Ab in die Wanne!

Martin Sigrist | 30.05.2024

Gelände-Pick-up Ineos erweitert seine ­Palette und bringt den Quartermaster, einen viertürigen Pick-up. Das perfekte Gefährt fürs Abenteuer?

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Ort des Interesses: Dank 30.5 Zentimeter mehr Radstand bietet der Pick-up auch als Fünfsitzer eine Heckwanne mit 1.56×1.61 Metern Ladefläche.

Jim Radcliffe ist ein Selfmademan. Der Brite stieg mit seinem Unternehmen Ineos, das er 1998 durch den Kauf einer Chemieanlage in Antwerpen (B) – dank hoher Kredite – gründete, zum reichsten Mann des Vereinigten Königreichs auf. Sein Vermögen wird auf rund 30 Milliarden Pfund geschätzt. Mit geschickten Schachzügen – so konnte der Chemieingenieur von BP eine ganze Reihe von Raffinerien übernehmen, nachdem diese als unrentabel taxiert worden waren – konsolidierte Radcliffe seine weit vernetzten Aktivitäten und ist heute beispielsweise der Hauptlieferant für die farbigen Granulate der Lego-Bausteine. So quasi als Zeitvertreib und mit persönlichem Engagement, so zumindest macht es den Eindruck, treibt der Unternehmer auch seine Automobilsparte voran. Wieder mit einem raffinierten Deal im Jahr 2020 gestartet – die ehemalige Smart-Fabrik in Hambach (F) stand samt qualifiziertem Personal zur Disposition, ja mehr noch, dank ­eines Produktionsauftrags für den Smart Fortwo bis zu dessen Einstellung war sie auch solange ausgelastet, bis die Produktion des Ineos Grenadier in Gang kam – zeugt das ganze Projekt Grenadier vom Geschick der treibenden Kraft dahinter. Nur am Rande erwähnt: Selbst die geringe Fertigungstiefe der Hambacher Fabrik kommt der Art und Weise, wie der Grenadier entwickelt und gebaut wird, entgegen. Die meiste Entwicklungsarbeit fiel auf die Zulieferer. Und folglich gibt sich Ineos sehr offen in der Deklaration der Ingredienzien ihres Grenadiers und jetzt neu dessen Bruders Quartermaster. Die Motoren von BMW sind bekannt, das Automatikgetriebe stammt von ZF, die Achsen produziert Carraro, ein Spezialist für Bagger- und Traktorachsen, die Sitze stammen von Recaro. Die Liste könnte beliebig weitergeführt werden. Doch wenden wir uns dem jüngsten Kind der Grenadiere zu, dem neuen Pick-up Quartermaster.

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Zeit gelassen

Seine Premiere feierte der Quartermaster im vergangenen Jahr am Goodwood Festival of Speed. Doch bereits im Winter 2021/22 war die rund 30 Zentimeter längere Version als getarnte Chassiskabine bei Testfahrten rund um St. Moritz GR zu sehen. Ineos scheint keine Eile zu haben, angesichts des grossen Eigenkapitals des Unternehmens gibt es auch wenig Grund, mit raschen Resultaten und voreiligen Ankündigungen irgendwelche Investoren zu befriedigen. Wie viel Zeit für Detailarbeiten aufgewendet wurde, ist dem Wagen anzusehen. Die Kabine unterscheidet sich zwar kaum von derjenigen des Station Wagon, die Instrumente sind immer digital, und das Dreh-Drück-Rad ist Pflicht. «Der Wagen muss handschuhtauglich sein», erklärte ein Ingenieur bei den Pressefahrten in der Toskana. Generell liegt der Fokus des Quartermaster noch stärker auf der Funktionalität. Die Kippschalter an der Dachkonsole, die mit ihren Bügelchen auch blind leicht zu erreichen sind, sprechen genauso für diese Philosophie wie die Schienen für Zurrösen an den Wagenflanken oder die robuste Heckklappe, die mit über 220 Kilogramm belastbar ist. Natürlich geht es beim Quartermaster primär um diese Ladewanne. Sie ist genau dort dick mit Kunststoff geschützt, wo ihr die grösste Misshandlung droht, etwa an der Oberkante der Hecklade. Eine Europalette lässt sich so leicht mit einem Hubstapler in der Wanne absetzen. Als gesamte Nutzlast nennt Ineos beim Benziner bis zu 835 Kilogramm, der Diesel packt auch immerhin 760 Kilogramm. Dazu sind beide Varianten in der Lage, eine Anhängelast von 3500 Kilogramm zu ziehen.

