Kann man machen

Peter Ruch | 18.04.2024

Geländemonster Wozu es den elektrischen M-Hero 1 braucht, wissen wir nicht. Aber dem chinesischen Hersteller Dongfeng geht es wohl darum zu zeigen, was möglich ist.

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Durchaus zuversichtlich ist man bei der Noyo AG, der neuen Schweizer Vertriebsgesellschaft «für qualitativ hochwertige Elektrofahrzeuge aus China» (Selbstbeschreibung), dass der M-Hero 1 auch tatsächlich eine Strassenzulassung erhält. Sein Leergewicht von 3410 Kilogramm und sein Gesamtgewicht von 3920 Kilogramm sprechen eigentlich dagegen, aber eben, man ist guten Mutes in Rotkreuz ZG, Noyo-Chef Daniel Kirchert sagt im Interview (siehe rechts unten), es könne sich nur noch um Tage handeln. Auch weitere europäische Märkte sollen bald schon in den Genuss des ersten Fahrzeugs der chinesischen Marke Mengshi kommen, die wiederum eine Tochter des Giganten Dongfeng Motor Corporation (DMC) ist, eines der ältesten und grössten Autoherstellers Chinas.

Beeindruckende Abmessungen

Aber schauen wir uns das Trumm doch einmal etwas genauer an. Der M-Hero 1 wirkt nicht nur gross, er ist es auch, 4.99 Meter lang, 2.08 Meter breit (ohne Aussenspiegel ...), 1.94 Meter hoch, der Radstand beträgt 2.95 Meter. Das Gewicht wurde schon erwähnt, allein der 142-kWh-Akku wiegt schon mehr als 800 Kilogramm. Er soll dem Fahrzeug eine Reichweite von 450 Kilometern bescheren, geladen werden kann mit maximal 100 kW – was im Gegensatz zu den Leistungsdaten nicht sehr beeindruckend ist. Denn da fährt der Chinese in seiner ganz eigenen Klasse: vier Elektromotoren, Zweigang-Getriebe, 800 kW (1088 PS) und 1400 Nm Drehmoment. Trotz doch reichlich Masse will der Held in 4.2 Sekunden von 0 auf 100 km/h beschleunigen, gegen oben wird er dann bei 180 km/h elektronisch eingebremst. Nicht viel später würde wohl der Luftwiderstand die Grenze setzen, denn gerade windschnittig sieht der Wagen nicht aus, selbst eine G-Klasse von Mercedes dürfte aerodynamischer sein. Oder ein Haus.

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Die Offroadfähigkeiten des M-Hero 1 sind imposant. Und sein optischer Auftritt ist auch eher von der groben Sorte. Man fragt sich aber, wer ein solches Fahrzeug kaufen soll.

Aber eine hohe Endgeschwindigkeit soll ja auch nicht die Qualität des M-Hero 1 sein. Die sieht man mehr im definitiv martialischen Auftritt – und im Gelände. Und da ist der chinesische Stromer nun tatsächlich eine Macht. Man weiss, dass ein Stromer gerade abseits der Strassen definitiv seine Stärken hat, sehr viel sofort verfügbares Drehmoment ist der Schlüssel für souveränes Vor­ankommen auch im Schlamm, Sand, Matsch, Schnee und in steilen Passagen. Auf dem Papier sieht das beim M-Hero 1 so aus: 45 Grad Steigfähigkeit, 22 Grad Querneigung, bis zu 33.5 Zentimeter Bodenfreiheit, 90 Zentimeter Wattiefe, Böschungswinkel vorne wie hinten je 37 Grad, Rampenwinkel 28 Grad. Zusammen mit der gewaltigen Optik ist das alles sehr beeindruckend.

Betaversion

Grau nun ist alle Theorie, grün nur des Lebens Baum, das wusste schon Goethe, obwohl er sicher nicht ahnte, was der Welt in Form des M-Hero 1 einmal schwanen würde. Also fahren wir mit dem Stromer einmal über den doch fordernden Geländeparcours des TCS-Fahrzentrums Betzholz in Hinwil ZH, wo sonst Defender und Konsorten gequält werden. Gleich sechs verschiedene Fahrmodi stehen zur Auswahl, es gibt eine automatische Untergrunderkennung, Vorder- und Hinterachse lassen sich manuell sperren, also sind Sand- und Geröll-Durchfahrten kein Thema, das packt der Stromer problemlos, auch in extremer Verschränkung. Dabei hilft auch, dass jeder der vier E-Motoren sein Eigenleben führen kann, pro Rad bis zu 200 kW Leistung aufbietet. Ungemein hilfreich sind die diversen Kameras, die auch unter das Fahrzeug sehen und es komplett in der Umgebung abbilden können. Und ja, das klappt alles bestens, selbst die steile Treppe, eine der schwierigsten Aufgaben auf dem TCS-Parcours, schafft der M-Hero  1 locker. Richtig gut ist auch die Hinterrad­lenkung, die Winkel von mehr als zehn Grad schafft und den Wendekreis auf 10.2 Meter verringert. Der Wagen verfügt zudem über eine sogenannte Crab-Funktion, kann sich also einigermassen seitlich fortbewegen, was gerade beim Parkieren des Trumms sehr hilfreich sein kann.

