Maserati Grecale Folgore – Leises Donnerwetter

Peter Forrer | 21.03.2024

Dreizack-Stromer Der Grecale ist nach dem Gran Turismo das zweite Modell, 
das von Maserati als Elektroversion Folgore (Italienisch für Blitz) lanciert wird. Wir prüften, 
ob der E-Grecale trotz fehlenden Donners ein emotionales Gewitter auslöst.

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Nun wird es also auch beim Maserati Grecale elektrisch ernst. Richtig ernst, um genau zu sein. Denn das 2022 eingeführte SUV ist ja als Vierzylinder-Mildhybrid zumindest im Ansatz elektrifiziert, der Grecale Folgore hingegen gibt den 100-prozentigen Stromer. Nicht als Erster der Marke mit dem Dreizack, denn seit wenigen Monaten können die Kunden schon den neuen Gran Turismo als Elektroversion haben. Dieser verfolgt antriebstechnisch allerdings ein völlig anderes Konzept – sofern man bei Elektroantrieb von einem völlig anderen Konzept sprechen kann. Zum einen hat das 560 kW (761 PS) starke Coupé nämlich drei Elektromotoren, und zum anderen verfügt es über 800-Volt-Technologie, die Maserati seinem Formel-E-Engagement entlehnt hat.

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Optisch unterscheidet sich der Grecale Folgore nur in Details von den Verbrennerbrüdern. Zu diesen gehören unter anderem strömungseffiziente Aerofelgen und der Folgore-Schriftzug auf den Flanken.

Der Grecale Folgore muss sich währenddessen mit 400 Volt und bloss zwei Elektromotoren begnügen. Verglichen mit dem Gran Turismo ist das SUV auch deutlich leistungsschwächer, bietet mit je einer permanenterregten 205-kW-Synchronmaschine an der Vorder- und Hinterachse total 410 kW (557 PS). Das maximale Drehmoment beläuft sich auf 820 Nm, über 500 Nm weniger als der GranTurismo mit seinen 1350 Nm. Wir werden uns an dieser Stelle aber hüten, Begriffe wie nur oder bloss vor die Grecale-Zahlen zu stellen, denn obwohl speziell bei Stromern nach oben bekanntlich immer mehr geht, entpuppte sich der Grecale Folgore bei ­einer Fahrveranstaltung im Süden Italiens als reinste Rakete, äh, als veritabler Blitz. Die 4.1 Sekunden, die Maserati als Wert für den Paradesprint von 0 auf 100 km/h angibt, erscheinen auf jeden Fall völlig glaubwürdig. Da auch in Italien gewisse Verkehrsregeln gelten, haben wir die indexierte Höchstgeschwindigkeit von 220 km/h selbstverständlich nicht ausprobiert, genauso wenig wie den Spurt von 0 auf 200 km/h, der innert 16.1 Sekunden erledigt sein soll. Bei allem, was sich im gesetzlichen Rahmen erfahren liess, zeigte sich der Grecale Folgore jedenfalls mehr als ausreichend motorisiert.

Alte, aber gute Plattform

Aufgebaut ist der Grecale Folgore wie seine Verbrennerbrüder auf der Giorgo-Plattform, die mit Alfa Romeo Giulia und Stelvio eingeführt wurde. Für den Grecale wurde sie aber stark modifiziert, für den Folgore auch vergrössert, damit das 105-kWh-Akkupaket Platz findet. Weil die Giorgio-Plattform fahrdynamisch auch ohne Modifikationen zum Besten gehört, was die Autowelt zu bieten hat, ist der gute Fahreindruck mit dem Grecale Folgore keine grosse Überraschung. Die Lenkung agiert sehr präzise, und das luftgefederte Fahrwerk lässt sich durch das Leergewicht von rund 2.5 Tonnen nie aus der Ruhe bringen. So ist weder eine grosse Seitenneigung in zügig durchfahrenen Kurven noch der Ansatz eines Wackeldackelsyndroms beim Beschleunigen und Bremsen festzustellen.

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Dort, wo sonst die Auspuffendrohre wären, hat Maserati zwei Abdeckungen montiert. Das könnte man schöner lösen.

Apropos Bremsen: Die Brembo-Stopper mit vier 35-Zentimeter-Scheiben und versionsspezifisch kupferfarben lackierten Bremssätteln lassen sich fein dosieren und packen kräftig zu, wenn es sein muss. Bei einem elektrischen Fahrzeug ebenfalls wichtig ist natürlich die Rekuperationskompetenz, die sich beim Grecale Fol­gore über die Lenkradpaddles in vier Stufen einstellen lässt. Die stärkste Stufe ermöglicht dann sogar One-Pedal-Driving, das Fahrzeug verzögert also ohne Bremspedalkontakt bis zum Stillstand. Überhaupt ist es ziemlich erstaunlich, wie viel Elektrokompetenz Maserati als Spätzünder an den Tag legt. Die Abstimmung aller Komponenten fühlt sich sehr ausgereift an, sowohl beim Antrieb als auch beim Infotainment. So überwacht der Maserati-Intelligent-Assistant auf einer navigeführten Route dauernd den Batteriezustand und plant unter Einbezug der Schwere des Fahrerstromfusses die voraussichtlich notwendigen Ladestopps ein. Das ist zwar keine Exklusivleistung von Maserati, und man kennt das auch von anderen Marken. Aber es dient als Beispiel dafür, dass die Italiener wirklich einen durchdachten Stromer auf die Räder gestellt haben.

