen, die Höchstgeschwindigkeit ist auf 160 km/h beschränkt. Damit gehen die Franzosen – wie auch ihr sehr direkter Konkurrent Peugeot mit dem e-3008 (AR 10/2024) – den sanften Weg. Weg von der Übermotorisierung anderer EV-Hersteller und hin zu mehr Vernunft. Der Renault ist mit einem Leergewicht von knapp über 1.9 Tonnen gut 200 Kilogramm leichter als der e-3008 und will wohl auch deshalb auf eine Reichweite von 625 Kilometern kommen. Beim Verbrauch sind die Angaben etwas verwirrlich, in der Schweizer Preisliste stehen 18.9 kWh/100 km, in der Werbung wird von 16.8 kWh/100 km gesprochen. Wie es in der Realität aussieht, wird sich erst nach einem ausführlichen Test berechnen lassen. Aber Renault ist bekannt dafür, dass seine Stromer erfreulich sparsam mit der Energie umgehen. Geladen werden kann mit maximal 150 kW, das ist kein Spitzenwert, aber der konservativen, kostengünstigeren 400-Volt-Architektur geschuldet.

Als erfreulich wollen wir auch das Fahrverhalten des Scenic bezeichnen. Für einen Stromer ist die Lenkung erstaunlich mitteilsam, weniger schwammig als bei manchem Konkurrenten. Auch das Fahrwerk ist gut abgestimmt, in erster Linie komfortabel, aber auch einer etwas flotteren Fahrweise nicht abgeneigt. Man spürt da gerade im Vergleich mit dem Peugeot e-3008 gut, dass der Renault deutlich leichter ist, er schiebt erst sehr spät über die Vorderräder, bleibt also meist sehr neutral und gut beherrschbar. Ein klarer Vorteil gegenüber dem Löwen, der in diesem Bereich dem Scenic das Wasser nicht reichen kann. Doch da steht der Peugeot definitiv nicht allein. Etwas gewöhnungsbedürftig sind allerdings die Bremsen des Scenic. Zuerst passiert fast gar nichts, dann packen sie plötzlich ziemlich vehement zu. Doch daran gewöhnt man sich schnell.

Ein Europäer

Das Design darf man sicher als gelungen bezeichnen. Und doch ist es gleichzeitig ein wenig die Problemzone des Renault Scenic. Der aktuelle Chefdesigner Gilles Vidal arbeitete vorher viele Jahre bei Citroën/Peugeot, seine Entwürfe für Renault bewegen sich (noch) auf einer sehr ähnlichen Linie. Immerhin wirkt der Scenic optisch moderner als sein in vielen Bereichen baugleicher kleinerer Bruder Megane E-Tech. Übrigens: Der Scenic wird in Frankreich gebaut, auch die Batterie stammt nicht aus China, sondern kommt aus Polen.

Mit einer Preisspanne von 43 700 (Ausstattungslinie Evolution) bis 49 700 Franken (Iconic) ist der Renault Scenic E-Tech 100 % Electric, wie er bei vollem Namen heisst, nicht eben das, was man als Schnäppchen bezeichnen möchte. Doch das ist relativ, E-Fahrzeuge werden meist geleast, nicht gekauft – und da sind die Angebote noch nicht bekannt, sie können die Kostenrechnung entscheidend beeinflussen. Und wichtiger ist ohnehin, ob ein Fahrzeug seinen Preis wert ist. Und das kann man bei diesem adretten Franzosen sicher bejahen, deshalb hat er den Titel Auto des Jahres auch verdient. Zwar ist sein Raumkonzept nicht mehr ganz so clever, wie man sich das von früheren Scenic gewohnt war, doch zum Familienfreund taugt auch die Neuauflage. Ob das auch für den Durchbruch an der Verkaufsfront reicht (den der Megane nicht schaffte), wird sich weisen müssen. Doch Renault hat bereits den nächsten Pfeil im Köcher, den rein elektrischen R5, der noch diesen Sommer auf den Markt kommen wird. Der Scenic steht ab Juni beim Händler. 

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Fotos: Renault

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