Betrachtet man die verbaute Hardware am Auto, so überzeugt auch diese. Auf Wunsch ist sogar eine in der vorderen Stossstange integrierte Seilwinde zu haben. Bei einer Platte für einen Schneepflug scheiterte Ineos als Originalhersteller an den Fussgängerschutzbestimmungen, die Umrüster finden aber eine gute Basis vor, um dereinst auch diesen Kundenwunsch zu erfüllen.

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Robust bis in Detail: Nichts, wirklich nichts 
im Ineos ist nur schöner Schein. Alles ist ­zweckmässig und zeugt von echtem Willen zu Qualität. Die Bedienung ist handschuhtauglich.

Drei Grundversionen

Zum Start des Quartermaster gibt es drei Ausstattungslinien. Die Basisversion, die dennoch in hohem Grad individualisierbar ist, zielt auf kommerzielle und institutionelle Kunden, die den überaus kompetenten Geländewagen für ihre Zwecke adaptieren wollen. Daneben gibt es zwei deutlicher in Richtung Lifestyle orientierte, besser ausgestattete Varianten. Zum einen den Trailmaster, dessen Schwergewicht mit manuell zuschaltbaren, mechanischen Differenzialsperren an allen Achsen auf der Geländetauglichkeit liegt. Damit kann sich das Fahrzeug quasi mit einem einzigen Rad, das noch greift, aus dem Dreck ziehen. Zum anderen steht im Preisblatt der Fieldmaster, der mit Ledersitzen, Teppich- statt Gummiboden und einem Soundsystem mehr auf jene Zielgruppe angesetzt ist, die ein Zugfahrzeug sucht – für einen Pferdanhänger, ­einen Wohnwagen oder einen Bootstrailer. Ebenso serienmässig besitzt der Fieldmaster zwei Safarifenster im Dach, deren Scheiben sich herausheben lassen, sodass man sich auf die Sitze stellen und oben zum Dach herausgucken kann. Erinnerungen an alte Fernsehserien wie «Daktari» oder Dokus wie «Im Reich der Wilden Tiere» werden wach. Während der Fahrt empfiehlt es sich allerdings, sitzen zu bleiben. Denn auf der Strasse fährt sich der Quartermaster mit seinen kräftigen Reihensechszylinder-BMW-Motoren alles andere als behäbig. Gewiss erinnern das Lenkverhalten und der riesige Wendekreis von 14.5 Metern an ein seit geraumer Zeit nicht mehr gebautes, ähnliches Fahrzeug, und die vordere Starrachse und deren riesige, ungefederte Massen lassen sich nicht verleugnen. Aber den Ingenieuren ist es gelungen, dem Hardcore-Geländewagen ein Maximum an Fahrkultur unter den gegebenen, erschwerten Bedingungen mit auf den Weg zu geben. Oder anders ausgedrückt: Manch ein auf dem Papier mit kultivierterer Technik, sprich vorderer Einzelradaufhängung, ausgerüstete Allerwelts-Pick-up sollte sich vom Ineos ein Stück abschneiden. Wenn die Strasse endet und sich die Kiesel in Felsbrocken verwandeln, dann ist, so wenig wie der Station Wagon, der Quartermaster nicht zu stoppen. Mit allen Optionen ausgestattet – stabilem Leiterrahmen, gut verschränkenden Starrachsen, 2.5-facher Geländereduktion, besagten Differenzialsperren und einem sanft zupackenden Wandler im Achtgang-Automaten – lässt sich der Ineos seidenfein manövrieren. Wen bergab die Angst packt, darf auf ­eine elektronische Bergabfahrhilfe zählen. Und dank des Entscheids der Ingenieure, auf eine hydraulische Kugelumlauflenkung zu setzen – übernommen aus einem 7.5-Tonner –, braucht niemand sich vor einem schlagenden Lenkrad zu fürchten. Fakt ist: Der Quartermaster bringt einen heil in die Wildnis – und wieder zurück. 

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Wenn die Strasse ­aufhört, fährt der ­Quartermaster weiter. Oft bis da, wo der Mut des Fahrers endet.

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Das Reserverad nimmt etwas vom Laderaum, aber dient dem hinteren Böschungswinkel.

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Fotos: Ineos

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Das Safaridach ist herausnehmbar

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