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Am Steuer des Grecale Folgore kommt durchaus Fahrspass auf. Der Stromer kommt gut aus den Startlöchern und liegt sehr souverän auf der Strasse.

Neo-Elektrikern will Maserati den Umstieg auf den Grecale Folgore auch sonst so einfach wie möglich machen. So bekommen europäische Kunden über die Maserati-Public-Charge-App einen abonnement- respektive registrierungsfreien Zugang zu 96.5 Prozent aller öffentlichen Ladestationen in Europa. Derzeit sind das über 650 000 Ladepunkte, davon mehr als 90 000 mit Schnellladefunktion, wo der Grecale Folgore mit maximal 150 kW Strom ziehen und so seine Batterie binnen 29 Minuten von 20 auf 80 Prozent füllen kann. Bei Wechselstrom holt sich das bordeigene Ladegerät ab Werk bis zu 22 kW, bei entsprechenden Bedingungen also auch an der heimischen Wallbox. Eine solche – Sie ahnen es – gibt Maserati ebenfalls ohne Aufpreis zum Auto dazu.

Wie Pizza ohne Käse, aber lecker

Vier Fahrmodi stehen im Grecale Folgore zur Verfügung: Max Range, GT, Sport und Offroad. Beim Ersten wird die Antriebsleistung zugunsten von mehr Reichweite gedrosselt und die Höchstgeschwindigkeit auf 130 km/h limitiert, beim Letzten das Fahrzeug um bis zu 60 Millimeter angehoben, damit es bei vermutlich eher seltenen Ausflügen ins Gelände nicht zu peinlichen Situationen kommt. Im Modus Sport senkt sich das Auto derweil um 40 Millimeter näher an die Strasse. Ausserdem spielt aussen wie innen ein Soundgenerator die Verbrennergeige. Das klingt natürlich nie so schön wie der famose Nettuno-V6 im Topmodell Trofeo (Test AR 32/2023), aber auch nicht schlechter als bei den halt schon etwas ärmlichen Vierzylinder-Mildhybridvarianten GT und Modena.

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Das Interieur ist grundsätzlich bei allen Grecale identisch, spezielle Materialien, Farben und Muster natürlich ausgenommen.

Mit diesen beiden hat der Folgore ausser der Grundform und natürlich der Inneneinrichtung ohnehin nicht viel gemeinsam. Sein Gradmesser ist der Trofeo, so ist es denn wohl auch kein Zufall, dass der Folgore sogar noch 20 kW (28 PS) mehr leistet als dieser und preislich auf einer ähnlichen Stufe steht. Der Folgore wird ab 135 400 Franken angeboten, der Trofeo kostet ab 138 500 Franken. Fahrleistungsmässig sind die beiden Varianten zwar ähnlich zügig unterwegs (aber natürlich nur bis 220 km/h), trotzdem dürften nicht nur Maserati-Fans hier einen Unterschied wie Tag und Nacht feststellen. Hier der bissig fauchende V6 mit Doppelzündung, dort die surrenden E-Maschinen mit Dosensound. Wer aber das grundlegende Fahrgefühl von Elektroautos mag, wird den Folgore dem Trofeo vielleicht vorziehen. Um ein typisch italienisches Gericht ins Spiel zu bringen: Eine Pizza ohne Käse mag für die meisten keine richtige Pizza sein, sie kann aber durchaus lecker schmecken, wenn der übrige Belag passt (und man grundsätzlich ohne Käse respektive ohne echten Motorsound leben kann).

Kein Kostverächter

Bleibt noch die bei Elektroautos oft relevanteste Frage nach der Reichweite. In der Pressemitteilung gibt Maserati 426 bis 501 Kilometer an bei einem Stromverbrauch von 24 kWh auf 100 Kilometer. Im milden Süditalien bewegte sich die Verbrauchsangabe meistens in diesem Bereich, je nach Fahrweise sogar leicht darunter. An kalten Schweizer Wintertagen dürfte der Grecale Folgore indes kaum weiter als 300 Kilometer kommen. Das ist auch der nächste ganz grosse Unterschied zum Trofeo, der damals bei unserem Test zwar selbst auf der sehr gemässigt gefahrenen Normrunde fast elf Liter durch die Brennräume heizte, dank 64 Liter Tankinhalt aber eben knapp 600 Kilometer ohne Stopp abspulen kann.

Kostverächter sind also beide Varianten nicht. Aber vielleicht sollte man den Vergleich zwischen dem Grecale Trofeo und dem Grecale Folgore am Ende doch besser bleiben lassen. Wir sind auf jeden Fall gespannt, wie der Dreizack-Stromer bei den Kunden ankommt. Die haben mit dem neuen Porsche Macan Electric ja bald ein ziemlich ähnliches Auto zur Auswahl, das sich viel besser mit dem Grecale Fol­gore vergleichen lässt. Auf dem Papier hat der Deutsche dank 800-Volt-Technik schon einmal die Nase vorn. Aber das muss nichts heissen. 

Fotos: Maserati

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