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Das Innenleben ist durchaus gediegen, die verarbeiteten Materialien entsprechen sicher dem ­chinesischen Gefühl von Luxus. Besonders grosszügig sind die Platzverhältnisse aber nicht.

Ein paar Probleme gibt es allerdings. Der Bergabfahr-Assistent funktioniert noch nicht richtig, doch das sei ein Softwareproblem, das direkt aus Wuhan over the air gelöst werden könne, sagen die Mengshi-Vertreter. Gleiches gilt für das Fahrpedal, das sich bei dieser Probefahrt leider nicht so fein dosieren liess, wie man sich das bei einem Ausritt in schwieriges Gelände wünschte. Das werde noch nachgearbeitet, wird uns versprochen, man wisse um gewisse Problemzonen. Aber das ist ein Vorgehen, das man von anderen Herstellern auch kennt, man lässt einmal die Betaversion auf die Kundschaft los, sammelt Erfahrungen und bessert dann nach. Und da ein modernes Automobil ohnehin mehr Soft- als Hardware ist, kommt das meistens auch gut.

Duftmarke gesetzt

Der M-Hero 1 ist im Gelände also definitiv Hardcore. Auf der asphaltierten Strasse ist er vor allem ein gewaltiges Schiff, zwar sehr komfortabel auch dank Luftfederung (die im Gelände allerdings zu einer nicht zu verneinenden Ruppigkeit führt), aber halt irgendwie etwas unpassend für hiesige Verhältnisse, die Schweiz ist ja glücklicherweise nicht im Krieg. Im Gelände ist die Lenkung passend, auf der Gasse dann eher eine ungefähre Richtungsanweisung. Das Innenleben dagegen ist durchaus gediegen, man findet alles, was man heute erwarten kann, riesige Screens, aber auch noch reichlich physische Schalter und Knöpfe. Und eine Hi-Fi-Anlage von Dynaudio, serienmässig. Die Sitze vorne sind in erster Linie bequem, Seitenhalt ist nicht so ihr Ding, aber man kann sich jederzeit an der ausgesprochen stabilen und massiven Mittelkonsole abstützen. Die verarbeiteten Materialien entsprechen sicher dem chinesischen Geschmack. Und Platz gibt es reichlich, zumindest für die hinteren Passagiere. Denn ein Kofferraumvolumen von 452 Litern ist für ein Fünfmetergerät doch eher kümmerlich, bei abgeklappten Rücksitzen werden es immerhin 1137 Liter. 2.5 Tonnen Anhängelast sind aber nicht von schlechten Eltern in diesem Segment (zumindest für Stromer).

Dongfeng setzt mit der neuen Marke Mengshi und deren erstem Produkt M-Hero 1 ganz sicher eine Duftmarke. Das Fahrzeug ist nicht nur riesig, es ist auch tauglich. Und echte Geländewagen, die nur mit Strom betrieben werden, gibt es ja noch nicht wie Sand am Meer. Klar, da ist der Cybertruck von Tesla (der bei uns aber nicht erhältlich ist), und bald schon kommt die rein elektrische G-Klasse, auch Jeep rüstet fleissig um, von Land respektive Range Rover gibt es ebenfalls klare Zeichen zur Energiewende. In China hat der M-Hero  1 mit dem Yangwang U8 aus dem BYD-Konzern schon einen starken Konkurrenten, der wohl bald auch nach Europa kommen wird.

Selbstdarstellungszwang hilft

Doch die Frage darf schon sein: Warum baut man so ein Teil? Und es gibt gleich noch eine zweite Frage: Wer soll denn dieses Fahrzeug kaufen, zumal es mit einem Preis von 148 990 Franken auch nicht gerade günstig ist? Bei Noyo, dem Schweizer Importeur, zuckt man da etwas verlegen mit den Schultern, will sich nicht auf eine Aussage festlegen. Man kann sich die Käufer aber vorstellen: Early Adopters (also jene, die ein Gadget gerne zuerst haben), DJ und Influencer mit Selbstdarstellungszwang oder auch Stromhändler mit feistem Bonus. Der Förster wird es wohl eher nicht sein, auch Sahara-Durchquerer und andere Weltreisende dürften eher zurückhaltend sein in ihren Kaufabsichten, für Flottenkunden wird der M-Hero 1 kaum erste Wahl sein. Aber wahrscheinlich geht es Dongfeng auch gar nicht um Stückzahlen. Man wollte der Welt einmal zeigen, wozu man fähig ist. Kann man machen, wie es in der Werbung so schön heisst. Muss man aber nicht. 

Fotos: Mengshi

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